1. Juni 2011
Vereinbarkeit Familie und Beruf: Junge Menschen wollen beides
Zeit für Beruf und Leben
Junge Männer und Frauen sind nicht mit ihrem Job verheiratet. Sie wollen Zeit für Beruf und Familie haben. Auch Arbeitgeber und Politiker haben das Thema entdeckt. Doch konkret unterstützen sie die neuen Lebensmodelle der jungen Familien viel zu wenig. Beschäftigte und Betriebsräte nehmen ...

... deshalb das Heft in die Hand und sorgen für Betriebsvereinbarungen, die Beruf und Leben miteinander vereinbaren.

Simone Wolter ist Schlosserin und alleinerziehend. Die 34-Jährige hat einen 8-jährigen Sohn und arbeitet Teilzeit bei John Deere in Zweibrücken. „Ich will möglichst viel Zeit mit meinem Kind verbringen, aber ich will auch Geld verdienen“, erklärt die Saarländerin. 25 Stunden pro Woche arbeitet sie. Ihre Frühschicht beginnt morgens um sechs Uhr. „Wenn ich meine Mutter nicht hätte, wüsste ich nicht, wo ich mein Kind um die Uhrzeit hinbringen soll“, sagt Simone Wolter. „Mein Betreuungssystem greift wie Zahnräder ineinander.“

Bei Familie Helmerichs passt Papa Thomas auf die beiden Kinder, den Hund und die zwei Katzen auf. Er schmeißt den Haushalt. Seine Frau Franka, Betriebsratsvorsitzende bei den Norddeutschen Seekabelwerken, ernährt die Familie. Als der Sohn vor dreizehn Jahren kam, blieb erst sie ein Jahr zu Hause, dann ihr Mann. Als vor drei Jahren die Tochter geboren wurde, gab es dank Elterngeld für alle zwölf Monate Familienleben pur. „Quality-Time“ nennt sich das neudeutsch. Zeit, die keiner missen möchte. Zeit, die alle genossen haben.

Auch für Martina Schmitt und ihren Mann Andreas ist Vereinbarkeit selbstverständlich. Beide arbeiten Vollzeit in Berlin. Ihr Alltag ist durchorganisiert. Die 26-Jährige bringt den kleinen Sohn Karl morgens in die Kita. Andreas holt ihn nachmittags ab. Meistens läuft alles imTakt. Aber es gibt auch kleine und große Katastrophen. Wenn die Kita geschlossen ist, Karl krank wird oder ein Chef noch um 18 Uhr eine Sitzung machen will. „Dann drehen wir alle am Rad“, sagt Andreas Schmitt.

Kein Zustand für die IG Metall
Mit ihrem Wunsch nach Vereinbarkeit sind Familien wie die Wolters, Schmitts und Helmerichs leider meistens auf sich selbst gestellt. Bei Politikern und Arbeitgebern finden sie nur wenig Unterstützung. Dabei wollen immer mehr Beschäftigte Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Doch aktuell steht eher die Sonderschicht als ein gemeinsamer Zoobesuch auf dem Familienplaner.

Der Grund: Vorgesetzte zeigen häufig zu wenig Verständnis. In den meisten Städten gibt es immer noch zu wenig Kindergartenplätze für die ganz Kleinen. Ganztagsbetreuung in Schulen bleibt die Ausnahme. Teilzeit ist für viele eine Lohn- und Karrierebremse. Und Auszeiten, um die kranken Eltern zu pflegen, können sich die meisten Angehörigen gar nicht leisten.

Dabei werden sich Politik und Wirtschaft künftig stärker als bisher an vernünftigen Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit beteiligen. Um Facharbeiter im Betrieb zu halten oder gut ausgebildete Frauen in den Job zurückzuholen müssen Arbeitgeber und Politiker was tun, sind Wissenschaftler wie der Jurist Christian Paschke von der Universität Frankfurt/Oder überzeugt. Doch selbst Vordenker beim Thema Vereinbarkeit wie Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser scheuen verbindliche Regelungen. Die meisten Arbeitgeber wollen selbst bestimmen, was sie Familien bieten, statt es sich vom Gesetzgeber vorschreiben zu lassen.

Politik muss sich ändern
Für die IG Metall ist ganz klar: Wirtschaft und Politik könnten mehr für die Vereinbarkeit tun. „Es ist höchste Zeit, dass die Politik die Rahmenbedingungen weiter verbessert“, fordert der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel. Zum Beispiel bei der Betreuung. Zwar soll es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für alle Kinder über einem Jahr geben. „Denn zurzeit werden nur 20 Prozent der unter 3-Jährigen außerhalb der Familie betreut“, kritisiert Wetzel.

