13. März 2020
INTERVIEW IN NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG
Corona-Krise: IG Metall fordert Lohnzuschüsse
Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, zu Kurzarbeitergeld und Binnennachfrage

Nicht nur Unternehmen brauchen in der Corona-Krise weitere Hilfen, sondern auch die Beschäftigten. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann drängt auf Lohnzuschüsse über das Kurzarbeitergeld hinaus. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung warnt der Gewerkschafter davor, die Verunsicherung der Menschen durch Unsicherheit über die Einkommen zu verstärken.


Herr Hofmann, die Ausbreitung des Coronavirus verstärkt Konjunktursorgen und Rezessionsängste. Wie stark ist die Wirtschaft bereits infiziert?

Die Lage ist kompliziert. Auch ohne das Coronavirus war es schon eine große H e r a u s f o r d e r u n g , W i r t s c h a f t , Arbeitsplätze und Einkommen zu stabilisieren. Jetzt gibt es ein Problem mehr, und es ist klar: Wir brauchen zusätzliche Maßnahmen, so schnell wie möglich.


Die Bundesregierung hat ein Bündel von Maßnahmen verabschiedet. Unter anderem wird der Zugang zum Kurzarbeitergeld erleichtert. Reicht das aus?

Bei der Kurzarbeit hat die Bundesregierung richtigerweise einen Schritt getan. Nachholbedarf sehe ich noch bei den Liquiditätshilfen, also bei der Frage: Wie bekommen Unternehmen, denen wegen der Corona-Krise Aufträge wegbrechen, Überbrückungskredite? Allein mit Kurzarbeitergeld wird vielen Unternehmen nicht geholfen sein.


Ist denn für die Beschäftigten ausreichend gesorgt?

Kurzarbeit sichert Beschäftigung und hilft den Betrieben, nach dem Ende der Krise die Produktion schnell wieder hochzufahren. Das ist gut so. Es kann aber nicht sein, dass Beschäftigte beim Bezug von Kurzarbeitergeld massive Einkommensverluste hinnehmen müssen. Kurzarbeitergeld bedeutet 60 Prozent vom Netto-Einkommen. Ein Arbeitnehmerhaushalt hat dann nach der Mietzahlung und anderen laufenden Verbindlichkeiten kaum etwas über.


Was schlagen Sie vor?

Während der Krise 2008/2009 haben wir mit den Arbeitgebern vereinbart, Zuschüsse zu geben, sodass das Nettoentgelt der Beschäftigten einigermaßen gesichert blieb. Das muss auch jetzt wieder so geregelt werden. Es ist auch deshalb wichtig, damit uns die Binnennachfrage nicht abschmiert. Die Menschen sind schon jetzt über Corona höchst verunsichert. Kommt nun noch die Unsicherheit über das Einkommen dazu, dann wirkt dies wie ein Brandbeschleuniger für eine tiefe Rezession, der private Konsum als stabile Stütze der Konjunktur stürzt ab. Insofern ist das Hilfepaket in der Corona-Krise noch nicht vollständig. Da muss noch mehr kommen.


Gibt es denn schon Gespräche mit den Arbeitgebern?

Da, wo es nicht schon Zuschussregelungen in den Tarifverträgen gibt, reden wir mit den Arbeitgebern. Aber da höre ich im Moment noch sehr gemischte Töne. Es ist schade, dass sich hier offensichtlich einige Arbeitgeberverbände unserer gemeinsamen Verantwortung für Arbeit und Wirtschaft entziehen.


Die Ausbreitung des Coronavirus hat schmerzlich in Erinnerung gerufen, wie abhängig unsere Wirtschaft von internationalen Lieferketten ist. Ist es an der Zeit, wieder mehr Produktion nach Deutschland zu holen und unabhängiger von Zulieferern zu werden?

Auch diese Frage stellt sich schon länger. Es ist zum Beispiel auffällig, in welche Abhängigkeiten wir in wichtigen Innovationsbereichen kommen. Wir erleben das gerade im Fahrzeugbau. Ein Beispiel sind die Batteriezellen. Da droht aufgrund von Unentschlossenheit und verspäteter Entscheidungen auf deutscher und europäischer Ebene eine massive Abhängigkeit von wenigen oligopolistischen Anbietern in Fernost. Das ist ein großer Nachteil im internationalen Wettbewerb. Ziel muss es also sein, geschlossene Wertschöpfungsketten in Europa zu sichern beziehungsweise aufzubauen.


Immerhin liegt ja jetzt die Industriestrategie der EU-Kommission vor. Ihr Urteil?

Die Strategie ist ein wichtiges Signal des Aufbruchs. Den Worten müssen aber auch hier Taten folgen. Die Frage ist: Wie gelingt es, die europäische Industrie mit ihren qualifizierten Mitarbeitern zu sichern und nach vorne zu bringen, auch und gerade mit Blick auf Herausforderungen wie Klimaschutz und Digitalisierung.


Die Gewerkschaften wollen den massiven Strukturwandel – etwa in der Autoindustrie – durch sogenannte Zukunftspakete begleiten. Wie ist die Bilanz der ersten Gespräche mit den Arbeitgebern?

Es gibt konstruktive Gespräche, aber leider noch keine Ergebnisse. Das heißt: Wir müssen noch mehr Geschwindigkeit aufnehmen, damit wir bis Ostern zu einer Lösung kommen. Ich bleibe aber optimistisch und halte das für machbar und sinnvoll – umso mehr, als durch die Corona-Krise weitere konjunkturelle Risiken drohen.


Ein Scheitern der Gespräche ist aber nicht ausgeschlossen …

Natürlich stellen wir uns auch darauf ein. Denn Fakt ist: Am 28. April endet die Friedenspflicht, und dann könnten wir zu Warnstreiks aufrufen.


Während die IG Metall Beschäftigungssicherung in den Fokus rückt, betonen die Arbeitgeber die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu stärken. Ist da noch Spielraum für eine bessere Bezahlung?

Unser Ziel bleibt es, die Kaufkraft der Beschäftigten zu stärken. Das wird immer wichtiger, denn die Binnennachfrage ist nun einmal die tragende Stütze der deutschen Konjunktur. Aber klar ist auch, wir haben einen realistischen Blick auf das, was ökonomisch machbar und sinnvoll ist.


Ziel der EU-Industriestrategie ist es auch, die Digitalisierung voranzutreiben. Was bedeutet das für die Zahl der Mitarbeiter in der Metall- und Elektroindustrie? Wird es am Ende mehr oder weniger Jobs geben?

Es wird Arbeitsplätze geben, die wegfallen. Und es wird neue Arbeitsplätze geben. Entscheidend ist dabei vor allem: Werden die neuen Jobs in Deutschland entstehen? Oder nutzen die Arbeitgeber den strukturellen Wandel noch einmal zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer? Die zweite Frage ist: Gelingt es, die Arbeitnehmer auf dem Weg der Veränderung mitzunehmen? Oder bleiben da Hunderttausende zurück?

Das Interview ist am 13. März 2020 in der Neuen Osnabrücker Zeitung erschienen. Autor: Uwe Westdörp
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