16. März 2021
INTERVIEW IN DER BILD AM SONNTAG
Deshalb fordert die IG Metall trotz Corona 4 Prozent mehr Lohn
IG Metall-Chef Hofmann sagt: „Wer Milliarden an Aktionäre ausschüttet, kann auch seine Beschäftigten ordentlich bezahlen“

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann (65) liefert sich mitten in der Pandemie einen Arbeitskampf mit der Metall- und Elektrobranche, coronakonforme Warnstreiks mit bis zu 230.000 Teilnehmern inklusive! Morgen gehen die Verhandlungen in NRW weiter, ein Abschluss in den kommenden Tagen gilt aber als unwahrscheinlich.


Herr Hofmann, nächste Woche jährt sich der erste Lockdown. Wie sind Ihre 2,2 Millionen Mitglieder durch das Corona-Jahr gekommen?

JÖRG HOFMANN: Es war eine Achterbahnfahrt. Homeoffice, Kurzarbeit, Zukunftsangst. Aber seit der Sommerpause geht es mit weiten Teilen der Industrie deutlich aufwärts.


Sie streiken mitten in der Krise für vier Prozent mehr Gehalt. Was soll das?

Die Krise ist für viele Unternehmen vorbei. Deren Kapazitäten sind fast vollständig ausgelastet, viele fahren Sonderschichten. Die Kernbranchen wie Fahrzeugbau oder Stahl verdienen wieder kräftig. Dieses positive Bild gilt nicht für alle Branchen und wird aktuell durch Lieferprobleme von Halbleitern aus Asien getrübt. Wir haben unter dem Eindruck der Pandemie im letzten Jahr auf eine Lohnerhöhung verzichtet. Jetzt müssen die Kaufkraft der Arbeitnehmer und die Nachfrage gestärkt werden, sonst geht es mit dem Aufwärtstrend nicht weiter. Die Inflation kennt keinen Stillstand in der Pandemie. Und sie steigt wieder.
 

Die Arbeitgeber sehen "keinerlei Verteilungsspielraum". Gefährden Sie mit Ihren Warnstreiks den Aufschwung?

Das ist Wortgeklingel der Arbeitgeber. Große Unternehmen wie Daimler oder VW zahlen fette Dividenden. Ich sage: Wer Milliarden an seine Aktionäre ausschüttet, kann auch seine Beschäftigten ordentlich bezahlen.
 

Ihre Mitglieder verdienen im Jahresschnitt 60.700 Euro. In der Altenpflege sind es gerade mal 36.400 Euro. Ist das gerecht?

Skandalös daran sind die niedrigen Gehälter in der Pflege. Die Beschäftigten dort kriegen ja nicht mehr, wenn wir zurückstecken. Im Gegenteil: Die Wirtschaftskraft muss zulegen, die Leute brauchen mehr Geld in der Tasche. Das stärkt die Sozialsysteme und verhindert, dass die Ungleichheit in diesem Land weiter zunimmt.


Die Verhandlungen laufen seit Dezember. Bis wann werden Sie sich einig?

Wir wollen bis Ostern zu einem Ergebnis kommen. Aber die Arbeitgeber müssen jetzt endlich mal ein Angebot vorlegen. Null Komma null ist keine Verhandlungsbasis.
 

Und so lange streiken Sie?

Auch unter Corona-Bedingungen sind Warnstreiks möglich. Das werden wir in den nächsten Wochen noch deutlicher machen.
 

Dient die Corona-Krise als Vorwand für Stellenstreichungen?

Leider ja. Es ist nicht in Ordnung, erst staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und dann Standorte in Deutschland zu schließen und in Billiglohnländer zu verlagern. Insgesamt haben wir trotz aller Gegenwehr im letzten Jahr 120.000 Arbeitsplätze verloren.
 

Wie kann das verhindert werden?

Das Mindeste ist, dass jedes Unternehmen einen Zukunftsplan hat. Die Hälfte der Beschäftigten sagt laut unseren Umfragen: Ich erkenne bei meinem Arbeitgeber keine Strategie beim Thema Digitalisierung. Das ist brandgefährlich. Jedes Unternehmen sollte daher verpflichtet werden, seine Zukunftsstrategie offenzulegen und die Mitarbeiter in den Strukturwandel mit einzubeziehen – vor allem beim Thema Weiterqualifizierung.


US-Elektroauto-Hersteller Tesla baut gerade ein riesiges Werk in Brandenburg. Macht Sie das optimistisch?

Es freut mich, dass Tesla erkannt hat, dass Deutschland ein attraktiver Ort für Investitionen ist. Da können sich deutsche Arbeitgeber eine Scheibe abschneiden. Und wenn Elon Musk in seiner Gigafactory Fachkräfte beschäftigen möchte, wird er die IG Metall und unsere Tarifverträge kennenlernen. Die Arbeiter dort werden auch mit Tarifvertrag drei Stunden pro Woche länger für ihr Geld arbeiten müssen, weil das Werk im Osten steht. Es kann nicht sein, dass selbst in der wirtschaftsstarken Metall- und Elektrobranche ein Arbeiter im Osten für weniger Geld in der Stunde rackern muss als ein Arbeiter im Westen.


Warum gibt es diese Lohnungleichheit 30 Jahre nach der Wende überhaupt noch?

Weil Unternehmen wie Volkswagen in Zwickau oder Porsche und BMW in Leipzig diese Lücke ausnutzen. Wir dürfen nicht weiterhin zulassen, dass es in Deutschland Beschäftigte zweiter Klasse gibt. Dieses Relikt aus der Wendezeit gehört in dieser Tarifrunde endlich abgeräumt.


Müssen große Betriebe ihren Mitarbeitern eine Impfung durch den Betriebsarzt ermöglichen?

Jedes Unternehmen mit Betriebsarzt sollte seinen Mitarbeitern Impfungen anbieten, sobald sie entsprechend der Impfordnung an der Reihe sind.

Das Interview ist am 14. März 2021 in der Bild am Sonntag erschienen. Autoren: Thomas Block/Roman Eichinger

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