30. November 2009
Junge Generation droht auf der Strecke zu bleiben
„Hier wird Talent grotesk verschwendet“
Immer mehr jungen Menschen wird nach ihrer Ausbildung der Berufseinstieg verweigert. Ohne Übernahme und Festanstellung gibt es für sie kaum eine Chance auf eine berufliche Zukunft. In der Krise spitzt sich die Situation für sie zu. Viele Betriebe wollen oder können sich eine Übernahme nicht ...

... leisten. Damit droht eine ganze Generaton zu Krisenverlierern zu werden. Wie kann die IG Metall der jungen Generation helfen? Wir sprachen mit Eric Leiderer, IG Metall-Bundesjugendsekretär.

Eric, alle reden von der Krise. Die Beschäftigten in den Betrieben haben Angst um ihre Jobs. Viele mussten schon gehen oder sind auf Kurzarbeit. Wie stehen die Chancen der Ausgelernten auf eine unbefristete Übernahme?
Das liegt an uns. Wir sorgen für Druck in den Unternehmen. Je breiter und besser wir dort aufgestellt sind, desto höher die Chance, dass wir erfolgreich jungen Menschen die Übernahme sichern. Ein Jahr haben wir bereits tariflich erkämpft. Aber unbefristet gibt’s die selten. Das war schon vor der Krise der Fall, diese Entwicklung hat vorher eingesetzt. In ökonomisch schwierigen Zeiten verstärkt sich der Trend. Und die jungen Kollegen gucken zunehmend in die Röhre. Gegen diese Unsicherheit wehren wir uns. In den Betrieben, mit unseren Leuten und Mitteln.

Befristete Übernahmen nach der Ausbildung sind mittlerweile die Regel. Doch was passiert danach? Welche Perspektiven haben die jungen Menschen?
Eine Menge. Dafür sorgen wir. Gemeinsam mit Auszubildenden, Berufsanfängern, Vertrauensleuten und Betriebsräten arbeiten wir überall und standort-spezifisch daran, so vielen jungen Menschen wie möglich eine Zukunft in ihrem Betrieb zu ermöglichen – über Ausbildung und befristete Arbeitsverhältnisse hinaus. Das bedeutet manchmal Kampf. Da, wo er erfolgreich ist, setzen wir als IG Metall ein starkes Zeichen. Für unsere Mitglieder und mit ihnen. Und für alle, die sich uns anschließen oder uns unterstützen. Da, wo wir weniger erfolgreich sind, legen wir uns noch mehr ins Zeug. Weil wir offensiv in den Betrieben für die Ziele gemeinsam mobil machen, die allen Arbeitnehmern am Herzen liegen. Eben: „Gemeinsam für ein gutes Leben.“
Diese Beteiligung funktioniert und bestärkt unser strategisches Arbeitsprogramm „Mitglieder – Offensive – Zukunft“, das wir vor eineinhalb Jahren gestartet haben. Die Mitgliederzahl ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Erfolgs, hier wird er messbar, ganz konkret. Offensiv sein heißt, den betrieblichen Mobilisierungsgrad auf die Spitze zu treiben. So sind wir auch in Zukunft gesellschaftliche Kraft und für die junge Generation relevant.

Viele Arbeitgeber argumentieren, dass sie sich jetzt keine Übernahme leisten können und eine abgeschlossene Ausbildung den Einstieg in den Arbeitsmarkt einfacher mache. Stimmt das?
Verkehrte Welt, Scheiß-System. Hier wird ausgebildet, da nicht übernommen. Staat und Arbeitgeber investieren viel Zeit und Geld in die Ausbildung junger Menschen, letztere lassen dann aber diese Hoffnungen brach liegen und verkümmern. Wie absurd ist das! Unternehmen, die ihre Azubis auf die Straße jagen, handeln ohne Sinn und Verstand. Die Jungen sind die Basis der Betriebe, aus ihnen wächst die Zukunft, in ihnen steckt das Potential, was unsere Gesellschaft morgen weiter bringt. Alles andere ist leichtfertiges Gerede, die totale Verkennung der Situation und die groteske Verschwendung von Talent.

Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen sieht die Alarmstufe Rot für Übernahme. Laut ihrer Umfrage unter 155 Betriebsräten ist in zwei Drittel der Betriebe die Übernahme der Ausgelernten im Winter akut gefährdet. Aus anderen IG Metall-Bezirken kommen ähnliche Meldungen. Wie ernst ist die Lage?
Das kommende Jahr wird nicht einfach. Wir werden für die Übernahme weiter energisch kämpfen – für so viele wie möglich. Wir lassen uns von diesen Zahlen nicht entmutigen, im Gegenteil. Unsere Kampagne „Operation Übernahme“ ist überall aktiv in den Betrieben. Sie gibt den Auszubildenden die Energie und spornt sie an, Verantwortungslosigkeit und Leichtsinn der Arbeitgeber mit geballter Kraft entgegenzutreten. In aller Öffentlichkeit. Das macht sie schlagkräftig gerade in der jetzigen Situation.

Die junge Generation droht auf der Strecke zu bleiben. Sie wird im großen Stil „beschissen, verraten, verkauft“ – hast du einmal formuliert. Die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen ist im letzten Jahr dreimal so stark gestiegen wie die Arbeitslosigkeit insgesamt. Was bedeutet das für die junge Generation?
Wir müssen uns bewegen und unsere Interessen laut und sichtbar vertreten, wollen wir nicht immerzu Spielball anderer sein. Der gerade wieder heiß laufende Bildungsstreik verdeutlicht dies, ergänzend hält die Jugendarbeitslosigkeit unserer Gesellschaft den Spiegel vors Gesicht. Da heißt es, Kräfte bündeln. In den Betrieben, an den Berufschulen und auch an den Universitäten lernen die Jungen von morgen. Sie machen schon heute vor, wie Widerstand geht. Gerade innerhalb unserer Kampagne „Operation Übernahme“. Gemeinsam kämpfen wir in den Betrieben für echte Zukunftsperspektiven. Zusammen mit den Auszubildenden und jungen Berufsanfängern sind wir stark und erreichen unsere Ziele. Das ist unsere Botschaft, das ist unser Rezept. Und das funktioniert.

Im Januar startete die IG Metall mit der Kampagne „Operation Übernahme“. Warum diese Kampagne, warum das Thema Übernahme?
Am Ende der Ausbildung steht ein großer Anfang. Der Start ins Berufsleben. Der funktioniert nur mit der Übernahme. Denn da steckt alles drin, was einem jungen Menschen wichtig ist: die Chance, Erfahrung zu sammeln, sich weiterzuentwickeln. Die Sicherheit, sein junges Leben weiter zu planen, vielleicht eine Familie zu gründen. Kurz, in der Übernahme steckt die Zukunft eines jeden Auszubildenden. Deshalb treffen wir unserem Einsatz für das Thema einen Nerv. Die junge Generation in den Betrieben nimmt die Kampagne an und auf, entwickelt sie weiter und kämpft mutig und kreativ für ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe im Leben. Das Echo in der Öffentlichkeit ist da. In den Medien spielt Übernahme erstmals eine größere Rolle. Und die Politik ist aufmerksam geworden, formuliert erste Ideen. Uns reicht das noch nicht. Wir machen weiter, bis Übernahme überall und qualitativ besser geregelt ist. Und auf dem Weg dahin nehmen wir viele junge Menschen mit – als aktive Mitglieder.

mehr für Mitglieder: Arbeitsprogramm für die IG Metall Jugend 2008 bis 2011

Alarmstufe Rot für Übernahme: wie weiter nach der Ausbildung? (18.11.2009)

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