Erwerbsquoten von älteren Arbeitnehmern
Ein Leben lang geschafft für ein Alter in Armut

Zu kaputt für die Arbeit, zu arm für die Rente. Die Rente mit 67 wird zu einem steigenden Armutsrisiko für Rentnerinnen und Rentner führen.

8. März 20138. 3. 2013


Immer mehr Menschen befürchten, dass sie im Alter nicht genug Rente bekommen, um davon Leben zu können, geschweige denn ihren Lebensstandard halten zu können. Das sind keine leeren Befürchtungen, wie Untersuchungen zeigen. Von dem Problem betroffen sind in erhöhtem Maße Menschen, die vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden – oft weil sie nach Jahrzehnten im Job körperlich nicht mehr fit genug sind. Aber auch mit vollen Beitragsjahren steigt angesichts schwacher Lohnentwicklung in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten das Risiko einer niedrigen Rente. Nach zehn Jahren Rentenreform zeigen sich bereits jetzt sinkende Auszahlungen. Die beschlossene Rente mit 67 wird das Problem weiter verschärfen. Wenn nicht bald ein Kurswechsel erfolgt, droht auch Normalverdienern ein Alter in Armut.


Arbeiten, weil die Rente einfach nicht reicht

„Ein ehemaliger Kollege von mir bekommt nur 800 Euro Rente. Der zahlt aber schon 600 für die Miete und hat einen schwerbehinderten Sohn – wie soll das gehen?“ fragt Sevki Akpulat aus Berlin. Der 1952 geborene Diplom-Betriebswirt hat sein Arbeitsleben in der Medizintechniksparte eines deutschen Weltkonzerns verbracht. Dort hat er als Service-Ingenieur und im Vertrieb gearbeitet und sich als Betriebsrat engagiert. Seit acht Monaten ist Sevki Akpulat nun im passiven Teil der Altersteilzeit, er ist nach einem Bandscheibenvorfall schwerbehindert. „Die Rente mit 67 ist Betrug, denn die Leute arbeiten dann länger und bekommen die gleiche oder sogar weniger Rente als heute. Warum arbeiten wir nicht gleich, bis wir 100 sind?“ Akpulat befürchtet in der Zukunft immer mehr Altersarmut – die bereits jetzt ein Problem ist: „Auch ich selbst habe Abschläge hingenommen, die ich aber ausgleichen konnte, weil ich noch eine Zusatzrente aus dem Ausland bekomme.“ Das Glück haben aber die meisten nicht, weiß Sevki Akpulat. „Wenn ich mich in meinem direkten Umfeld in der Siemensstadt in Berlin umsehe, da gibt es immer mehr Rentner, die Hartz IV beziehen oder nebenher arbeiten, weil die Rente zu klein ist. Vor zwanzig Jahren war es ganz normal, dass die Rente ausreicht, um den Lebensstandard zu halten. Heute klappt das immer öfter nicht mehr und zukünftig wird das bestimmt noch schwerer.“


Höchstens eine Rente in Höhe des Existenzminimums

Obwohl Sevki Akpulat selbst nicht von Altersarmut betroffen ist, kennt der 61-Jährige die Nöte anderer Rentnerinnen und Rentner. Immer mehr bekommen nach Ende des Arbeitslebens nicht genug Rente, um ihren Lebensstandard halten zu können. Das liegt auch daran, dass bereits heute nur wenige Arbeitnehmer bis zum regulären Renteneintritt durchhalten. Viele werden krank und müssen vorzeitig in den Ruhestand gehen, so wie Sevki Akpulat. Oder auch wie Dieter Potsch aus St. Leon Rot. „Mir fehlen zum Glück nur wenige Jahre zur vollen Lebensarbeitszeit von 45 Jahren und ich bekomme eine Rente von rund 1500 Euro, Altersarmut ist für mich persönlich deshalb kein Thema. Aber bei uns im Ort gibt es Rentnerinnen, die nur um die 500 Euro im Monat erhalten. Die kommen nur zurecht, weil das Häusle abbezahlt ist, sie mit Holz heizen und weil sie keine großen Ansprüche mehr haben. Letzteres gilt für viele in meiner Altersgruppe – wir haben noch den Wiederaufbau nach dem Krieg erlebt. Aber werden die heutigen Jungen später mal auch so anspruchslos sein?“ Dieter Potsch ist Jahrgang 1943 und vor zehn Jahren mit 60 aus dem Beruf ausgeschieden. „Das war nur möglich, weil ich schwerbehindert bin und deshalb nur geringe Altersabzüge von 0,3 Prozent habe.“ Mehr Sorgen macht sich Potsch um die Zukunft seiner Kinder und Enkel: „Die Kinder müssen sich zusätzlich absichern und vorsorgen, sonst wird es bei denen im Alter nicht reichen“, glaubt Dieter Potsch. „Unsere Nachbarin, die schafft bei einer Leihfirma und putzt. Die verdient wenig und die wird auch kaum was rausbekommen. Da kommt noch ein ziemliches Problem auf die Gesellschaft zu.“


Nicht bis zum regulären Rentenalter

Denn die Erwerbstätigenquote sinkt bereits heute bei Menschen über 60 dramatisch. Die Bundesregierung behauptet, knapp 58 Prozent der Menschen zwischen 55 und 64 würden einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Das klingt hoch, liegt aber ausschließlich daran, dass auch die Altersgruppen 55 bis 60 einbezogen sind. Von den 60-Jährigen arbeiteten 2010 bereits nur noch gut 54 Prozent. Hingegen waren es schon nur noch gut 40 Prozent der 62-Jährigen und nur noch ein Drittel beziehungsweise ein Viertel der Menschen in den Altersgruppen 63 und 64 Jahre. Selbst diese Zahlen relativieren sich nochmals, wenn man weiß, dass als erwerbstätig auch Selbstständige und Beamte gelten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nur eine Stunde pro Woche arbeiten. Und wer im Arbeitsleben steht weiß, dass sich die Arbeitsbedingungen vielerorts eher verschlechtern als verbessern.


