Fußball-Europameisterschaft 2012: Fußball und Demokratie
EM nutzen, um Menschenrechte einzufordern

Heute startet die Fußball-Europameisterschaft 2012. Zu den Austragungsländern gehört neben Polen die Ukraine – ein Land, das wegen seiner Menschenrechtsverletzungen am internationalen Pranger steht. EU-Politiker hatten zum Boykott aufgerufen. Wie ist die Lage im Land? Und welche Rolle spielen ...


... die Gewerkschaften?

Boykott Ja oder Nein? Wochenlang wurde diese Frage heiß diskutiert. Während die Mitglieder der EU-Kommission den Spielen fernbleiben wollen, haben sich Bundestrainer Jogi Löw, der ukrainische Box-Weltmeister Vitali Klitschko und Amnesty International dagegen ausgesprochen. Ihre Position halte ich für durchaus respektabel: Hinfahren, die Verletzung der Menschenrechte vor Ort anprangern und damit den Ukrainern den Rücken stärken, die sich für Demokratie und Humanität einsetzen.

Die Liste der Vorwürfe gegen das politische Regime von Präsident Wiktor Janukowitsch ist lang: Sie reicht von Verletzung der Unabhängigkeit der Justiz und der Presse- und Meinungsfreiheit bis zur brutalen Unterdrückung von Regimegegnern und Folter in Gefängnissen. Menschenrechtsaktivisten, Nichtregierungsorganisationen und Umweltschützer werden per Gericht und tätlicher Übergriffe bekämpft. Demonstranten, Asylsuchende und Oppositionelle sind Opfer von Gewalt und willkürlichen Festnahmen. Prominentestes Opfer: die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko.

Umbrüche

Wie stehen die Gewerkschaften dazu? Es gibt zwei konkurrierende Dachverbände. Vom Größten, FPU und Nachfolger des sowjetischen Dachverbands, ist nicht viel Kritik zu erwarten. Er gilt als regierungsnah. Führende Vertreter haben Positionen in Janukowitschs „Partei der Regionen“. Der kleinere, die KVPU, hat sich dagegen oft für Timoschenko eingesetzt. Die Fußball-EM sieht die KVPU kritisch. Das liegt auch daran, dass für den Bau von Stadien, Straßen und Hotels Löhne und Sozialleistungen gekürzt wurden.

Eine Arbeiterin posiert im Stadion von Kiew neben dem Sieger-Pokal der Fußball-Europameisterschaft. Foto: Gleb Garanich/Reuters
Eine Arbeiterin posiert im Stadion von Kiew neben dem EM-Sieger-Pokal. Foto: Gleb Garanich/Reuters

Der Einfluss der Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft ist generell schwach. Die Gewerkschaften in ehemals kommunistischen Ländern befinden sich oft in einer schwierigen Situation. Das gilt auch für die ukrainischen. Sie bewegen sich in einem politischen Umfeld aus autoritärer Regierung, blühender Korruption und einer schwach entwickelten demokratischen „Zivilgesellschaft“.

Die Gewerkschaften selber, oft einst mit den Machteliten verbunden, müssen ihren Weg als unabhängige Organisationen oft noch finden. Sie müssen beweisen, dass sie sich den Interessen der arbeitenden Menschen verpflichtet fühlen und ihr Vertrauen gewinnen. Noch sind 50 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Das liegt auch daran, dass die Gewerkschaften immer noch ein großen Teil der Kuren, Urlaubsaufenthalte und -zuschüsse organisieren. Gleichwohl geht die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder seit 1990 zurück.

Krisen

Die wirtschaftliche Situation der Ukraine macht es den Gewerkschaften zusätzlich schwer. Nach der Loslösung von der UdSSR hatte die schrittweise Privatisierung von Unternehmen das Land in eine Krise geführt. Ab 2000 erholte sich die Wirtschaft wieder, bis die weltweite Finanzkrise das Land 2008 voll erwischte. Im ersten Halbjahr 2009 brach das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum ersten Halbjahr 2008 um 18 Prozent ein.

Viele Menschen verloren seit dem Zusammenbruch der UdSSR ihre Arbeit und suchten einen Ausweg in der Schattenwirtschaft, Emigration oder als Kleingewerbetreibende. Die neuen Eigentümer privatisierter Firmen behinderten oft Gewerkschaftsgründungen.

Rechte

Die Ukraine verfügt über umfangreiche Gesetze, die die Rechte der Gewerkschaften auf dem Papier gewährleisten. Gestreikt werden darf allerdings nur, wenn zwei Drittel der Belegschaft zustimmen. Die Gesetze kranken jedoch auch daran, dass ini hnen keine Verfahren für die konkreten Auseinandersetzungen im Betrieb geregelt sind. Die Folge: Arbeitgeber halten die Gesetze zu Tarifverhandlungen und -verträgen nicht ein, verweigern Arbeitnehmervertretern Zugang zu Informationen, obwohl diese einen Anspruch darauf haben.

Es gibt staatliche Pflichtversicherungen, die Beschäftigte gegen das Risiko von Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit absichern und Renten gewährleisten. Der Fonds dafür wird von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Staat verwaltet – aber der Staat dominiert, die Arbeitnehmer haben wenig Einfluss.

West-Ost

Die „orangen“ Parteien um Timoschenko gelten als westlich, die „Partei der Regionen“ des Präsidenten Janukowitsch als an Russland orientiert. Doch auch Janukowitsch will das Land in die EU führen. Wirtschaftlich hat „der Westen“ längst fest Fuß gefasst in dem 46 Millionen Einwohner zählenden Land. Deutschland ist nach Russland der wichtigste Außenhandelspartner und neben Zypern der größte Investor in der Ukraine.

Fazit

Es liegt an uns, die Ukrainer, ihre Gewerkschaften und Arbeitnehmer auf dem Weg zu einem Land zu unterstützen, in dem die Menschen-, Bürger- und Arbeitnehmerrechte gelten. Die EM kann eine Gelegenheit dazu sein.

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