3. Mai 2011
Arbeitsbedingungen im Handwerk
Hand ab, Klappe zu
Miese Arbeitsbedingungen, lausige Löhne, überlange Arbeitszeiten: Das ist die Realität in vielen Handwerksbetrieben. Vielleicht gerade deswegen: Die Branche versucht, mit Imagekampagnen ihren Ruf aufzupolieren und Nachwuchs zu locken.

„Bei uns war das wie Feudalismus, nur die Fußfesseln fehlten“, erzählt René Buder*. Er arbeitete bis vor etwa einem Jahr bei der Tischlerei Drogoin, einem 180-Köpfe-Betrieb nahe der polnischen Grenze. 6,50 Euro die Stunde, bis zu 60 Stunden in der Woche, Überstunden gratis.

Und häufige Arbeitsunfälle. Einmal riss sich ein junger Geselle mit einer Fräse zwei Finger ab. Die Fräser-Einsätze hatten keine Spanbegrenzung und sind seit Jahrzehnten verboten, berichten ehemalige Kollegen. Die Sache wurde vertuscht. Der Geselle machte aus Angst mit. „Wer stellt Dich schon ein, wenn Dir zwei Finger fehlen?“

Und die Azubis? „Die waren von Anfang an nur auf Montage, oft samstags und in Zwölf-Stunden-Schichten. Gelernt haben die nichts.“ Schließlich hatten Buder und einige andere die Nase voll und wollten einen Betriebsrat wählen. Doch kaum hing die Einladung zur Wahl im Betrieb, schlug die Geschäftsleitung zurück, führte Einzelgespräche und drohte mit Verlagerung. „Wer einen Betriebsrat will, soll die Hand heben“, hieß es in der Betriebsversammlung. Die Hände blieben unten.

Immer mehr Betriebsrats-Befürworter fielen um. Buder und einige andere verließen entnervt den Betrieb. Drogoin räumt derweil mit billigen Preisen Aufträge ab. Sogar im Kanzleramt war die Tischlerei schon. „Die sauberen Betriebe haben da kaum eine Chance“, erklärt Buder.

Ein krasser Einzelfall?
Die „schwarzen Schafe“ werden immer mehr, findet Herbert Gareis. Nachdem sein früherer Betrieb, „sauber“ und mit Tarif, Insolvenz anmelden musste, fing er bei einem Gebäudetechnikbetrieb an. „Da arbeiten vor allem Leihbeschäftigte und osteuropäische Kollegen, zwölf Stunden am Tag – aber nur acht bezahlt. Kein Fahrgeld, keine Arbeitskleidung. Und bei minus acht Grad ohne Bauwagen.“Und doch bekommt der Betrieb massig öffentliche Aufträge, etwa für das Bundessozialgericht und das Finanzamt in Kassel.

Gareis und seine Kollegen im Handwerksausschuss der IG Metall Mittelhessen haben Politiker in der Region angeschrieben. „Wir beobachten, dass die Arbeitsbedingungen im Handwerk immer schlechter werden. Von den Autohäusern bis zu den Zahntechnikern.“ Sie fordern: Keine öffentlichen Aufträge mehr an Betriebe ohne Tarif. Bislang kam keine Antwort.

Zahntechniker-Handwerk: Klingt klinisch sauber. Doch auch hier nehmen die Missstände zu. Dumpinglöhne, unbezahlte Überstunden, Infektionsgefahr durch mangelnde Hygiene, fehlende Schutzkleidung – und Haushalts-Staubsauger statt vorschriftsmäßiger Absaugung.

„Das Weißkittel-Image, das die Branche aufbaut, täuscht“, sagt Richard Bald, Sachverständiger des IG Metall-Fachausschusses Zahntechnik und Berufsschullehrer. „So sieht die Ausbildung häufig aus: Hilfsarbeiten, alleine ohne Meister, Mobbing. Und die Handwerkskammern schauen systematisch weg.“

Die Kammern schauen weg
Die Gewerbeaufsicht ist überfordert. Bei einem Kontrolleur auf 20 000 Beschäftigte kein Wunder. Ohne Betriebsrat und Gewerkschaft haben Handwerk-Beschäftigte kaum Schutz. Vor allem die Azubis sind betroffen: Überstunden, monotone Hilfsarbeiten, Putzen, Auto waschen für den Chef.

Was tun?
„Wenn alle zusammenhalten, kann man was bewegen“, sagt Thomas Jagmann, Betriebsratsvorsitzender im Audi-Zentrum Leipzig. Vor drei Jahren hatte der heute 26-jährige Kfz-Mechatroniker gerade mal 900 Euro netto. Im Handwerk bietet auch ein renommierter Name nicht automatisch bessere Arbeitsbedingungen. Einfach nicht gerecht, fand Jagmann. Er wurde in den Betriebsrat gewählt und ging auf IG Metall-Seminare über Recht und Tarife.

„Ich kämpfe für einen Tarifvertrag“, erklärte er auf einer Betriebsversammlung. „Jeder kann für sich entscheiden, ob er mitmacht.“Und die Beschäftigten stellten sich hinter ihn. Immer mehr traten der IG Metall bei. Sie verhandelten und drohten mit Warnstreik. Schließlich unterschrieb die Geschäftsleitung den Tarifvertrag: zunächst bis zu 300 Euro mehr Geld. Und es geht weiter schrittweise hinauf. Ab 2013 gilt der Kfz-Flächentarif. Jagmann freut sich schon jetzt: „Ende Mai gibt es das erste Mal Urlaubsgeld.“
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* Name geändert. Richtiger Name der Redaktion bekannt

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