25 Jahre Textil und Bekleidung
„Die Arbeitgeber befürchteten eine Krawallkultur“

Vor 25 Jahren endete die Geschichte der Gewerkschaft Textil und Bekleidung. Seitdem gehören die Branchen zur IG Metall. Ein Blick zurück mit Peter Donath, der jahrelang Tarifverträge für die Textiler verhandelt hat – in beiden Gewerkschaften.

28. Juni 202328. 6. 2023


Peter, mit dem Ende der GTB vor 25 Jahren hast Du Deine erste gewerkschaftliche Heimat verloren. Wie erinnerst Du Dich an diese Zeit?

Ich kam aus einer Gewerkschaftszentrale mit weniger als 50 Beschäftigten. In der IG Metall-Zentrale arbeiteten 600 Leute, die sich gar nicht alle persönlich kannten. Das war schon eine große Umstellung. Aber wir sind sehr positiv aufgenommen worden. Ich bin ja damals mit der gesamten GTB-Tarifabteilung zur IG Metall gewechselt.

Ihr habt euch sofort willkommen gefühlt?

Man hätte erwarten können: Die Metaller wollen uns erst mal zeigen, wie Tarifpolitik geht. Das war aber nicht der Fall. Es gab großen Respekt für die bisherige Arbeit der GTB. Ich habe keinerlei Überheblichkeit gespürt.

Peter Donath war Gewerkschaftersekretär bei der GTB - und dann bei der IG Metall.

Peter Donath war als Tarifsekretär lange für die textilen Branchen zuständig – erst bei der GTB, dann bei der IG Metall.

GTB und IG Metall – das war eine ungleiche Hochzeit. Was waren die größten Herausforderungen?

Ein Knackpunkt waren natürlich die Tarifverhandlungen. Wir mussten die Textil-Arbeitgeber davon überzeugen, die IG Metall als neuen Verhandlungspartner zu akzeptieren. Walter Riester und Berthold Huber haben da viel beigetragen. Hilfreich war auch, dass die bisherigen Ansprechpartner erhalten blieben. Rein rechtlich war der Übergang eine Grauzone. Aber uns ist kein einziger Flächentarifvertrag verloren gegangen.

Welche Bedenken gab es bei den Textil-Arbeitgebern?

Die IG Metall war vor 25 Jahren für manche wohl noch ein viel größeres Schreckgespenst als heute. Einige Textil-Arbeitgeber befürchteten eine neue „Krawallkultur“. Sprache und Umgang bei der IG Metall waren anders als bei der GTB. Das hat vielleicht auch mit unserem unterschiedlichen Arbeitsmaterial zu tun: Stoff ist weich, Metall hart.

Hat die Fusion die Verhandlungsmacht in den textilen Branchen gesteigert?

Ja. Die IG Metall bot deutlich mehr Ressourcen – etwa für Streiks. Trotzdem wollten die Textil- Arbeitgeber im Jahr 2000 testen, ob die IG Metall im Zweifel ernst macht. Erst kurz vor der Entscheidung über eine Urabstimmung lenkten sie ein.

Die GTB hatte am Ende noch knapp 200 000 Mitglieder. Waren die alle einverstanden damit, dass sie nun Metallerinnen und Metaller werden?

Es waren nicht alle glücklich. Es gab Fragen aus den Betrieben: Werden wir in der IG Metall untergehen? Aber am Ende fiel die Abstimmung über den Beitritt einstimmig aus – bei einer Enthaltung. Wir hatten zuvor intensiv diskutiert. Und die meisten haben die Notwendigkeit der Fusion gesehen. Die GTB konnte keine flächendeckende Mitgliederbetreuung mehr gewährleisten. Die Verwaltungsstelle Berlin betreute zum Beispiel auch eine Wäscherei auf Rügen – 300 Kilometer entfernt!

Hätte es eine Alternative zur Fusion gegeben?

Ich meine: nein. Ab 1993 steckten unsere Branchen in einem rasanten Abwärtsstrudel: Abwanderung, Zusammenbruch der ostdeutschen Textilindustrie. Wir konnten gar nicht so schnell sparen, wie wir Mitglieder verloren. Die GTB hat Alternativen geprüft. Zum Beispiel eine Kooperation der „fünf kleinen Tiger“ – also fünf kleiner Gewerkschaften. Aber das hat sich zerschlagen. Bei den anderen gab es noch nicht so viel Druck.

Hätte sich der Niedergang der Textilindustrie verhindern lassen?

Ich glaube schon. Die heutigen Spezialtextilien-Hersteller haben sich rechtzeitig auf Veränderung eingestellt. Viele traditionelle Textilunternehmen wähnten sich stattdessen in Sicherheit. Nach dem Motto: Krisen gab es immer, aber Textilen werden immer gebraucht. Das war unternehmerisches Versagen: fehlende Weitsicht, kein Bemühen um Zukunftsprodukte. Außerdem gab es nur wenig politische Unterstützung für die textilen Branchen. Obwohl dort in den 70er- und 80er-Jahren hunderttausende Jobs verloren gingen. Ich glaube das lag daran, dass vor allem Frauen betroffen waren.  Wenn man vergleicht, wieviele Milliarden zur Abfederung einiger tausend Arbeitsplätze in der Braunkohle bereitgestellt werden, wird man schon nachdenklich.

Die GTB hat sehr erfolgreich Kleinbetriebe organisiert. Konnte die IG Metall da von euch lernen?

Diese Erschließungskompetenz wurde anfangs nicht systematisch abgefragt. Erst später ist unser Ansatz in der IG Metall strategisch verfolgt worden.

Wie sah euer Ansatz konkret aus?

Wir haben systematisch analysiert: Welche Betriebe gibt es bei uns? In welchen müssen wir aktiv werden? Ich habe als Gewerkschaftssekretär in Osnabrück angefangen und wusste dort sofort, welche Betriebe noch keinen Betriebsrat hatten. Also stand ich jeden Monat vor dem Tor, mit unserer Zeitung. Nach Tarifabschlüssen habe ich zu Info-Veranstaltungen eingeladen, wo man neue Kolleginnen und Kollegen werben und für eine Betriebsratsgründung gewinnen konnte. Bei betrieblichen Konflikten wussten die Leute: Da steht jeden Monat einer von der GTB am Tor. Kurzum: Wir waren immer ansprechbar. Heute würde man sagen: Das war klassisches „Organizing“. Das haben wir schon vor 40 Jahren gemacht.

In den Textilbranchen sind Frauen in der Mehrheit. Die Metall- und Elektroindustrie ist immer noch männerlastig. Hat das zu unterschiedlichen Kulturen geführt?

In der GTB herrschte ein anderes Klima. Wenn bei Betriebsratsseminaren Frauen in der Mehrheit sind, dann werden andere Witze erzählt als in Männerrunden. Gewerkschaftliche Frauenpolitik war vor 25 Jahren in der IG Metall noch eher ein Randthema. Das konnte sich die GTB gar nicht erlauben – bei 80 Prozent weiblichen Beschäftigten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir hatten zwar viele Betriebsrätinnen. Aber bei den Geschäftsführungen oder an der GTB-Spitze waren die meisten Posten mit Männern besetzt.

Ein letzter Blick zurück: Was vermisst Du heute noch an der GTB?

Die familiäre Atmosphäre. Ab einer gewissen Ebene kannten sich alle persönlich. Dafür ist die IG Metall glücklicherweise zu groß.


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