5. September 2010
Ausbildung und dann in die Leiharbeit?
In Frankreich werden Leiharbeiter besser behandelt
In der Krise waren Leiharbeitnehmer die ersten, die entlassen wurden. Nun scheint die Krise vorbei. Doch neue Jobs gibt es fast nur wieder als Leiharbeit. Die betroffenen Arbeitnehmer sind meist jung. Ein Betroffener, Michael B., berichtet.

Immer öfter „mieten“ Unternehmen Leiharbeiter – statt Beschäftigte fest einzustellen. Was hältst Du davon?
Michael B.: Da ich selbst betroffen bin: sehr wenig. Der Markt, in den ich gerutscht bin, ist eine moderne Art der legalen Versklavung – nicht mehr und nicht weniger.

Du sprichst von „reingerutscht“. Bist Du nicht freiwillig zur Leiharbeit gekommen?
Nun ja, ich habe mich schon bei der Leihfirma beworben und auch einen Vertrag unterschrieben. Aber nur weil ich aufgrund der Krise in meinem Ausbildungsbetrieb nicht übernommen wurde und in der Zeit danach trotz unzähliger Bewerbungen keinen Arbeitsplatz bekommen habe. Anschließend bin ich zum Arbeitsamt gegangen, wo mir diese Möglichkeit vorgestellt wurde. Und jetzt bin ich Leiharbeiter. So geht es leider vielen.

Also denkst Du, dass die Krise der Hauptfaktor für diese starke Zunahme der Leiharbeit ist?
Natürlich gab es auch schon vorher Leiharbeit, aber durch die Krise hat dieses Geschäft expandiert. Und wie immer gewinnen die Großen und die Kleinen verlieren.

Wer sind denn die Gewinner und Verlierer der Leiharbeit?
Die Verlierer sind ganz klar die Auszubildenden, die Auslernenden und die Geringverdiener, die gerade ihre Jobs verloren haben. Gewinner sind die Sklavenhändler, wie ich sie immer gern nenne. Oder eben die Leiharbeitsunternehmen. Sie verdienen einen Haufen Geld damit, dass sie uns an andere Unternehmen vermieten. Und bei uns kommt so gut wie nichts an.

Was muss sich ändern?
Die Firmen müssen endlich sehen, dass sie sich durch das Besetzen aller verfügbaren Posten im Unternehmen mit Leiharbeitern und das Herabschrauben der Ausbildungs- und Übernahmezahlen ihr eigenes Grab schaufeln.

Unternehmen schaufeln sich ihr eigenes Grab? Warum das?
Wenn die Unternehmen so weiter machen wie bisher, werden ihnen in spätestens zehn Jahren die Fachkräfte fehlen, die sich in ihrem Unternehmen auskennen. Und der momentane Leiharbeiterpool ist auch nicht unbegrenzt. Es ist definitiv keine dauerhafte Lösung, Leiharbeiter für benötigte Stellen einzustellen. Denn es sind nicht unbegrenzt Leiharbeiter vorhanden, die eine Elektro- oder Metallausbildung haben – und die mit den Maschinen und Geräten umgehen können.

Ist das in der Firma, in der Du derzeitig beschäftigt bist, auch ein Problem?
Ich arbeite derzeit für ein größeres Unternehmen, in dem immer mehr Leiharbeiter eingesetzt werden. Aber die Azubis wurden dieses Jahr nach einer Befristung von zwölf Monaten alle unbefristet übernommen. Hier ist eher das Problem, dass immer von oben auf einen herabgesehen wird. Von Vorgesetzten, Mitarbeitern und teilweise von den Azubis.

Kollegen schauen auf Euch Leiharbeiter herab? Wie erlebst Du das im Betrieb?
Du bekommst als Leiharbeiter praktisch einen Stempel aufgedrückt. Man arbeitet genauso hart und lang oder sogar noch härter und länger als die anderen – verdient aber um einiges weniger. Das wissen die anderen natürlich auch, wodurch sie einen in eine Schublade stecken und als, wie soll ich sagen, unterqualifiziert ansehen.

Wie äußert sich dieses „Herabsehen“ im Betrieb?
Du bekommst grundsätzlich Aufgaben, die sonst keiner verrichten will. Viele wissen nicht mal meinen Namen. Und dann wird im Bezug auf mich immer nur von einem „Leiharbeiter“ gesprochen. Ich denke nicht, dass es jemand böswillig macht. Aber bei uns werden Leiharbeiter immer noch nicht als vollwertige Fachkräfte gesehen.

Und das passiert speziell in Deiner Firma?
Nein, nicht nur in meiner Firma. Ich meine in Deutschland.

In anderen Ländern ist Leiharbeit besser?
Ja, beispielsweise in Frankreich. Dort werden Leiharbeiter besser behandelt als bei uns. Weil, seien wir mal ehrlich, ein Leiharbeiter muss selbstständig sein, schnell anlernbar sein, ist nicht ortsgebunden, wodurch er eine sehr hohe Flexibilität hat, die ein normaler Arbeiter nicht hat. Und dadurch ergeben sich dann auch für die Leiharbeiter große Vorteile.

Leiharbeit hat Vorteile?
Nicht jeder möchte sein Leben lang in nur einem Unternehmen arbeiten oder sein ganzes Leben lang immer in der selben Stadt wohnen. Jeder Leiharbeiter bildet sich von Betrieb zu Betrieb weiter. Man lernt neue Wege kennen, Probleme zu lösen und verbessert sein Geschick, und dafür wird man beispielsweise in Frankreich auch gut vergütet.

Also wäre Leiharbeit nach dem Vorbild Frankreich für Dich in Ordnung?
Definitiv. Denn das Modell Leiharbeit an sich ist nicht schlecht. Es ist nur schlecht umgesetzt.


Michael B. ist ein Deckname. Er will anonym bleiben, aus Angst vor Maßregelung oder gar Kündigung. Denn Leiharbeitnehmer bekommen nicht nur weniger Geld: Sie haben auch kaum Schutzrechte.

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