Interview: Cradle to Cradle – statt Verzicht bessere Produkte...
Von der Wiege zur Wiege

Verzicht auf Konsum und Wachstum sind nicht die Lösung für Umweltprobleme und Verschwendung von Rohstoffen, sagen der Wissenschaftler Michael Braungart und der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel. Sie setzen sich für bessere Produkte ein – solche, die so konstruiert sind, dass sie wieder zum ...

3. März 20153. 3. 2015


... Stoff für gute neue Produkte werden können.

Herr Braungart, Sie haben das Cradle-to-Cradle-Konzept mitentwickelt. Was heißt das denn?

Michael Braungart: Von der Wiege bis zur Wiege. Es meint, dass Güter aus Materialien hergestellt werden, die später wieder in den biologischen oder technischen Kreislauf zurückkehren und für neue Produkte verwendet werden. Die Stahlkarosserie eines Autos enthält zum Beispiel 50 verschiedene Legierungen. Wird das Auto verschrottet, entsteht daraus minderwertiger Baustahl. Kupfer und alle seltenen Metalle wie Chrom, Mangan, Wolfram und Antimon gehen verloren. So werden wertvolle Rohstoffe vernichtet und die Umwelt belastet. Eine Tonne Kupfer verursacht bei der Neuherstellung 600 bis 800 Tonnen giftigen Sondermüll.

Welche Alternativen gibt es denn?

Braungart: Autos von vornherein so zu konstruieren, dass alle Teile wiederverwendet werden können. Letzten Endes kauft der Pkw-Käufer nicht mehr das Auto, sondern die Nutzung. Anschließend wird das Fahrzeug zum wertvollen Rohstofflager: für neue Autos, Computer, Waschmaschinen oder anderes. Das macht die Produkte billiger. Ich habe einen Prototyp für eine Waschmaschine mit gebaut, die statt 100 nur drei Kunststoffarten enthält die alle wieder verwertbar sind. Und einen Fernseher, der 30 000-mal weniger Stoffe in die Umgebung abgibt als herkömmliche, keine giftigen Flammschutzmittel enthält, leicht auseinander zu nehmen und Strom sparend ist.

Detlef, warum ist das für die IG Metall ein Thema?

Detlef Wetzel: Aus vielen Gründen. Die Kosten für Material sind in der Industrie im Schnittmehr als doppelt so hoch wie die für Personal. Es ergibt also für Firmen einen wirtschaftlichen Sinn, bei Kostensenkungsstrategien hier anzusetzen, statt immer zu versuchen, die Entgelte zu drücken. Außerdem stehen wir vor großen ökologischen Herausforderungen. Rohstoffe werden knapp, und wir können nicht Menschen in Asien und Afrika Verzicht predigen und ihnen vorenthalten, was wir uns selbstverständlich gönnen. Wir brauchen weiter Wachstum, aber eines, das Ressourcen und Umwelt schont. Es geht um Innovation, Qualität, Wachstum, Wohlstand – und um gute Arbeit.

Wieso um gute Arbeit?

Wetzel: Weil ein Ziel von Cradle to Cradle ist, Schadstoffe zu vermeiden. Das bedeutet, dass auch die Beschäftigten in der Produktion weniger belastet werden.

Wie giftig sind denn unsere Produkte heute?

Braungart: Ich nenne mal Beispiele: Allein im Autoreifen lauern 550 Chemikalien. Der Reifenabrieb, den wir einatmen, ist viel giftiger als noch vor 30 Jahren. Oder Bremsbeläge: Die enthalten zwar kein Asbest mehr, dafür aber Antimonsulfid. Das ist noch stärker krebserregend als Asbest. Auch Textilien enthalten Gifte, die sehr gesundheitsschädlich sind und die Umwelt belasten. Ich mache einen Vorschlag, der natürlich nicht ernst gemeint ist: Wer den biologischen Kreislauf unterstützen will, müsste in rauen Mengen Austern schlürfen. Warum? In jeder Auster sind etwa 1500 Plastikpartikel, die sie aus dem Meer gefiltert hat. Zwei Drittel davon sind Abrieb von Textilien, die beim Waschen im Wasser bleiben.

Kostet Cradle to Cradle nicht Arbeitsplätze?

Wetzel: Im Gegenteil. Eine Produktion nach diesem Konzept schafft nicht nur Arbeit in der Recyclingbranche. Sie ist eine große Chance für die Industrie: Sie kann ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, zum Innovationsmotor und zur Wachstums- und Jobmaschine werden.

Braungart: Ein Produkt, das nur Abfall wird, ist ein schlechtes Produkt. Wir können in Europa auf Dauer nur mit Qualitätsprodukten Geld verdienen. Metalle sind ideale Cradle-Materialien. Sie lassen sich immer wieder einsetzen, wenn sie sortenrein sind. Darum bin ich dankbar, dass es in der IG Metall offene Ohren dafür gibt.

Ist das nicht Zukunftsmusik?

Braungart: Nein, gar nicht. Es gibt schon über 2000 Cradle-to-Cradle- Produkte. Einer der weltgrößten Möbelhersteller in den USA fertigt sämtliche Möbel nach diesem Prinzip und ist sehr erfolgreich. In Dänemark gibt es bald das erste Windrad, bei dem der Betreiber das Kupfer nur leiht. Er zahlt dem Eigentümer für die Nutzung. Insgesamt ist das Windrad aber dadurch mindestens 80 000 Euro billiger.

Wetzel: Mein Eindruck ist, dass Firmen im Ausland beim Thema Cradle to Cradle weiter sind als wir.

Braungart: Ja, vor allem Niederländer, Skandinavier, Franzosen und Österreicher nutzen die Chancen. Deutsche Autohersteller haben aber auch bereits Cradle-to-Cradle-Arbeitsgruppen. Ebenso Zulieferer und mittelständische Unternehmen, die Oberflächen behandeln.

Unternimmt die IG Metall etwas, um solche Entwicklungen zu fördern?

Wetzel: Wir befassen uns seit Jahren damit. Wir wollen die Anwendungsmöglichkeiten verbreitern und unterstützen darum Menschen, die Innovationen voranbringen. Externe Experten vom EPEA-Institut, das Michael Braungart leitet, helfen uns dabei. Wir bieten Seminare an, bilden Mitglieder aus, damit sie Botschafter für diese Idee in den Betrieben werden.

Braungart: Ein weiterer Vorteil der IG Metall ist, dass es in den Branchen, die sie organisiert, viele Ingenieure und Konstrukteure gibt. Sie wollen sich mit ihrer Arbeit identifizieren und stolz auf ihre Produkte sein. Sie wollen Qualität produzieren und keinen Müll, der die Umwelt belastet. Für sie ist das Konzept interessant.

Wetzel: Es gibt viele Beschäftigte, die sich damit befassen. Dazu gehören Ingenieure und technische Experten, aber auch Betriebsräte und Vertrauensleute. Sie können die Ideen in die Produktion, in Wirtschaftsausschüsse und Aufsichtsräte tragen.

Braungart: Das zeigt, wie wichtig Mitbestimmung ist. Es hilft ungemein, wenn eine gesellschaftliche Kraft wie die IG Metall mit ihren 2,3 Millionen Mitgliedern innovative Ideen unterstützt.
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