4. Februar 2016
Interview
„Es wird radikale Umbrüche geben“
Das erklärt Christiane Benner, die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Im Interview mit dem „Mannheimer Morgen“. Sie sieht die Arbeitswelt vor enormen Veränderungen.

Frau Benner, es gibt dieses Horrorszenario von Menschen, die Tag und Nacht zu Hause am Computer sitzen und verzweifelt um schlecht bezahlte Mini-Aufträge buhlen. Sieht so die Zukunft der Arbeit aus?


Christiane Benner: Nein. Deutschland wird auch künftig ein starker Industriestandort sein, an dem Produkte gefertigt werden. Die Arbeitszusammenhänge werden sich nicht so auflösen, dass Menschen vollständig individualisiert ihre Arbeit von zu Hause aus machen. Aber die Arbeit wird sich verändern.



Und wie?


In der Produktion werden Roboter zunehmend ihre Käfige verlassen, um Hand in Hand mit den Beschäftigten zu arbeiten. Die Mitarbeiter werden stärker Abläufe überwachen und die Arbeitsschritte weniger selbst ausführen. Da die Maschinen enger miteinander vernetzt sind, braucht es Mitarbeiter, die sie programmieren können. Weil die Anforderungen sehr schnell wechseln, müssen sich die Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz ständig weiterbilden. Der Qualifizierung kommt damit eine zentrale Bedeutung zu. Dafür brauchen die Beschäftigten aber auch Freiräume im Produktionsprozess. Mit unserem neuen Bildungsteilzeit-Tarifvertrag sind wir da schon gut aufgestellt.



Welchen Platz gibt es künftig noch für Niedrigqualifizierte, die damit überfordert sind?


Die können von den technischen Möglichkeiten auch unterstützt werden, denken Sie mal an die Google- Brille. Die kann zum Beispiel eine Reparaturanleitung im Sichtfeld einblenden. Auch für körperlich eingeschränkte oder ältere Mitarbeiter können robotergestützte Abläufe eine Chance sein, weil die Roboter sie in der Produktion unterstützen. Wenn uns der Fortschritt hilft, Arbeit humaner zu machen, warum nicht? Ich teile auch nicht die düsteren Prognosen, was den möglichen Stellenabbau betrifft. Aber es wird radikale Umbrüche geben. Der Schlüssel ist die Qualifizierung der Beschäftigten.

 

 

Wie sieht es außerhalb der Produktion aus?


Auch im Büro wird es massive Veränderungen durch die Digitalisierung geben, die man positiv gestalten muss. Einfache, standardisierbare Tätigkeiten werden wegfallen. Zudem wird es durch die Digitalisierung einfacher sein, Wissensarbeit zu verlagern. Am radikalsten zeigt sich die Veränderung beim Thema Crowdsourcing. Wenn wir da nicht regulieren und faire Standards schaffen, droht neben Leiharbeit und Werkverträgen eine neue Form von prekärer, ungeregelter Arbeit.



Sie sprechen auch von der Amazonisierung der Arbeit. Was heißt das?


Wir beobachten, dass Firmen mehr und mehr Aufgaben über Internetplattformen ausschreiben, die diese Arbeit dann an sogenannte Clickworker weitervermitteln. Dazu wird die bisher intern im Unternehmen erledigte Arbeit in kleine Päckchen aufgeteilt, zum Beispiel Softwaretests oder Übersetzungen. Die Firmen kaufen sich also Arbeitsleistungen über das Internet, wie man sich ein Buch bei Amazon bestellt. Das finde ich eine erschreckende Tendenz.



Warum?


Dahinter stecken ja Menschen, die ihr Leben bestreiten müssen. Die Bezahlung auf diesen Plattformen entwickelt sich aber durch die globale Konkurrenz nach unten. Deshalb wollen wir faire Standards erreichen. Die Clickworker müssen angemessen bezahlt werden, auch hier sollte nach Möglichkeit der Mindestlohn gelten, außerdem sollen die Plattformen oder Auftraggeber Sozialversicherungsbeiträge für sie bezahlen. Inzwischen gibt es rund eine Million Clickworker in Deutschland. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass es zu einer Polarisierung kommt ― zwischen einigen gut bezahlten Spezialisten und einem Heer von Crowdworkern, die mit Mikroaufgaben versuchen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. So stellen wir uns die Zukunft der Arbeit nicht vor.



Wie wollen Sie das verhindern?


Wir haben die Plattform „Fair- CrowdWork“ ins Leben gerufen. Dort können die Clickworker deutsche Crowdsourcing-Plattformen als ihre Auftraggeber bewerten und vergleichen. Wird fair bezahlt? Bekomme ich Unterstützung bei Nachfragen? In einem zweiten Schritt wollen wir versuchen, die Bedingungen mit den Plattformbetreibern und Clickworkern zu gestalten ― bei vielen dieser oft jungen Unternehmer spüren wir auch eine gewisse Bereitschaft. Wir wollen keine rechtsfreien Räume wie im Silicon Valley.



Die Arbeitgeber fordern das Ende des Acht-Stunden-Tags. Was halten Sie davon?


Ich bin sauer. Alles, was den Arbeitgebern zur Digitalisierung einfällt, ist: noch mehr Flexibilisierung. Nach dem Motto: Jetzt brauchen wir endlich kein Arbeitszeitgesetz mehr. Da denke ich mir: Himmel hilf! Es gibt in unseren Betrieben schon heute hoch flexible Arbeitszeitmodelle. Wir haben Betriebsvereinbarungen zu mobiler Arbeit abgeschlossen ― auch mit dem Recht auf Abschalten. Das halte ich für intelligentere Lösungen als einfach nur zu sagen: Weg mit den Regeln. Es gibt Schutzbestimmungen, die sehr sinnvoll sind. Dazu gehört der Acht-Stunden-Tag. Bei einem Zehn-Stunden-Tag wird es physisch und psychisch belastend. Das ist arbeitsmedizinisch belegt. Wir brauchen bestimmte allgemeingültige Rahmenregelungen, sonst wird die Digitalisierung auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.



Wie beurteilen Sie die neue Regelung zur Frauenquote?


Ich bin eine Verfechterin der Frauenquote. Dieses Quotenthema, das es ja schon seit einigen Jahren gibt, hat die Debatte über eine Personalentwicklung von Kolleginnen überhaupt erst in Gang gesetzt. Es ist ein Jammerspiel, dass wir unter den 192 Dax-Vorständen nur 16 Frauen haben. Ohne ein gesetzliches Druckmittel geht es nicht. Schauen Sie sich die freiwilligen Zielquoten der Konzerne für Frauen in Führungspositionen an, da wird zum Teil ganz offen ein Ziel von Null angegeben! Das geht doch nicht! Sie sagen von sich, dass Sie nie an die berühmte Glasdecke gestoßen sind, also keine unsichtbare Barriere für den Aufstieg von Frauen erlebt haben. Benner: Ich hatte immer gute Förderer und Förderinnen, denen es um Qualifikation ging und nicht um das Geschlecht.



Sie sind in Bensheim zur Schule gegangen. Zieht es Sie noch in die Region?


Aber natürlich, meine Familie lebt ja noch dort. Außerdem besuche ich gerne Blueskonzerte im Bensheimer Musiktheater Rex. Und da ich selber lange Handball gespielt habe, schaue ich mir auch ab und zu die Rhein-Neckar Löwen in der SAP Arena an. Das Handballspielen vermisse ich immer noch.

Das Interview erschien am 4. Februar im Mannheimer Morgen.


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