Aber auch die IG Metall muss das Thema stärker in ihre Arbeit aufnehmen und die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben in Tarifverträgen regeln. Wetzel: „Wir brauchen Arbeitszeitmodelle, die sich an den Interessen und Bedürfnissen von Männern und Frauen orientieren. Arbeitszeitflexibilität darf keine Einbahnstraße sein.“ Und: Die IG Metall fordert, die Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen.

Welchen Stellenwert Vereinbarkeit bereits hat, macht eine Umfrage der Hertie-Stiftung deutlich, die auch Studien der IG Metall bestätigen: Für 54 Prozent der jungen Berufstätigen mit Kindern ist Vereinbarkeit genauso wichtig wie das Gehalt. 67 Prozent würden den Arbeitgeber wechseln, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu optimieren. Und 94 Prozent sind zufriedener, wenn sie beides miteinander verbinden können.

Auf der Wunschliste: individuelle Arbeitszeitregeln
Dass zufriedene Beschäftigte motivierter, produktiver und auch loyaler sind, hat die Herforder Bekleidungsfirma Bugatti begriffen. Dort gibt es für die rund 350 Beschäftigten 300 individuelle Arbeitszeitregeln, die Vereinbarkeit garantieren, freut sich Betriebsratsvorsitzende Beate Ueckert. Aber: „Von nichts kommt nichts“, erklärt sie, die gemeinsam mit den Bugatti-Beschäftigten solange Druck gemacht hat, bis die Rahmenbedingungen stimmten.

Gleit- und Langzeitkonten aber vor allem auch Verbindlichkeit bei der Planung stehen auf der Wunschliste der Beschäftigten ganz oben, beobachten Betriebsräte. Ein weiteres Thema: Wie stocke ich meine Teilzeit wieder auf? Denn gerade Frauen in Teilzeit würden gerne länger arbeiten, fand das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heraus. „Ein zeitnaher Wechsel von Voll- in Teilzeit und umgekehrt muss möglich sein“, fordert Wetzel. Und noch etwas muss sich ändern: Teilzeitler sind häufig benachteiligt, wenn es um Sonderzahlung, Gehaltserhöhung oder Weiterbildung geht.

Vereinbarkeit ist übrigens nicht nur ein Frauenthema. Während Teilzeit-Mütter eher länger arbeiten wollen, wollen die Papas kürzertreten. Eine Umfrage der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen ergab, dass gerade die Männer kürzer arbeiten möchten.

Boom ist schlecht für Vereinbarkeit
Doch statt kürzerer Arbeitszeit gibt es derzeit zu viele Überstunden und Sonderschichten. Zum Beispiel bei VW Nutzfahrzeuge in Hannover. „Die Grenze der Belastbarkeit für die Beschäftigten und deren Familien ist erreicht“, erklärt Thomas Zwiebler, der Betriebsratsvorsitzende. Seit Mitte letzten Jahres sind die Auftragsbücher so voll, dass das Unternehmen samstags Sonderschichten fährt. Jetzt will der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber über Lösungen verhandeln, wie trotz der gesteigerten Produktion die Belastung reduziert werden kann.

Zusätzliche Schichten belasten auch bei der Firma Probat, einem Maschinen- und Anlagenbauer für die Kaffeeverarbeitung in Emmerich, die Familien, beobachtet Betriebsratsvorsitzender Gerhard Gertsen. „Alles was vom Alltag abweicht, ist ein Problem“, sagt er. Ist das Jammern auf hohem Niveau? Schließlich sollten doch jetzt nach der Krise alle wieder froh sein, dass es aufwärts geht. „Sind die Beschäftigten ja auch“, betont der Betriebsrat. Aber gerade junge Familien haben Probleme, den durchgetakteten familiären Alltag zu meistern. Zum Beispiel die Schlosserin Simone Wolter aus dem Saarland: Weil die Wirtschaft wieder boomt, muss sie viele Überstunden leisten. Manchmal bis zu 15 Stunden die Woche. Zum Glück kann ihr Sohn nachmittags in der Schule bleiben oder die Oma springt ein. Doch wer keine Ganztagsschule oder Oma hat, hat derzeit automatisch ein Betreuungsproblem.

Der Druck auf die Familien steigt und das schlägt sich auch auf die Produktivität nieder, weiß Gertsen. „Wir versuchen zwar für die Mitarbeiter gute, individuelle Lösungen zu finden und gehen, wenn die Mutter gepflegt werden muss, gemeinsam mit den Kollegen bis zur Geschäftsleitung“, sagt Gertsen. Seiner Meinung nach müssten aber vor allem die direkten Vorgesetzten wie Meister oder Gruppenleiter mehr Flexibilität und Verständnis für die jungen Familien zeigen.

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