Spitze: Für ihre Gewerkschafts- arbeit nahm Ulla Müller im Jahr 2006 das Bundesverdienst- kreuz entgegen. Juni 2021 | metallzeitung 21 e d . o t o f t i s n a r t / z t n e l o P . v n a i t s i r h C : o t o F Vom Betriebsrat wurde sie Mitte der 70er-Jahre für den Wirtschaftsausschuss und den Aufsichtsrat bestimmt. »Dann kamen die ganzen Schulungen«, erinnert sie sich. Besonders ist ihr ihr erstes Aufsichtsratsseminar im Ge- dächtnis geblieben. »Da saßen die ganzen Aufsichtsräte von VW, Mercedes und BMW – und nur Kerle.« Ulla war die einzige Frau. Ob sie sich nicht im Seminarraum verirrt habe, fragte sie einer der Männer im Raum. Ulla antwor- tete: »Wieso, hier an der Tür steht doch: für Aufsichtsräte.« Durch ihre offene Art habe sie sich schnell mit allen ver- standen, sagt Ulla. Trotzdem musste sie sich durchbeißen. »Ich habe natürlich geackert wie eine Verrückte. Wenn die anderen abends zusammen ein Gläschen getrunken haben, habe ich gebüffelt.« Ihr Ziel war es nicht, nur so gut wie die Männer zu sein, sie wollte besser sein. »Da lernt man sich selbst mal so richtig kennen. Was man alles kann und wie man sich durchsetzen kann.« Und sie setzte sich durch. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich das bestehen kann. Ich war ungelernt und da saßen lauter erfahrene Leute. Aufsichtsratsmitglied sein ist ja nun nicht gerade ein Pappenstiel«, weiß Ulla. Doch sie bestand die Prüfung. Die Kämpfe im Betrieb Obwohl Bosse Telefonbau ein Betrieb mit vielen Frauen war – Akkordarbeit war häufig eine »Frauenangelegen- heit« –, hatten es die Frauen mit zunehmendem Anteil an männlichen Facharbeitern schwer. Manche Kollegen ver- weigerten die Arbeit, wenn die Meisterin eine Frau war. »Den haben wir schnell gezeigt, wie der Laden läuft«, sagt Ulla. »Bosse-Frauen waren taff. Das wusste jeder.« Trotz- dem blieb sie die einzige Frau im Aufsichtsrat. »Das war ein einsamer Kampf.« Wenn neue Führungskräfte kamen, hat die Geschäftsleitung sie vor Ulla gewarnt. »Die haben so getan, als wäre ich die Hexe vom Dienst.« Respekt er- hielt sie trotzdem – »weil ich nie etwas getan habe, das der Firma geschadet hat«, sagt Ulla. »Wir haben unsere Firma ja geliebt. Wir haben alles dafür getan, dass der Laden läuft.« Der Untergang ließ sich trotzdem nicht aufhalten. In den 90ern ging Bosse Telefonbau insolvent. Bis sie auf- grund einer Krebserkrankung in Frührente gehen musste, erkämpfte Ulla für die Beschäftigten einen guten Sozial- plan. Aber einmal Verantwortung, immer Verantwortung muss Ulla sich gedacht haben, nachdem ihre Krankheit be- siegt war. Damals baute sie den IG Metall-Seniorenarbeits- kreis in Berlin mit auf. Für ihre Gewerkschaftsarbeit nahm sie 2006 das Bundesverdienstkreuz entgegen. Ulla ist zu- frieden mit ihrem Lebenswerk. »Ich habe mich für andere eingesetzt und bin stolz auf das, was ich geleistet habe.« Jetzt wünscht sich Ulla, dass noch mehr Frauen in Füh- rungspositionen kommen. »Das wird doch auch Zeit«, sagt sie. Dass Quoten nichts Neues sind und funktionieren kön- nen, weiß sie aus eigener Erfahrung. »Wir haben unsere Quoten für Delegierte doch auch immer bei allen Wahlen erfüllt.« Machbar ist es also, jetzt müssen die Jüngeren ran. DAS GESETZ SOLL DRUCK AUFBAUEN Noch heute sind Frauen deutlich seltener in Führungspositionen vertre- ten. Nur 15 Prozent der Führungsposten in den 30 DAX-Unternehmen besetzen Frauen. In Aufsichtsräten liegt der Frauenanteil mit 35 Pro- zent deutlich höher, das aber auch erst seit der 2016 gesetzlich einge- führten Quote für Aufsichtsräte, die 30 Prozent beträgt. Ein Gesetz soll dafür sorgen, dass mehr Frauen in Führungs - positionen vertreten sind. Im Gesetz ist seit 2016 vorgesehen, dass sich größere Unternehmen eine Zielquote für den Frauenanteil in den Vorständen setzen. Geplant ist, dass Unternehmen, die sich hier das Ziel null setzen, das künftig gesondert begründen müssen. Ansonsten drohen Bußgelder. Im Entwurf für das Führungspositionen-Gesetz II ist auch vorgesehen, dass Vorstände, die aus mehr als drei Personen bestehen, mindestens eine Frau berufen müssen. Das betrifft etwa 70 Vorstände in Deutschland. Etwa 35 müssen handeln. »Das ist ein wichtiger Schritt, um mehr Frauen in Vorstände zu bringen – aber auch, um mehr Bewegung in den Ebenen darunter zu erzeugen. Frauen brauchen gute Entwicklungsmöglichkeiten auf allen Ebenen«, sagt Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall.