9. August 2018
Konzernleitung verkündet „Vision 2020+“
Siemens baut erneut um
Der Siemens-Konzernumbau geht weiter. Joe Kaesers „Vision 2020+“ sieht vor, aus den derzeit verbliebenen fünf Industrie-Divisionen drei weitgehend autonom arbeitende Geschäftsbereiche zu formen. IG Metall und Gesamtbetriebsrat fordern, alle Beschäftigten mitzunehmen und Ängste zu vermeiden.

Die Ankündigung wirkt auf den ersten Blick unspektakulär. Ein harmloses Zeichen, ein Zusatz, mehr nicht: Vor genau vier Jahren, im Mai 2014, verkündete Siemens seine „Vision 2020“, der Konzern wurde damals umgekrempelt und brachte vielfältige Personaländerungen. Jetzt also eine erneute Restrukturierung. Unter dem Titel „Vision 2020+“ verkündete die Konzernleitung um Siemens-Chef Joe Kaeser ein „Update zur strategischen Ausrichtung“ des Unternehmens. „Wenn Siemens sich neu aufstellt, sollte das vor allem mit dem Ziel nachhaltiger Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit geschehen“, sagt Jürgen Kerner, Hauptkassierer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall sowie Mitglied im Aufsichtsrat von Siemens. Daran werde man das Konzept messen.

Das sieht tiefgreifende Veränderungen vor: Aus den bisherigen fünf Industriesparten sollen nun drei weitgehend eigenständig operierende Unternehmen werden. „Kern der Unternehmensstrategie ’Vision 2020+’ ist, den einzelnen Geschäften deutlich mehr unternehmerische Freiheit unter der starken Marke Siemens zu geben“, teilte Siemens mit. Die drei weitgehend autonom arbeitenden Geschäftsbereiche sollen nicht aus München geführt werden. Vielmehr soll das Energie- und Gasgeschäft von Vorstand Lisa Davis aus Houston im US-Bundesstaat Texas geleitet, die Infrastruktursparte, die Gebäudetechnik und Netze umfasst, von Cedrik Neike aus Zug in der Schweiz geführt und die Sparte Digital Industries von Klaus Helmrich aus Nürnberg gesteuert werden.

Ergänzend dazu sollen die Support- und Servicefunktionen durch eine neue, auch weitgehend eigenständig arbeitende Dienstleistungseinheit näher an das industrielle Geschäft gebracht und kostensparender aufgestellt werden. Unter dem Konzern-Dach kommen schließlich die drei bereits ausgegliederten strategischen Bereiche Siemens Healthineers, Siemens Gamesa Renewable Energy sowie – bis zum geplanten Vollzug des Zusammenschlusses mit Alstom – die Siemens Mobility, an denen Siemens jeweils die Beteiligungsmehrheit hält.


Komplette Neustrukturierung

Der Konzern wird also völlig neu strukturiert, der von Kaeser forcierte Umbau ist weit mehr als eine bloße Fortführung und Weiterentwicklung bereits bestehender Strukturen. Elementar ist deshalb, dass das Unternehmen die Beschäftigten auf dem Weg der Veränderung mitnimmt, ohne dass sie Nachteile erleiden müssten. „Eine Ausrichtung des Unternehmens auf die operativen Geschäfte ist richtig“, sagt Jürgen Kerner. „Wichtig ist dabei, alle Mitarbeiter mitzunehmen und Ängste zu vermeiden.“

In die gleiche Richtung argumentiert auch Birgit Steinborn, Vorsitzende des Siemens Gesamtbetriebsrats und ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat. Steinborn besteht darauf, „dass die bestehenden Geschäfte weiterentwickelt, Wachstum geschaffen und die hervorragenden Kompetenzen der Belegschaft ausgebaut werden. Die Mitarbeiter erwarten gerade in Zeiten des Wandels verlässliche und zukunftsorientierte Perspektiven statt kursichtigen margenfixierten Um- und Abbau.“

Ein Job-Abbau ist mit dem Programm nicht verknüpft. Auch in Zukunft, das betonen IG Metall und Siemens-Gesamtbetriebsrat, dürfe insbesondere die Standort- und Beschäftigungssicherung „Radolfzell“ nicht angetastet werden. Gleiches gelte auch für die Tarifbindung und Mitbestimmung. Um dies sicherzustellen, seien IG Metall und Betriebsräte als legitime Vertretung der Beschäftigten in den Prozess und die Gestaltung der Veränderungen uneingeschränkt einzubeziehen und an ihm zu beteiligen.


IG Metall gegen Holding-Struktur

Strittig im Vorfeld waren vor allem Überlegungen, die neuen Geschäftseinheiten rechtlich im Sinne einer Industrieholding zu verselbstständigen. Diese Absicht konnte abgewehrt werden. Auch auf mittel- und langfristige Sicht stellen sich IG Metall und Gesamtbetriebsrat klar und vehement gegen eine Holding-Struktur: „Für die Arbeitnehmerseite ist wichtig, dass die Neuaufstellung unter dem Dach der Siemens AG erfolgt“, betont Jürgen Kerner. „Den Weg in eine Holdingstruktur werden wir weiter nicht akzeptieren. Das Filetieren von Konzernen mit breitem Portfolio ist momentan zwar ein beliebtes Spiel der sogenannten Finanzmärkte, ein Unternehmen wie Siemens kann aus eigener Stärke agieren“, so das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall.

Nach dem Willen der Arbeitnehmervertreter sollen die Geschäftsbereiche auch in Zukunft eine gesellschaftsrechtliche Einheit bilden, deren Teile trotz einer definierten operativen Teilautonomie zusammen auftreten und gemeinsame Ziele verfolgen. Hierzu die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn: „Die neue Ausrichtung darf nicht dazu führen, dass Marke und Identität von Siemens als vernetzter Technologiekonzern verloren gehen.“


Siemens: Investitionen in Qualifizierung Zur Rubrik „Fokus Betrieb“

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