Stahlindustrie: Interview mit Hannelore Elze
Es geht um die metallerzeugende Industrie in Europa

Explodierende Rohstoffpreise und hohe Energiekosten bedrohen tausende Arbeitsplätze in der europäischen Stahlindustrie. Wir sprachen mit Hannelore Elze, Leiterin des für die Branche zuständigen Zweigbüros der IG Metall, über die Ursachen und die möglichen Folgen für die Beschäftigten.

21. April 201021. 4. 2010


Nachdem die Produktion der deutschen Stahlindustrie 2009 beinahe um ein Drittel eingebrochen ist, hat sich die Branche inzwischen ein Stück weit erholt. Jetzt schlagen Gewerkschaften und Stahlproduzenten allerdings Alarm: Explodierende Rohstoffpreise drohen den Aufschwung abzuwürgen und zehntausende Arbeitsplätze zu vernichten. Was steckt dahinter?
Der Anstieg der Rohstoffkosten liegt an zwei Faktoren. Zum einen sind wir einem gewissen Preisdiktat ausgesetzt, da drei Anbieter den Rohstoffmarkt beherrschen. Das ist zum einen der brasilianische Konzern Vale und das sind zum anderen die anglo-australischen BHP und Rio Tinto. Der zweite wichtige Faktor ist aber der Nachfrage Boom aus Asien, hier insbesondere aus China. China produziert in einem Monat mehr Stahl als wir in einem ganzen Jahr herstellen! Überall dort, wo es viel Nachfrage gibt und wo einige wenige die Preise bestimmen können, sprich der Wettbewerb fehlt, wird versucht, quasi in die Vollen zu langen. Das tun die Rohstoffkonzerne gerade.
Die Situation der sich abzeichnenden Preiserhöhungen werden noch weiter dadurch belastet, dass das langfristige Preissystem abgelöst werden soll durch ein Kurzfristsystem. Zur Zeit ist es so, dass Verträge auf Jahresbasis abgeschlossen werden. Das heisst, der Stahlhersteller kann sein Produkt zu einigermaßen zuverlässig kalkulierten Preisen anbieten. Wird dieses System auf drei Monatsbasis umgestellt, bedeutet das eine erhebliche kalkulatorische Unsicherheit.

Hinzu kommen die vergleichsweise hohen Strompreise in der EU.
Die Energiekosten sind kein neues Phänomen. Die Elektrostahlerzeuger, aber auch die Erzeuger von Nichteisenmetallen, wie insbesondere Aluminium, Zink und Kupfer leiden bereits seit Jahren unter den im weltweiten Maßstab exorbitanten Strompreisen. Wir haben als IG Metall gemeinsam mit der IG BCE eine Kurzstudie in Auftrag gegeben zum Thema „Was bedeuten die Strompreise für die energieintensive Industrie?“ Hier ist ganz klar rausgekommen, dass die Bedeutung sehr hoch ist. Die hohen Strompreise sind für unsere Industrie ein scharfer Wettbewerbsnachteil. Zum Beispiel machen die Personalkosten in der Aluminium erzeugenden Industrie (Hütten) nur etwa fünf bis sieben Prozent aus. Die Stromkosten aber machen fast die Hälfte der Kosten aus.
Daher haben wir die letzte Bundesregierung überzeugen können, eine Förderrichtlinie zur Subventionierung des Strompreises zu verabschieden. Zu meinem größten Ärger liegt die in Brüssel immer noch auf Eis, weil die Eurokraten meinen, sie widerspricht dem europäischen Wettbewerbsrecht. Die Brüsseler EU Kommission muss endlich begreifen, dass Europa im Wettbewerb mit der Welt steht!



Das Szenario wäre demnach: Stark steigende und von Spekulanten manipulierte Rohstoffpreise treffen auf im internationalen Vergleich sehr hohe Energiekosten. Was bedeutet das für die deutsche und europäische Stahlindustrie und vor allem für die Beschäftigten?
Wichtig ist mir hier noch einmal zu betonen, dass es nicht nur allein um die Stahlindustrie geht, sondern um die metallerzeugende Industrie in Europa insgesamt. Wenn wir hier nicht vergleichbare Wettbewerbsbedingungen für unsere metallerzeugende Industrie hinbekommen, werden wir in Europa mittelfristig den Supergau kriegen, also einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen. Wir haben in Deutschland circa 80 000 Arbeitsplätze im Stahl, 26 000 in der Aluindustrie, 19 000 in der Kupferindustrie und 4000 in der Blei/Zink und Zinnindustrie. Dafür setzen wir uns ein und deshalb ist es so wichtig, dass wir den Aktionstag am 22. April nutzen, um auf auf unsere Situation gemeinsam in Brüssel, in Duisburg, in Hamburg, in Bremen und in Potsdam aufmerksam machen.

Weiter gefasst: Auch wenn die Krise für die Industrie in Deutschland noch nicht überstanden ist, sind allmählich erste Anzeichen einer konjunkturellen Stabilisierung zu erkennen. Welche Folgen hätte die drastische Verteuerung eines so wichtigen Werksstoffs wie Stahl?
Erst ein mal stellt sich die Frage, ob die drastische Verteuerung so an den Abnehmer weitergegeben werden kann oder ob sich die Automobilhersteller nicht nach anderen Stahlherstellern umsehen? In der Edelstahlindustrie haben wir den Legierungszuschlag. Wechselnde Legierungspreise werden mit wechselnden Preiszuschlägen versehen. Das heisst, es würde dann einen festen Preisbestandteil und einen variablen Teil geben.

Wie ließen sich langfristig verlässliche Rohstoffpreise gewährleisten?
Es darf nicht zu einer weiteres Monopolbildung kommen! Deshalb appellieren wir in Bezug auf die Rohstoffe an die Regierungen und die EU Kommission über die deutsche und die europäische Kartellbehörde eine weitere Monopolbildung bei den Erzen durch einen Zusammenschluss von BHP und Rio Tinto zu verhindern.

Die Rohstoffpreise sind das eine, die Stromkosten das andere Problem. Was muss sich hier tun, damit die Branche weltweit konkurrenzfähig bleibt?
Die Emissionshandelsrichtlinie lässt nationale Strompreiskompensationen ab 2013 zu. Die EU Kommission muss aufwachen und es vorher zulassen. Wir müssen uns in Richtung Industriestrompreise bewegen. Wie ich schon sagte, Europa steht im Wettbewerb mit der Welt! In Deutschland müssen wir ernsthaft über eine staatliche Einflussnahme auf die Stromanbieter nachdenken. Wie auch immer – wir haben hier auch eine Monopolbildung – von Wettbewerb kann hier gar keine Rede sein.

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