23. Februar 2010
Tarifabschluss Metall und Elektro: Berthold Huber im Interview
„Wir wollen eine faire Lastenteilung“
Für den Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie gibt es viel Lob und wenige kritische Stimmen in den Medien. Im Interview mit www.igmetall.de erläutert Berthold Huber, Erster Vorsitzender der IG Metall, wie der Tarifabschluss Arbeitsplätze in der Krise sichert.

Herr Huber, wie bewerten Sie den Tarifabschluss der letzten Woche?
Als Erfolg für unser größtes Ziel: Beschäftigung zu sichern über die größte Wirtschaftskrise der letzten 80 Jahre. Wir haben eine faire Lastenteilung zwischen den Metall-Arbeitgebern und den Beschäftigten. So können wir unser weltweit einzigartiges Modell für sicherere Arbeitsplätze auch in dieser schweren Krise fortsetzen. Unser Anspruch bleibt: Keine Entlassungen in der Krise.

Was sind die wesentlichen Elemente der Beschäftigungssicherung?
Die gesetzliche Kurzarbeit bleibt das wesentliche Instrument. Die tarifliche Kurzarbeit ergänzt die gesetzlichen Regelungen dort, wo die gesetzlichen Instrumente nicht mehr greifen.

Wie sieht das praktisch aus?
Die Lasten für sichere Arbeitsplätze tragen zuallererst die Beschäftigten. Sie verzichten bei Kurzarbeit, egal ob gesetzlich oder tariflich, auf einen Teil ihrer Einkünfte. Es gibt viele Unternehmen, in denen die gesamte Belegschaft auf Teile des Einkommens verzichtet, obwohl der Einbruch nur in Teilen des Unternehmens erfolgt ist. Das ist gelebte Solidarität. Auch die Arbeitgeber leisten ihren Beitrag. Weder gesetzliche, noch die tarifliche Kurzarbeit sind für sie kostenlos. Anstatt zu entlassen, halten sie die Beschäftigung aufrecht, viele Arbeitgeber stocken auch die gesetzlichen Mindestzahlungen für Kurzarbeit auf. Und sie tragen die so genannten Remanenzkosten für die Kurzarbeit.

Und wie kann die Politik dieses Tarifergebnis flankieren?
Indem sie Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Bewältigung dieser großen Herausforderungen unterstützt. Wirklich erfolgreich wird der Tarifabschluss dann, wenn die Politik als Dritter zu diesem Lastenausgleich hinzu tritt. Wir brauchen eine hundertprozentige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge, auch wenn dies für die Kurzarbeit über 2010 hinaus geht. Die tarifliche Kurzarbeit wird erst dann voll wirksam, wenn der im Tarifvertrag vereinbarte Teillohnausgleich bei abgesenkter Arbeitszeit befristet von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt wird.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) und die „tageszeitung“ (taz) kritisieren genau diese Forderung in seltener Eintracht. Wollen die IG Metall und die Metall-Arbeitgeber, wie FAZ und taz schreiben, einen Abschluss auf Kosten des Staates durchdrücken?
Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch und offenbart eine Blindheit gegenüber der Tiefe und Dauer der Krise.

Was veranlasst Sie zu dieser Einschätzung?
Wenn wir nicht alles tun, um Arbeitsplätze zu sichern, könnten allein in der Metall- und Elektroindustrie bis 2012 bis zu 700 000 Beschäftigte arbeitslos werden. Das wäre eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe! Massenarbeitslosigkeit ist außerdem die teuerste aller Möglichkeiten. Wir haben das Szenario auf zwei Jahre durchgerechnet: Arbeitslosigkeit ist mehr als ein Drittel teurer als die Kombination aus gesetzlicher und tariflicher Kurzarbeit. Wir haben im Übrigen keine Unterstützung aus Steuermitteln gefordert. Die Zuschüsse zur gesetzlichen und zur tariflichen Kurzarbeit kommen ebenso wie das Arbeitslosengeld aus den Mitteln der Bundesagentur für Arbeit. Diese Gelder werden zu gleichen Teilen von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern finanziert. Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie zahlen jährlich zwischen vier und viereinhalb Milliarden Euro dort ein. Kurzum: Der Tarifabschluss der IG Metall entlastet die Bundesagentur für Arbeit. Die Hauptlast tragen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Dennoch sind die Kassen der Bundesagentur für Arbeit leer.
Weil der Beitragssatz für die Bundesagentur aus falschen ideologischen Gründen während des letzten Wirtschaftsaufschwungs auf 2,8 Prozent abgesenkt worden ist. Das wird in jeder privaten Haushaltskasse verantwortlicher gehandhabt! Man muss doch Rücklagen bilden, wenn es einem gut geht. Wir haben das immer kritisiert. Für völlig absurd halte ich, wer dieses Gejammer jetzt teilweise anstimmt. Es sind dieselben, die den Vermögenden und ihrer Klientel gigantische Steuersenkungen zukommen lassen. Was ist denn wichtiger? Das Wohlergehen ausgewählter Begünstigter oder die Verhinderung von Massenarbeitslosigkeit und die Überlebensfähigkeit der deutschen Industrie?

Was sagen Sie zum ebenfalls erhobenen Vorwurf, Teile der Metall- und Elektroindustrie würden nur durch staatliche Subventionen, von der Abwrackprämie bis zum Kurzarbeitergeld, künstlich am Leben erhalten?
Was tun Sie, wenn neben ihnen jemand einen Unfall erleidet? Machen sie ihm Vorwürfe oder leisten sie schnell Erste Hilfe? Wir müssen in dieser schweren Wirtschaftskrise auch mit staatlicher Unterstützung gegensteuern. Parallel – und das ist eine besondere Herausforderung – müssen wir einen nachhaltigen und ökologischen Umbau der deutschen Industrie gestalten. Es darf kein „Weiter so“ geben! Das ist nicht die Botschaft dieses Tarifabschlusses. Die Autos des Jahres 2020 werden andere sein als die des Jahres 2008. Wir brauchen Zukunftskonzepte für die Automobilindustrie, ebenso für den Maschinenbau und andere Branchen. Das fordert die IG Metall seit langem und hat auch Vorschläge dafür vorgelegt. Die notwendige Umgestaltung können Politik, Arbeitgeber und Arbeitnehmer ebenfalls am besten gemeinsam gestalten.

Wie könnte das konkret aussehen?
Die Politik kann mit einer – am besten europaweit abgestimmten – Industriepolitik die Eckpunkte setzen. Ebenso wichtig ist eine rasche Regulierung der Finanzmärkte. Wir dürfen nicht noch einmal durch absurde Spekulationsgeschäfte in eine weltweite Wirtschaftskrise geraten. Auch die Arbeitgeber müssen aus der Krise lernen. Die Jagd nach aberwitzigen Renditen hat uns an den wirtschaftlichen Abgrund gebracht. Unternehmen sollen mit vernünftigen und nützlichen Waren ordentliche Renditen erwirtschaften. Das gelingt nur mit gut qualifizierten Belegschaften und ausreichend Mitteln für Forschung und Entwicklung. Arbeitnehmer leisten den besten Beitrag, wenn sie mitbestimmen können. Sie sind an einer langfristigen Zukunft ihres Unternehmens interessiert. Belegschaften, Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben durch ihre engagierte Arbeit hunderttausende Arbeitsplätze gesichert. Diese hohe Kompetenz gilt es auch in Zukunft zu nutzen.


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