Wissensarbeit im Sog der Globalisierung
Ideen vom „Fließband“ – das geht nicht?

Geht nicht gibt’s nicht. Beschäftigte in der IT müssen Ideen immer öfter im genormten Takt produzieren. Ob daraus etwas Nachhaltiges entstehen kann? Die IG Metall möchte nichts verhindern, aber die Beschäftigten sollen sich auf die Zukunft freuen können.

13. Juni 201313. 6. 2013


Momentan organisieren sich einige Software-Schmieden ganz neu. Dabei geht nicht immer alles vorwärts. „Viele Unternehmen versuchen bei der Wissensarbeit genau die Arbeitsteilung einzuführen, die wir bei der industriellen Produktion überwunden glaubten“, erklärt Christiane Benner, Vorstandsmitglied der IG Metall und zuständig für die ITK-Branche. Arbeitsschritte werden portioniert und standardisiert. Ähnlich dem Takt-Prinzip des Taylorismus. „Solch eine virtuelle Fließbandarbeit kann die Innovationsfähigkeit und Kreativität gefährden, die hoch qualifizierte Arbeit ausmachen“, sagt die Expertin. Unter anderem deswegen ist es ungewiss, ob aus dieser Strategie etwas Nachhaltiges entstehen kann.

Wie es aussieht, wenn eine Denkfabrik vom Management umgekrempelt wird? In kurz etwa so: Bis ungefähr zum Jahr 2000 arbeiteten die IT-Experten an kompletten Programmen mit. Dabei hatten sie Freiraum und konnten sich kreativ einbringen. Seit einigen Jahren jedoch zerteilen immer mehr Hard- und Software-Konzerne ihre Projekte in viele kleine Häppchen. Der Softwarekonzern IBM gilt in der Beziehung als am weitesten entwickelt. Die kleinen Arbeitsportionen lassen sich voneinander unabhängig fertigstellen und anschließend zum großen Ganzen zusammenpuzzeln. „Liquid“ nennt man das bei IBM.


System der permanenten Bewährung

Die Arbeitseinheiten schreibt das in den USA auch „Big Blue“ genannte Unternehmen teilweise über Internet-Plattformen aus. Für beispielsweise zwei Wochen kommen dann in Teams freiberufliche IT-Spezialisten aus aller Welt an einem virtuellen Arbeitsplatz zusammen. Der ist in ein Scrum-Umfeld eingebettet. Dabei handelt es sich um ein Management-System, das täglich die Fortschritte jedes Einzelnen am Projekt arbeitenden überprüft – und allen sichtbar macht. „Transparent“ nennt man das bei IBM.

„Damit verliert die Kopfarbeit ihre privilegierte Stellung“, sagt Arbeits- und Industriesoziologe Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München (ISF). Der Wissenschaftler hat sich mit dem Thema und den sozialen Folgen zehn Jahre lang beschäftigt. „Die Industrialisierung greift erstmals auch auf kreative Tätigkeiten über, bei denen wir uns hundertprozentig sicher waren: da funktioniert Industrie nicht.“

Die Informationssysteme ermöglichen wie erwähnt eine große Transparenz bis auf den einzelnen Arbeitsplatz. Das kann nicht nur den bloßstellen, der mal einen schlechten Tag hatte. Unternehmen können von dieser „Transparenz“ vielseitig Gebrauch machen. Beispielsweise um jeden Einzelnen mit einem nach ihrer Ansicht angebrachten Wert zu katalogisieren. Mehr Freiheit und mehr Subjektivität bei der Arbeit gehen scheinbar in die richtige Richtung, seien aber lediglich die schöne Schaufensterseite, sagt Boes, der auf dem ITK-Symposium der IG Metall zum Wandel der Branche sprechen wird. „In den Unternehmen entwickelt sich ein System der permanenten Bewährung“.

Arbeitsabläufe zu optimieren ist generell sinnvoll. „Aber es besteht die Gefahr, dass die Führungsetagen mit übertriebenem Controlling und Leistungsüberprüfung übersteuern“, mahnt Benner. „Bereits jetzt herrscht unter den IT-Beschäftigten eine extrem angespannte Stimmung“, weiß das Vorstandsmitglied. Denn in der Branche hat sich durch mobiles Arbeiten ohnehin eine Verfügbarkeitskultur entwickelt. Arbeit und Freizeit gehen immer mehr ineinander über. „Wir müssen sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht mit hohen gesundheitlichen Belastungen die Rechnung zahlen“, sagt Benner. Und damit das auch fluppt, ist es wichtig, etwa Führungskultur, Strukturen und die Beschäftigten in Zusammenspiel zu sehen. Das passiert bisher zu wenig.


Industrialisierung der Kopfarbeit darf Menschen nicht erdrücken

Nicht zuletzt müssen sich Gewerkschaft, Beschäftigte und Unternehmen die Arbeitszeiten und Entgeltregelungen genau ansehen und wenn nötig anpassen. Außerdem „darf die Industrialisierung der Kopfarbeit die Menschen nicht erdrücken“, fordert Benner. Stattdessen sollten Unternehmen die neuen Chancen nutzen, indem sie beispielsweise die Arbeitsinhalte umfassender machen. So könnten sie von zufriedeneren Mitarbeitern profitieren.

Denn der Erfolg eines Unternehmens hängt von dessen Dynamik, Flexibilität und Innovationsfähigkeit ab, erklärt Benner. Der Schlüsselfaktor dabei sind die Beschäftigten. Letztendlich müssen sie diese Kriterien erzeugen und umsetzen. Neue Methoden oder Strukturen der Arbeitsorganisation allein können das kaum. Sie können höchstens die Rahmenbedingungen bieten. „Der Prozess selbst wird nur gelingen, wenn die Menschen mitmachen“, sagt Benner. Die IG Metall hat viel Erfahrung darin, Strukturwandel in Unternehmen und Branchen mitzugestalten. Tarifsystem und Mitbestimmung sind ein bewährtes Erfolgsmodell. Und sie werden auch in einer sich wandelnden ITK-Branche helfen, dass die Beschäftigten zuversichtlich in Zukunft blicken können.

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