15. Juli 2015
Nächster Exportschlager: Arbeit 4.0
Was Chinas Aufstieg für Deutschlands Industrie bedeutet
Mehr Produktivität, Flexibilität, Transparenz: Das sind die Versprechen der Industrie 4.0. Die Digitalisierung wird die Arbeitswelt fundamental verändern. Für die Industriestaaten China und Deutschland ist das gleichermaßen Herausforderung und Chance. Im Idealfall profitieren beide Seiten.

Von Jost Wübbeke

Die Auswirkungen der Industrie 4.0 auf die Arbeit der Zukunft sind völlig offen. Zu diesem Ergebnis kommt Detlef Wetzel in seinem Buch „Arbeit 4.0“ . In Deutschland wird eine intensive Debatte über die positiven und negativen Effekte geführt. Die Positionen gehen weit auseinander. China hat sich über diese Frage bislang kaum Gedanken gemacht. Fakt aber ist: Aufgrund steigender Löhne ersetzen mehr und mehr Unternehmen ihre Fabrikarbeiter durch Maschinen.

Regierung und Unternehmen begreifen dies bislang nur als eine technologische Herausforderung, in der es um Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit geht. Dabei sind die sozialen Herausforderungen mindestens ebenso groß. Zwar zeigen sich in China bisher nur erste Anzeichen der industriellen Modernisierung. In der stark industrialisierten Provinz Zhejiang hat die Automatisierung aber bereits zu einem Rückgang der Neueinstellungen in der Industrie geführt.

Entwicklungen wie diese werden in den kommenden Jahren immer gravierender. Langfristig könnten die Folgen deutlich dramatischer sein als in Deutschland. Die Entlassung vieler ungelernter Arbeitskräfte birgt gewaltiges soziales Konfliktpotential, das das Land destabilisieren könnte. Trotz deutlicher Verbesserungen können die sozialen Sicherungssysteme die betroffenen Menschen nur unzureichend auffangen.

Deutschlands duales Bildungssystem als Vorbild

Chinesische Experten sind der Meinung, dass die Automatisierung ungelernte Arbeitskräfte besonders benachteiligt. Ähnlich wie von Detlef Wetzel für Deutschland diskutiert, steigt auch in China die Nachfrage nach guten Berufs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Das deutsche duale Modell gilt in China als großes Vorbild. Denn bislang hat die Volksrepublik kein funktionierendes Konzept, wie es seine Arbeitskräfte für die neuen Anforderungen der digitalen Industrie ausbildet.

Berufliche Bildung ist hier allzu oft ein Abstellgleis, das nicht Karriere verspricht, sondern häufig zu schlechten Beschäftigungsverhältnissen führt. Mit der Reform des Bildungssystems steht und fällt Chinas Wettbewerbsfähigkeit. Dies gilt auch für die Gestaltung der Arbeit der Zukunft.

Weiter Weg zur Arbeit 4.0

Industrie 4.0 bietet für Chinas Arbeitskräfte zugleich eine große Chance: Bislang arbeiten sie teils unter erschreckenden, gesundheitsgefährdenden Belastungen, mit geringer Bezahlung. Wenn sie sich im Zuge der Automatisierung und Digitalisierung weiter qualifizieren, dann kann dies auch zu mehr Wertschätzung ihrer Arbeit führen. Die Fabriken „verheizen“ dann nicht mehr beliebig ersetzbare Billiglohnarbeiter, sondern sind auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen.

Deshalb muss China eine zentrale Erkenntnis von Wetzel beherzigen: Wir haben heute die Gestaltungsmöglichkeiten, um die Art und Weise der zukünftigen Arbeit zu bestimmen und in die richtige Richtung zu lenken. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Politik und Wirtschaft in China müssen Industrie 4.0 technologisch und sozial denken. Unternehmen dürfen Arbeitskräfte nicht nur als unerschöpfliche Ressource sondern als wertvolle Investitionen begreifen. Abgesehen von Ausnahmen wie dem Unternehmen Hai’er aus Qingdao gibt es in den wenigsten chinesischen Unternehmen einen Plan, wie sie auf die Automatisierung reagieren sollten.

Deutschland sollte, nicht zuletzt auch im Interesse deutscher Unternehmen, seinen Vorbildstatus in China nutzen, um Erfahrungen mit der Automatisierung und Digitalisierung der Industrie zu teilen. Das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 sorgt für großes Ansehen Deutschlands in China. Das kann und sollte Arbeit 4.0 auch gelingen.

Made in China 2025: Kampfansage aus China

Gleichzeitig ist die Entwicklung der Industrie 4.0 in China für Deutschland eine große Herausforderung. Mit der kürzlich verabschiedeten „Made in China 2025“-Strategie will China zur Industrie-Supermacht auf Augenhöhe mit Deutschland, Japan und den USA aufsteigen. China könnte bei Effizienz und Qualität schneller als gedacht konkurrenzfähig werden.

In der Breite wird dies noch lange dauern, aber besonders fortschrittliche chinesische Unternehmen wie der Baumaschinenhersteller Sany sind dabei, intelligente Fabriken zu testen. Sie werden damit bereits heute zu schlagkräftigen Konkurrenten auf dem Weltmarkt. Wenn Deutschland diese Entwicklungen verschläft, gibt es ein spätes und böses Erwachen. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit kann sich dann nicht mehr auf den so sicher geglaubten Technologievorsprung stützen.

Deshalb müssen Bundesregierung, Unternehmen und Gewerkschaften in Deutschland tatkräftig daran zusammenwirken, die Chancen der Industrie 4.0 zu nutzen und die guten Ausgangsvoraussetzungen nicht zu verspielen. Das Bildungssystem sollte Fachkräfte, insbesondere in der Elektrotechnik, gezielter fördern. Viele mittelständische Unternehmen sollten sich eingehender mit der intelligenten und vernetzten Fertigung beschäftigen. Die Verbände müssen innerhalb der Plattform Industrie 4.0 stärker an einem Strang ziehen. Nicht zuletzt betrifft das die Internationalisierung deutscher Standards.

Ist Deutschland erfolgreich, können deutsche Unternehmen als wichtige Hersteller von Fabrikanlagen und Anbieter von Softwarelösungen sogar stark von der Industrie 4.0 in China profitieren.

Zur Person:
Jost Wübbeke arbeitet am Mercator Institute für China Studies (Merics) in Berlin. Der Ostasienwissenschaftler befasst sich dort mit Innovation und Technologie, Energie und Rohstoffen, Umwelt und Klima sowie der digitalen Wirtschaft.


Video: Detlef Wetzel erklärt das „Bündnis für Industrie“


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