11. November 2011
Interview mit Sonja Pellin: mehr Sozialausgaben nötig
Vermögende stärker in die Pflicht nehmen
Weil die Politik den Sozialstaat in Deutschland immer weiter abgebaut hat, müssten zumindest gerechte Einkommen her, die beispielsweise den schrumpfenden Leistungskatalog der Krankenkassen ausgleichen. Deshalb fordert die junge Lehrerin Sonja Pellin, Mindestlöhne einzuführen.

Von seiner Arbeit muss man leben und seine Familie ernähren können. Dazu gehört auch eine ausreichenden Versorgung im Krankheitsfall. Mit einem Job, bei dem man so wenig verdient, dass man seinen Lohn mit Hartz IV aufstocken muss, so Sonja Pellin, seien Kosten wie die Praxisgebühr kaum noch zu bewältigen. Der Hartz IV-Satz sei ohnehin zu wenig und ermögliche es den Betroffenen nicht, ein menschenwürdiges Leben zu führen, erklärt die Lehrerin. Für sie gehören Vermögende stärker in die Pflicht genommen, um anteilig einen gerechteren Beitrag für unseren Sozialstaat zu leisten.

Glauben Sie, dass Sie für Ihre Leistung angemessen bezahlt werden?
Als Berufsanfängerin verdient man natürlich immer etwas weniger. Das kann sich im Berufsverlauf natürlich immer mehr steigern. Vom Lebenslauf finde ich das etwas ungünstig, da fängt ja gerade die Phase an, wo man sich überlegt, Kinder oder nicht oder eine eigene Wohnung.

Wenn man eine Arbeit Vollzeit macht, muss man von ihr auch leben und eine Familie ernähren können. Gerade das, was in den letzten Jahren passiert ist, nämlich dass immer mehr Leute zu niedrigen Löhnen eingestellt werden können, auch aufgrund von politischen Entscheidungen, halte ich für falsch.

Könnten Sie mit dem Hartz-IV-Satz leben?
Also ein gutes Leben kann man damit nicht führen. Man kann notfalls damit über die Runden kommen. Das bedeutet aber, dass man sich total einschränken muss, dass man bei jedem Kauf den Euro zweimal umdrehen muss, dass größere Anschaffungen wie eine neue Waschmaschine, die ja nicht mehr als Sonderbedarf gelten, schwierig werden sich zu leisten.

Wenn alles glatt läuft, wenn keine Haushaltsgeräte kaputt gehen, wenn man schon in einer genügend kleinen Wohnung gelebt hat, wenn man nicht Wert darauf legt, weg zu gehen oder auch mal was in der Freizeit zu machen, in einem Verein zu sein, dann kann man davon überleben. Aber ich glaube, dass ist nicht das, was wir als Sozialstaat eigentlich wollen, dass die Menschen leben können, von daher ist der Hartz-IV-Satz für ein gutes Leben oder ein menschenwürdiges Leben viel zu niedrig.

Glauben Sie, dass der stete Sozialabbau auch für die dramatische Vergrößerung der Schere zwischen Arm und Reich verantwortlich ist?
Der Sozialabbau hat auf jeden Fall dazu beigetragen. Wenn das Arbeitslosengeld nur noch zwölf Monate gezahlt wird, man dann Hartz-IV-Empfänger ist und vorher vielleicht einen Verdienst von 2000 Euro hatte, dann ist das ein großer Unterschied zu vorher. In den letzten Jahren hat es immer häufiger Lohnverzicht gegeben hat und auch die Tarifverhandlungen waren nicht so ergiebig, so dass die Löhne real kaum gestiegen sind. Das hat zur Vergrößerung der Schere beigetragen.

Da ist die Politik einerseits mit schuld, das gesellschaftliche Klima und die Gewerkschaften haben nicht den Druck aufbauen können, wie sie es hätten müssen im Sinne der Beschäftigten. Das alles hat zum Niedriglohnsektor und zu Minijobs beigetragen. Es arbeiten ja immer mehr Leute für weniger Geld. Und wenn dann noch gleichzeitig Steuern, insbesondere für reichere Schichten, gesenkt werden, führt das dazu, dass die, die mehr haben, auch immer mehr bekommen.

Wie könnte man diese Entwicklung aufhalten?
Man kann da an zwei Seiten ansetzen. Einerseits am unteren Level bei den Transfereinkommen wie Hartz IV und diese anheben, aber auch bei denen ansetzen, die arbeiten gehen. Das heißt die Einführung von Mindestlöhnen von mindestens 7,50 Euro pro Stunde oder mehr und dann eben auch am anderen Ende. Die, die viel haben, müssen einen angemesseneren Beitrag für das Sozialsystem leisten. Klassischerweie geht sowas über die Anhebung von Steuern.

Was bedeutet Gerechtigkeit für Sie?
Wenn eine Gesellschaft es schafft Gerechtigkeit herzustellen, beispielsweise im Schulsystem oder im Steuersystem, kann man eine Gesellschaft erreichen, die gleicher ist und die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht mehr so groß sind. Für mich bedeutet Gerechtigkeit ein Weg zu mehr Gleichheit in der Gesellschaft im positiven Sinne.

Glauben Sie, dass in Deutschland jeder über gleiche Chancen verfügt?
Es ist ja bereits empirisch erwiesen, dass die Chancen in Deutschland von der Herkunft abhängen. Das merke ich in der Schule. Ich habe meine Ausbildung an einer Gesamtschule gemacht, da hatte ich ein ganz anderes Klientel von Kindern sitzen als es jetzt am Gymnasium der Fall ist. Für Kinder aus sozial schwächeren Familien ist es bei einer höheren Bildung schwieriger Fuß zu fassen.

Was bedeutet Solidarität für Sie?
Bei Solidarität denke ich als erstes an den Sozialstaat, dass jeder seinen Beitrag für die Gesellschaft je nach Vermögen leistet.


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