Wellenbrecher FLÜCHTLINGSHILFE Vier Wochen lang arbeitet Raimund Meß als Mechaniker auf einem Schiff im östlichen Mittelmeer. Zusammen mit anderen jungen Ehrenamtlichen aus ganz Europa engagiert sich der Metaller in der Flüchtlingshilfe. Was treibt ihn an? | Von Jan Chaberny | Foto: Frank Rumpenhorst P lötzlich sind da Lichtkugeln, gelb strahlende Suchscheinwerfer am Hori- zont. Unaufhörlich schwenken sie über das nachtschwarze Meer, von links nach rechts und wieder zurück. Ein hastiger Blick auf den Bordcompu- ter – viele kleine Punkte auf dem Radar: eine Ansamm- lung von Booten irgendwo da draußen, mitten in der Nacht. Da müssen sie hin, das ist klar. Deshalb sind sie ja da. »Wir haben den Motor angeworfen«, sagt Rai- mund Meß jetzt, an einem kalten Novembertag, einen Monat nach seiner Rückkehr an Land. Einen Monat, nach seiner Rückkehr aus der Ägäis, wo er, zusammen mit anderen jungen Menschen, zwischen der griechi- schen Insel Lesbos und dem türkischen Festland un- terwegs gewesen war: Mit einem alten Schiff, der Mare Liberum, 21 Meter lang, fünf Meter breit, immer entlang der europäischen Grenze, immer auf der Su- che nach Flüchtlingsbooten. »Als wir ankamen, wur- den wir bereits erwartet«, sagt Raimund Meß. Schiffe der Küstenwache voraus, Fragen über Funk. »Mare Li- berum, what is your intention?« Mare Liberum, was ist Ihre Absicht? Das ist eine Frage, die man auch Raimund Meß stellen kann, und wenn man sie stellt, an diesem kalten Novembertag, dann erzählt Raimund, dass es ihre Ab- sicht und Aufgabe gewesen sei, so nah wie möglich an die Flüchtlingsboote ranzufahren, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, dabei zu sein und detailliert zu protokol- lieren und zu dokumentieren, was in der Ägäis ge- schieht, Tag für Tag, Nacht für Nacht. »Die Bedingun- gen für Bootsüberfahrten sind alles andere als sicher«, erzählt Raimund Meß, und während er das alles er- zählt, muss man ihn irgendwann sanft unterbrechen: Halt, Raimund, halt! Nun sag einmal: Was ist Deine Ab- sicht gewesen? Warum bist Du im Spätsommer nach Lesbos gereist? Warum auf dieses Schiff gegangen? »Ich wollte mir ein Bild von der Situation vor Ort machen«, sagt Raimund da. »Ich wollte vor allem meinen Teil dazu beitragen, um auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam zu machen, die mit klapp- rigen Booten die Überfahrt von der Türkei nach Grie- chenland wagen. Es ist mir wichtig zu verstehen, was dort passiert.« Das ist nicht einfach so gesagt, soziales Engage- ment zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Raimund Meß: Mit 16 macht der gebürtige Thü- ringer eine Ausbildung zum Gießereimechaniker bei einem mittelständischen Automobilzulieferer, mit 17 wird er IG Metall-Mitglied. Politisch aktiv ist er seit sei- ner Jugend. Seit den Tagen, als Schulfreunde, mit de- nen er vorher Fußball spielte, plötzlich anfingen, über Ausländer zu schimpfen. Nun, mit 29, ist er auf dem Weg, Gewerkschaftssekretär zu werden. »Da kann ich mich für gute Arbeitsbedingungen einsetzen und meine Erfahrungen und Kompetenzen einbringen.« Das konnte er auch auf dem Schiff. Ende Juli schreibt Raimund Meß eine E-Mail an Mare Liberum, ein transnationaler, ehrenamtlicher Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit ei- nem eigenen Schiff Beobachtungsfahrten auf der Ägäis durchzuführen. Schnell ist man sich einig – Rai- mund soll als Mechaniker auf der Mare Liberum an- heuern. Die Crew braucht dringend einen Fachmann, der die Lenkung des Beiboots reparieren, der eine So- laranlage auf dem Dach des Schiffs installieren kann. Schichtdienst An einem Montag Mitte September kommt Raimund an Deck, mit dabei ist ein Portu- giese, ein Spanier, eine Französin. Der Kapitän kommt aus Deutschland und ist mit Ende dreißig deutlich der älteste. Sieben Ehrenamtliche, die Stunden sind strikt eingeteilt. »Wir haben im Schichtdienst gearbeitet«, erzählt Raimund. »Immer zwei zusammen haben drei Stunden Wache gehalten. Nach sechs Stunden war man wieder an der Reihe.« Es konnte passieren, dass stundenlang nichts ge- schah – und dann, vor allem nachts, sahen sie plötz- lich kleine schwarze Punkte auf dem Radar. Dann wussten sie: Jetzt geht es los. »Vor Ort mussten wir dann entscheiden, ob wir kooperieren und also nicht nah ranfahren oder auf Konfrontation gehen und mit Kameras dokumentieren.« Anstrengend sei diese Ar- beit gewesen, körperlich auslaugend, manchmal psy- chisch belastend – aber nein, sagt Raimund: Bereut habe er seinen Einsatz nicht eine Sekunde, im Gegen- teil. »Ich werde mich weiter für die Mission engagie- ren.« Es bleibe noch so viel zu tun. Allein im Jahr 2018, das dokumentieren Zahlen der Internationalen Organisation für Migration, star- ben 174 Kinder, Frauen und Männer im östlichen Mit- telmeerraum auf dem Weg nach Europa. Weitere Informationen zur Arbeit von Mare Liberum findet Ihr auf der Homepage des Vereins. Hier gibt es auch die Möglichkeit, Geld zu spenden. mare-liberum.org