Hannover Messe 2014
Der Mensch muss eine zentrale Rolle spielen

„Industrie 4.0“ ist das Schwerpunktthema auf der derzeit laufenden Hannover Messe. Unternehmen präsentieren hier erste umgesetzte Konzepte, Experten diskutieren, welche Chancen und Risiken sich hinter der wohl klingenden Chiffre verstecken.

9. April 20149. 4. 2014


Wie das mit neuen Begriffen so ist: Man hört sie überall, aber was sie genau bedeuten, davon haben viele nur eine vage Vorstellung. Mit „Industrie 4.0“ ist eine umfassende vernetzte und digitalisierte Produktion gemeint, die die klassische Industrie mit moderner Kommunikationstechnologie verknüpft: Einzelne Bauteile und dezentrale Systeme organisieren sich hier autonom. Teile, Maschinen, Beschäftigte und Kunden kommunizieren unablässig miteinander. Eine zentrale Steuerung ist nicht mehr nötig.

In der intelligenten Fabrik, der „smart factory“, werden vom Auftrag bis zum fertigen Produkt alle Beteiligten über die Kommunikationstechnologie miteinander in Echtzeit verbunden sein. Die reale und die virtuelle Welt sind so miteinander verknüpft, sämtliche Produktionsprozesse werden von dieser Verknüpfung geprägt. Auf diese Weise entsteht die Chance, individualisierte Produkte zu den Bedingungen einer hoch flexiblen Großserienproduktion herzustellen, personalisierte Produkte zu fertigen, die exakt den Wünschen und Bedürfnissen von Kunden entsprechen.


Eine Fülle von Möglichkeiten

Klar ist allerdings auch, dass das dezentrale Steuerungsprinzip von Forschung, Entwicklung und Produktion sich auf die Arbeitsorganisation auswirken wird – und auf die Arbeit, die die Beschäftigten in solch einem Werk leisten müssen. Wie die Fabrik der Zukunft aussehen wird, wie die Anforderungen sich zukünftig verschieben werden und welche Auswirkungen „Industrie 4.0“ auf die Zahl der Beschäftigten haben wird – das alles ist bislang noch nicht abzusehen.


Auch bei einer Expertendiskussion auf der Hannover Messe zu diesen Fragen, an der unter anderen Constanze Kurz vom Vorstand der IG Metall teilnahm, blieben die Meinungen geteilt. Die Spannbreite der Debatte reichte dabei von der geäußerten Hoffnung, durch „Industrie 4.0“ attraktivere Arbeit als gegenwärtig schaffen zu können bis hin zur Befürchtung, eine fortschreitende Automatisierung werde zu großen Rationalisierungswellen führen. Im düsterstem Bild werden die Beschäftigten zukünftig zu kleinen Rädchen im großen Getriebe sich selbst steuernder Maschinen; sie sind umfassend vernetzt und eingespannt in einer Cyberfabrik, dabei aber ohne jegliche eigene Handlungskompetenz. Der Mensch als reiner Diener der Maschine, als derjenige, der sich anpassen muss.

So weit jedoch – das zeigte die Diskussion, das zeigte ein Rundgang durch die Messehallen mit den rund 5000 Ausstellern aus 65 Ländern – so weit muss es beileibe nicht kommen: Ob die technischen Möglichkeiten der intelligenten Fabrik sich positiv oder negativ auf die Arbeit und die Anzahl der Beschäftigten auswirken wird, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. „Zur effizienten Nutzung von Industrie 4.0 braucht es Kreativität und Spielräume. Das Internet der Dinge verlangt eine andere Arbeitsorganisation als den Taylorismus“, sagt Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall. Deshalb begleitet die IG Metall „Industrie 4.0“ von Anfang an und mischt sich als gestaltende Kraft ein. „Industrie 4.0 bietet eine Fülle von Möglichkeiten“, sagt Jörg Hofmann. Er könne sich durchaus auch Effizienzgewinne vorstellen, „wo etwa partizipative Ansätze gefördert werden und gruppenorientiert gearbeitet wird.“


Die Mitarbeiter der Zukunft: bestens qualifiziert und motiviert

Dabei haben die dezentralen Steuerungsprinzipien, die mit „Industrie 4.0“ entstehen, potenziell etwas Emanzipatorisches. Auf der Podiumsdiskussion in Hannover verwies Constanze Kurz, die beim Vorstand das Ressort „Zukunft der Arbeit“ leitet, nachdrücklich auf diesen Aspekt. Für viele Beschäftigte bedeuten derzeit starre, hierarchische Prinzipien in der Industrie häufig monotone, standardisierte und damit äußerst belastende Arbeit. Wenn diese aufgebrochen werden, dann könnten neue Arbeitsplätze mit mehr Eigenverantwortung, vielfältigeren Entfaltungsmöglichkeiten und besserer Arbeitsqualität entstehen. Dezentrale Steuerungsprinzipien seien deshalb „sehr attraktiv“. Sie bräuchten allerdings gut aus- und weitergebildete Beschäftigte.

„Wenn wir von Industrie 4.0 sprechen, dann müssen wir auch von einer Bildungs- und Weiterbildungsoffensive 4.0 sprechen“, so Constanze Kurz. Mehr denn je sei die Fabrik der Zukunft auf eine motivierte, bestens qualifizierte Belegschaft angewiesen, auf Beschäftigte, die sich aktiv einbringen, die mitdenken und mitgestalten – und die hierzu den nötigen Raum vorfinden. Neben der Diskussion über die technischen Auswirkungen, die durch eine umfassende vernetzte und digitalisierte Produktion entstehen, sei es deshalb auch dringend notwendig, die sozialen, ethischen und gesellschaftlichen Aspekte zu beleuchten, die durch „Industrie 4.0“ entstehen.

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