11. November 2011
Metallzeitung Juli 2015 – Standpunkt von Felix Stumpf
Tarifeinheit und Arbeitskampf
Ab Juli gilt das Tarifeinheitsgesetz. Die IG Metall hat sich eingemischt und verhindert, dass das Arbeitskampfrecht eingeschränkt wird. Das erklärt Felix Stumpf, Jurist beim Vorstand der IG Metall.

Am 1. Juli tritt das Gesetz zur Tarifeinheit in Kraft. Mit dem Gesetz soll sichergestellt werden, dass in einem Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gilt. Ziel ist es, im Sinne einer solidarischen Lohnpolitik gleiche Entgelte für gleiche Arbeit und gute Entgelte für alle Beschäftigten durchzusetzen.

Damit findet ein längerer Prozess seinen vorläufigen Abschluss. Bereits 2010 hatten sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) entschieden, einen Vorschlag zur Tarifeinheit vorzulegen. Anlass dafür war die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die bis dahin bestehende Rechtsprechung zur Tarifeinheit aufzugeben. Ein weiterer Grund waren Überlegungen der schwarz-gelben Koalition, den Arbeitskampf gesetzlich zu regeln und in der sogenannten Daseinsvorsorge zu beschränken.


Gleiche Entgelte für gleiche Arbeit

Der damalige Vorschlag von DGB und BDA sah vor, dass die Friedenspflicht des Mehrheitstarifvertrags auch für alle anderen Gewerkschaften in den jeweiligen Betrieben gegolten hätte. Damit wäre den Minderheitsgewerkschaften der Arbeitskampf ür eigene Tarifverträge verboten gewesen. Nachdem diese Initiative zunächst versandete, lebte sie 2013 in den Koalitionsverhandlungen wieder auf.

Die IG Metall distanzierte sich bereits 2013 von diesem Vorschlag und hat klargestellt, dass sie keine Regelung akzeptieren wird, die in das Arbeitskampfrecht eingreift. Sie hat sich deshalb aktiv in den Gesetzgebungsprozess eingemischt. Dabei ist es gelungen, die Erstreckung der Friedenspflicht auf andere Tarifverträge zu streichen.

Maßgeblich sind nicht mehr die Mehrheitsverhältnisse bei Beginn des Arbeitskampfs, sondern zu dem Zeitpunkt, an dem beide Tarifverträge das erste Mal gleichzeitig gelten. Das heißt: Grundsätzlich behält jede Gewerkschaft das Recht, einen eigenen Tarifvertrag zu erstreiken und dabei auch um neue Mitglieder zu werben. Erst nach dem Arbeitskampf wird ermittelt, welche Gewerkschaft mehr Mitglieder im Betrieb vertritt.

Gleichwohl vertreten einige Kritiker die Auffassung, dass mit dem Gesetz eine Rechtslage geschaffen wurde, die es ermöglicht, Arbeitskämpfe kleinerer Gewerkschaften zu verbieten. Die Arbeitsgerichte könnten demnach argumentieren, dass Arbeitskämpfe unverhältnismäßig wären, sofern sie offensichtlich zu keiner tariflichen Regelung führen. Als Beleg gilt ein entsprechender Satz in der Gesetzesbegründung.


Argumente

Wir teilen diese Auffassung nicht. Und das aus drei Gründen. Das Gesetz enthält keine Regelung zum Arbeitskampf; der Satz in der Begründung ist für niemanden verbindlich. Die Frage, ob Arbeitskämpfe unverhältnismäßig sind, wird nach Inkrafttreten des Gesetzes an den gleichen Maßstäben gemessen wie zuvor, nämlich unmittelbar an Artikel 9 Absatz III Grundgesetz. In der Vergangenheit wurden auf dieser Grundlage Arbeitskämpfe nur in absoluten Ausnahmefällen untersagt. Es erscheint geradezu fahrlässig, eine Rechtsprechung herbeizureden, die sich Arbeitgeber zwar wünschen, die es in der Wirklichkeit aber nicht gibt.

Zweitens: Auf die Mehrheitsverhältnisse zu Beginn des Arbeitskampfs kommt es gar nicht an. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, an dem die Tarifverträge gleichzeitig gelten würden. Die entsprechenden Zahlen kann ein Gericht aber nicht ohne Weiteres prognostizieren, unter anderem weil eine Gewerkschaft mit einer erfolgreichen Tarifrunde auch noch Mitglieder gewinnen kann, gerade dann, wenn sie mit dem Argument werben kann, dass nur der Beitritt das Tarifergebnis sichert. Und schließlich werden auch die unterlegenen Gewerkschaften nicht völlig bedeutungslos sein, denn in der Regel ist eine gewisse Organisationsmacht Voraussetzung für die Fähigkeit zum Arbeitskampf.

Drittens: Das Gesetz garantiert der kleineren Gewerkschaft das Recht, Teile des Tarifvertrags nachzuzeichnen. Auf diesem Weg erhalten auch deren Mitglieder eigene tarifliche Ansprüche auf Entgelt und andere Tarifergebnisse. Voraussetzung bleibt aber der eigene Tarifvertrag, selbst wenn dieser verdrängt wird, denn nur dann darf die Gewerkschaft nachzeichnen. Das heißt: Auch der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft führt zu einer tariflichen Regelung. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass sie die Möglichkeit haben muss, den eigenen Tarifvertrag durchzusetzen, und zwar auch durch Arbeitskämpfe.


Das Recht zum Arbeitskampf bleibt unangetastet

Diese Einschätzung wird besonders von den Arbeitsrichterinnen und -richtern geteilt. Der Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit bezeichnete die Erwartung, das Gesetz würde zu Arbeitskampfverboten führen, als „völlig illusorisch“. Dass dies den Arbeitgebern nicht gefällt, zeigt auch, dass Teile der CDU und der Arbeitgeber jetzt versuchen „nachzubessern“ und Einschränkungen, wie etwa Zwangsschlichtungen mit zwingender Friedenspflicht, auf die Tagesordnung zu setzen.

Die gute Nachricht ist also: Das Recht zum Arbeitskampf bleibt unangetastet. Jede Gewerkschaft hat es nach wie vor in der Hand, durch gute Tarifpolitik und durch Arbeitskämpfe ihre Mehrheiten zu organisieren und zu verteidigen. Die Konsequenz, dass künftig nur der Beitritt zur Gewerkschaft das Tarifergebnis sichert, bietet vielleicht auch Optionen. Wer sich nur darauf verlässt, dass der Arbeitgeber ihm sowieso das tarifliche Ergebnis zahlt, riskiert, dass am Ende ein anderer Tarifvertrag gilt.

Allerdings sind wir noch nicht fertig. Wir brauchen klare und effektive Regeln, nach denen die Mehrheit bestimmt wird, ohne dass die Gewerkschaften ihre Organisationsgrade offenlegen müssen. Hier werden wir noch nacharbeiten.


Kabinettsbeschluss zur Tarifeinheit: Das Mehrheitsprinzip ist der richtige Weg


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