11. August 2010
Zu Besuch bei Günter Wallraff
Der Unbestechliche
Egal, ob als türkischer Leiharbeitnehmer Ali, als Hans Esser bei der Bild-Zeitung, als Obdachloser im Winter oder als Afrikaner in Deutschland: Der Metaller Günter Wallraff deckt in seinen Reportagen Missstände auf und gibt Menschen „ganz unten“ ein Gesicht. Seine Bücher sind Bestseller mit ...

... Millionenauflage und wurden in 38 Sprachen übersetzt.

In Brasilien, Frankreich, Ghana oder Italien berufen sich Menschen auf die Bücher von Wallraff und gehen selbst verdeckt gegen Missstände vor. Die Schweden kennen den Begriff „Wallraffa“. Er bedeutet, in eine andere Rolle zu schlüpfen und so die Gesellschaft zu durchleuchten.

Unabhängig
Seine Karriere als investigativer Journalist fing bei der metallzeitung an. Hier stellte er seine Industriereportagen einem größeren Publikum vor. Von Millionenauflagen und Bestsellerlisten war damals noch keine Rede. Trozdem lehnte Wallraff das „freundliche Angebot“ eines Unternehmers ab – der bot ihm das Zehnfache dessen, was die metallzeitung bezahlte, und die Veröffentlichung unter Pseudonym. „Das war ein ganz klarer Bestechungsversuch“, erinnert sich Wallraff, der immer viel Wert auf seine Unabhängigkeit legte.

Bestechung war nicht die einzige Methode, ihn zu diskreditieren. Der Arbeitgeberverband BDA veröffentlichte in Zusammenarbeit mit dem Gerling-Konzern eine Schmähschrift mit dem Titel „Dichtung als Waffe im Klassenkampf am Beispiel Wallraff“. Das war ein unfreiwilliges Kompliment für ihn. „Da wurden meine Reportagen in den Rang der Dichtung erhoben.“

Fast bei jedem Buch wurde er mit Kampagnen und Prozessen überzogen. Wallraff hat sie alle gewonnen, auch gegen die Bild-Zeitung. Sein neuester Bestseller „Aus der schönen neuen Welt“ blieb bis jetzt ohne Prozess. Es hat sich herumgesprochen, dass ein Prozess noch größere Aufmerksamkeit auf die Missstände lenkt. „Eigentlich schade. Ich hätte gerne den Unrechts-Anwalt Naujoks vor Gericht getroffen“, bedauert Wallraff. Zu gerne hätte er Zeugen aufgeboten vor Gericht, die der „Betriebsrats-Killer“ durch gezielte Schikanen und detektivische Bespitzelung drangsaliert hatte, bis hin zum Selbstmordversuch. Viele waren danach für ihr ganzes weitere Leben traumatisiert.

Erfolgreich
Mit seinen Büchern hat Wallraff viel bewegt. Seine Enthüllungen über die Bildzeitung führten zum „Lex-Wallraff“-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Zum ersten Mal bewertete der BGH das Interesse der Allgemeinheit an Missständen höher als wirtschaftliche Interessen.

Auch „Ganz unten“, das Buch über seine Erfahrungen als „Türke Ali“ in Deutschland, veränderte einiges. Betriebe können die Verantwortung für ihre Leiharbeiter seither nicht mehr auf die Subunternehmen abwälzen. „Ali“ wurde 1985 zur beliebtesten Figur im Ruhrgebiet gewählt. „Für viele türkische Kollegen war es das erste Buch, das sie auf Deutsch lasen. Es gab ihnen Selbstbewusstsein“, erinnert sich Wallraff. Nachdem er selbst erlebt hat, was es heißt, Leiharbeiter zu sein, unterstützt er jetzt voller Überzeugung die Leiharbeitnehmer-Initiative der IG Metall „Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“.

Sein neuestes Buch „Aus der schönen neuen Welt“ ist eine Sammlung verschiedener Reportagen. Hierfür schlüpfte er im Winter in die Rolle eines Obdachlosen. Am bittersten waren für ihn die Nächte, eingesperrt in einem alten Bunker in Hannover ohne Frischluft. Der öffentliche Druck durch das Buch sorgte dafür, dass der Bunker geschlossen wird.

Zäh
Mit über 60 noch mal für eine Reportage in einer Backfabrik zu schuften, sich in Call-Centern nerven zu lassen und Kunden übers Ohr hauen zu müssen, sich mit Starbucks und der Bahn anzulegen, das braucht viel Kraft. Wallraff hält sich fit mit Laufen und Hochseekajak-Touren.


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