Die Abschläge steigen und die Zahlbeträge sinken

Das kann Sevki Akpulat aus eigener Erfahrung bestätigen. In den letzten fünf Jahren seines Berufslebens wurden die Arbeitsbelastungen immer größer, erinnert er sich. „Zum Schluss war ich alleine für ein riesiges Vertriebsgebiet zuständig, da hätte ich einen Hubschrauber gebraucht statt des Autos.“ Arbeitsverdichtung, mehr Stress, Überstunden – das kennen viele Beschäftigte, in der Produktion ebenso wie im Büro oder im Handwerk. Wenn nun das Rentenalter angehoben wird, wie es die bereits beschlossene Rente mit 67 vorsieht – und manche schwadronieren sogar bereits über die Rente mit 69 – wird das dazu führen, dass immer mehr Menschen immer höhere Abschläge hinnehmen müssen, wenn sie vorzeitig in den Ruhestand gehen. Denn die Unternehmen werden versuchen, die Arbeitsbedingungen weiter zu verschärfen, um eine höhere Rendite zu erwirtschaften.


Wird die Rente ohne Abschläge zur Ausnahme?

Doch hinter den Erwerbsquoten der Älteren steckt auch eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit. Es stimmt zwar, dass 2010 auch bei den über 60-Jährigen ein höherer Anteil gearbeitet hat als noch 2007 – auch wenn die Zunahme längst nicht so stark ist, wie die Daten der Bundesregierung es für die größere Gruppe der 55- bis 64-Jährigen zu zeigen scheinen. Allerdings sind es jenseits des 60. Lebensjahr vor allem die gut und sehr gut qualifizierten, die noch fit genug sind für ihre Arbeit und sich zu jung fühlen für den Ruhestand. Dagegen ist im Bereich der schlechter ausgebildeten Beschäftigten teilweise sogar gegen diesen Trend eine Abnahme der Beschäftigungsquoten zu verzeichnen. Das läuft dann darauf hinaus, dass diejenigen, die sowieso schon gut verdienen und – zumindest körperlich – weniger fordernde Tätigkeiten haben, länger arbeiten und eine hohe Rente bekommen. Wer sich dagegen jahrzehntelang für wenig Geld mit schweren Arbeiten abgeplagt hat und nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter durchhält, der muss große Abschläge hinnehmen und eine deutlich niedrigere Rente. Dabei waren bereits 2011 fast 58 Prozent aller neuen Altersrenten und praktisch jede neue Rente wegen Erwerbsminderung mit Abschlägen versehen. Wenn sich diese Entwicklung weiter fortsetzt wird der Rentenbezug ohne Abschläge zur Ausnahme für Besserverdienende.


Armutsrisikoquote steigt

Angesichts dieser Entwicklungen wird immer klarer: Die Rente mit 67 ist keine Antwort auf die demographische Entwicklung, sondern dient dem weiteren Absenken der Rente. Bereits zwischen 2000 und 2006 sind die durchschnittlichen Rentenzahlungen (Erwerbsunfähigkeits- und Altersrenten) gesunken. In Ostdeutschland sinken sie seither weiter, im Westen steigen die Nominalzahlungen wieder, haben aber die Höhe des Jahres 2000 noch nicht erreicht. Und dabei muss bedacht werden, dass die Kaufkraft seit 2000 um etwa 20 Prozent gesunken ist. Das Problem wird sich weiter verschärfen, denn die Jahrgänge, die zeitlebens mit Deregulierung am Arbeitsmarkt, hoher Arbeitslosigkeit und zunehmend unsicheren Beschäftigungsverhältnissen konfrontiert waren, kommen erst in den nächsten Jahren verstärkt ins Rentenalter. Das Problem Altersarmut ist, trotz der eingangs geschilderten Erfahrungen, also erst im Ansatz sichtbar. Und schlägt sich doch bereits deutlich in amtlichen Statistiken nieder. Nach Zahlen des statistischen Bundesamtes ist die Armutsrisikoquote in Deutschland zwischen 2005 und 2011 in der gesamten Bevölkerung eher stabil geblieben. Bei den Menschen über 65 Jahren jedoch ist das Risiko, arm zu sein, in dieser Zeit gestiegen.


Droht bald auch Normalverdienern Altersarmut?

Das ist auch das Ergebnis der Rentenpolitik der vergangenen Jahre. Heike Joebges, Volker Meinhardt, Katja Rietzler und Rudolf Zwiener haben für das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) im September 2012 eine „Bilanz der Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente“ veröffentlicht – mit erschreckenden Ergebnissen. Der Untersuchung nach liegt das deutsche Versorgungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung für Beschäftigte mit durchschnittlichem oder niedrigem Einkommen deutlich unter dem Niveau in anderen OECD-Ländern.

Deutsche Durchschnittsverdiener erhalten derzeit lediglich 42 Prozent ihres Bruttoverdienstes als Rente im OECD-Durchschnitt seien es gut 57 Prozent. Und beim Alterssicherungsniveau von Geringverdienern rangiert Deutschland demnach unter den 34 OECD-Mitgliedern sogar an letzter Stelle. Die aktuelle Rentenpolitik führt zu einer weiteren Senkung des Rentenniveaus. Wenn kein grundsätzlicher Kurswechsel eingeleitet wird, dann droht auch Durchschnittsverdienern Altersarmut.

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