17. November 2015
Jeanette Hofmann im Interview
„Unser Datendilemma ist grundlegend!“
Die Digitalisierung wird unsere Art zu Leben und zu Arbeiten grundlegend verändern. Jeanette Hofmann erforscht den digitalen Wandel am Wissenschaftszentrum Berlin. Im Interview spricht sie über Algorithmen in der Personalabteilung – und die Schwierigkeit, das Netz zu regulieren.

Frau Hofmann, die Bundeskanzlerin hat beim Gewerkschaftstag der IG Metall für ein neues Verständnis für Daten geworben. Deutschland habe wenige Rohstoffe und solle das Potenzial von Daten ernstnehmen. Wie wichtig ist deutschen Unternehmen der Rohstoff „Daten“ bereits?

Von außen zu beobachten ist, dass nach und nach einzelne Branchen aufwachen. Eines der aktuellen Schreckgespenster ist, dass die Daten, die das Autofahren produziert, künftig wertvoller sein könnten, als das materielle Produkt des Autos selbst. Ich gehe davon aus, dass sich viele Wertschöpfungsketten neu sortieren werden.

Mit den Unternehmen wird über den Umgang mit Kundendaten intensiv gestritten. Warum wird die Diskussion über Mitarbeiterdaten nicht ebenso intensiv geführt? Das geplante Beschäftigtendatenschutzgesetz hat die Bundesregierung beispielsweise vertragt.

Die Digitalisierung der Arbeit und ihre Folgen rücken erst langsam in das Bewusstsein der Menschen. Die Inwertsetzung von personenbezogenen Nutzerdaten als Währung ist dagegen als Geschäftsmodell schon länger etabliert. Allerdings machen sich auch dabei viele Menschen über die Konsequenzen der Datenverarbeitung nicht hinreichend Gedanken.

Christiane Benner hat bei der vergangenen Engineering- und IT-Tagung über Datenbanken und Software gesprochen, die Personaler in ihren Entscheidungen unterstützen sollen. Ein Projekt von IBM verspricht „predictive hiring“, ein anderes analysiert die „workforce readiness“ der Mitarbeiter. Wie viel unseres biografischen Schicksals hängt künftig von derartigen Reputationssystemen ab?

Software zur Unterstützung der Personalauswahl enthält ein großes Rationalitätsversprechen, nämlich die Vorstellung, dass sich Fehlentscheidungen auf diese Weise künftig reduzieren oder gar ganz vermeiden lassen. Praktisch ist aber damit zu rechnen, dass es auch künftig zu Fehlentscheidungen kommt. Offen ist allerdings, ob und in welchem Umfang wir diese der Software anlasten wollen. Jedes System produziert korrekte Unterscheidungen, aber nur im Rahmen des gesetzten Kontextes. Ich wage zu bezweifeln, dass wir den beispielsweise bei der Suche nach Mitarbeitern technisch hinreichend definieren können.

Der digitale Wandel hat die Werkhallen und Fabriken schon umgekrempelt. Den Büroarbeitsplätzen steht dieser Wandel häufig noch bevor. Welche Formen der Automatisierung und Rationalisierung sind im Feld der geistigen Arbeit zu erwarten?

Es wird zu einer Zunahme von Expertensystemen kommen. Zunächst im Bereich standardisierbarer Aufgaben und dann zunehmend auch im Bereich von Problemlösungskompetenzen. Ein populäres Beispiel ist die Nachrichtenproduktion. Der „algorithmic journalism“ beginnt heute bei den Börsenmeldungen und Sportnachrichten, die sich beide durch ein relativ überschaubares Vokabular und algorithmisch handhabbare Satzstrukturen auszeichnen.

Können Sie eine kurze Vorschau auf ihren Vortrag bei der Engineering- und IT-Tagung geben? Wie groß ist unser Daten-Dilemma?

Unser Datendilemma ist grundlegend! In meinem Vortrag wird es mir vor allem darum gehen zu zeigen, dass die politische Regulierung der Datenwirtschaft mit tiefgreifenden Zielkonflikten konfrontiert ist. Wenn wir etwa eine bestimmte Form der kommerziellen Nutzung von Daten verbieten, erschweren oder verunmöglichen wir damit auch Wohlfahrtseffekte, die wir eigentlich begrüßen. Ein Beispiel dafür sind Apps, die ihre Dienste in Echtzeit anbieten. Nur wenn diese Apps unsere Handlungen beobachten und in Form von Daten speichern und verarbeiten können, produzieren sie brauchbare Informationsangebote wie etwa die Entfernung zum nächsten Mietauto oder Parkplatz, das aktuelle Wohnungsangebot oder die Preisentwicklung eines Fluges. In den meisten Fällen hängt die Qualität der Dienste übrigens nicht davon ab, dass uns die Anbieter individuell identifizieren können, sondern davon, dass viele Menschen sie nutzen. Müssten wir für diese Dienste mit Geld statt mit persönlichen Daten zahlen, hätte das sofort Auswirkungen auf die Zahl der Nutzer und damit auf die Qualität der Dienste. Es wird für die Probleme der Datenwirtschaft keine einfachen Lösungen geben.


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