1. Juli 2019
Martina Helmerich
Elektrohandwerk
Knöpfchen mit Köpfchen
Das Elektrohandwerk unterliegt einem rasanten Wandel. Wo früher im Blaumann Schlitze geklopft und Leitungen verlegt wurden, läuft heute vieles automatisch. Die Branche boomt dank der Digitalisierung. Für die Beschäftigten bieten sich neue Perspektiven.

Das Objekt kennt in Frankfurt am Main fast jeder. Es heißt „Die Welle“ und sieht auch so aus. Das langgestreckte Gebäude windet sich, als würde es sich an einen Bachlauf schmiegen. Das ist kein Zufall. Die Welle empfindet den Lauf des Leerbachs nach, der hier unterirdisch unter der Alten Oper verläuft.

„Die Welle ist ein Hochhaus, nur dass es liegt und nicht in die Höhe ragt.“ So sieht Projektleiter Ralf Jäckel seinen Einsatzort, wo er seit über zwölf Jahren arbeitet. Er und seine vier Kollegen von der Firma Elektroanlagenbau (EAB) mit Sitz in Dietzenbach sorgen für den Betrieb. Ohne sie würden hier auf 115 000 Quadratmetern kein Licht und keine Jalousie funktionieren.

Bei dem Fünferteam in der Leitzentrale laufen die Fäden zusammen. Vier Millionen sogenannte Telegramme schlagen pro Tag online auf. Unter Telegramm ist die elektronische Meldung zu verstehen, wenn zum Beispiel ein Lichtschalter oder eine Jalousie betätigt wird. Überall dort, wo im Haus jemand aufs Knöpfchen auf dem Display neben der Tür drückt, entsteht ein solches Telegramm, das an den zentralen Computer weitergegeben wird. Heizung, Kühlung, Licht, Fernsteröffnung, Außenjalousie und innerer Blendschutz werden so überwacht. Zur Tätigkeit des EAB-Fünferteams gehört auch das Programmieren. Alles läuft über eine spezielle Software für Gebäudesystemtechnik. Die Elektroexperten müssen sich jährlich fortbilden und Seminare besuchen.


Wie von Geisterhand

„Durch Berufserfahrung und Zusatzqualifikationen hat sich die Tätigkeit im Elektrohandwerk stark gewandelt“, sagt Jäckel, 55. „Früher hat es auf den Baustellen manchmal gewaltig gestaubt“, sagt er rückblickend. Dreck und Schmutz gibt es heute deutlich weniger. Arbeits- und Gesundheitsschutz haben sich verbessert, auch die Bezahlung. Was früher der Job von Ingenieuren war, machen jetzt ausgebildete Elektrohandwerker. Eine ganze Branche befindet sich im Wandel.

Der Trend, Gebäude mit smarter Technik auszustatten, macht den Beruf anspruchsvoller und interessanter. Die Arbeit in einem Großobjekt wie „Der Welle“, die vor 20 Jahren errichtet wurde, hat sich stark geändert. Im Vergleich zu früher sind Funktionsgebäude heute mit Technik vollgestopft. Die Ausstattung soll den Energieverbrauch reduzieren. Man kann Gebäudefunktionen genauer regeln, je nachdem ob es draußen kalt oder warm ist, Sturm oder Windstille herrscht. Wird im Winter ein Fenster geöffnet, schließt sich im Raum gleichzeitig das Heizventil. Das verhindert Energieverschwendung. Präsenzmelder lassen das Licht an- und ausgehen, je nachdem, ob eine Person den Raum betritt oder verlässt.

„Es wird zwar immer mehr digital gespeichert, doch es gibt noch die Schaltpläne für Boden- und Deckeninstallation auf Papier“, sagt Kollege Markus Gellweiler. Durch Nachrüstungen ist der Energie-verbrauch des Riesenobjekts kontinuierlich gesunken. Derzeit werden die Leuchten für Fluchtwege von Röhrentechnik auf LED umgestellt.

Das Herz des Gebäudes bekommt seine Informationen von acht Wetterstationen auf den verschiedenen Dächern. Dort werden Windstärke, Windrichtung, Helligkeit und Strahlung gemessen. Bei starkem Wind werden die Jalousien automatisch hochgefahren, um Schäden zu vermeiden. Aus den Daten der Wetterstationen errechnet sich das sogenannte Jahresverschattungsprogramm.

EAB beschäftigt über 300 Mitarbeiter. Die Branche boomt. Das liegt unter anderem daran, dass überall unablässig gebaut wird, seien es private Häuser oder Bürokomplexe. Gleichzeitig werden bestehende Gebäude nach- und aufgerüstet. Auch das Thema Fernwartung wird immer wichtiger. Das heißt, der Fachmann sitzt nicht vor Ort, sondern regelt das aus der Ferne. Ein Team-Kollege betreut vom Büro in Frankfurt zum Beispiel ein Objekt im Ostseebad Binz, über 1000 Kilometer entfernt.


Kein Einfallstor für Hacker

Kai Senner macht jetzt parallel zu seinem Job die Ausbildung zum Meister. Zweimal die Woche geht er nach der Arbeit und am Samstag in die Schule. „Es gibt viele Aufträge aus der Privatwirtschaft und dem Großkundenbereich. Die Preise sind gut. Uns steht die Weiterbildung offen.“ Ein ganz wichtiges Thema beim Smart Home der Zukunft ist die Sicherheit. Niemand will, dass sich jemand in sein Haus einhackt und die Steuerung übernimmt. Auch hier nehmen die Anforderungen weiter zu.

Die IG Metall arbeitet deshalb an einer Novellierung der Ausbildungsordnung des Elektrohandwerks. Es entsteht ein neuer Beruf, der sich auf die Digitalisierung von Gebäudetechnik spezialisiert: Elektroniker für Gebäudesystemintegration. Die Ausbildung soll dreieinhalb Jahre dauern. Dazu passt das selbstironische Motto des EAB-Teams, das an seiner
Bürotür prangt: „Ich lese keine Anleitungen, ich drücke so lange Knöpfchen bis es klappt!“


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