5. Januar 2010
Industrieproduktion in Deutschland: industrielle Basis sichern
Kurs „Gute Arbeit und Innovation“!
Es klafft eine gewaltige Lücke zwischen der industriellen Leistungsfähigkeit und deren öffentlicher Wahrnehmung. Ein Blick in die Zeitungen verdeutlicht das Problem. IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Rhode erklärt warum und zeigt Perspektiven für die Zukunft auf.

Während für das Feuilleton eigentlich immer schon klar war, dass das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ bevorsteht und die „industriellen Dinosaurier aussterben“, wurde im Wirtschaftsteil die Aufmerksamkeit bis zum Platzen der Kreditblase auf die doch so „innovativen Finanzmarktprodukte“ konzentriert.

Deutschland verfügt nach wie vor über einen bedeutenden industriellen Kern, auch wenn dies öffentlich zu selten wahrgenommen wird. Die Größe der hiesigen Industrie an der gesamten Wertschöpfung ist ein deutlicher Unterschied zu vielen europäischen Nachbarn. Rund 7,5 Millionen Männer und Frauen arbeiten direkt in einem Industrieunternehmen. Werden auch die indirekt abhängigen Arbeitsplätze einbezogen, so hängt 2009 immerhin jeder dritte Arbeitsplatz von der Industrie ab. Bei den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung entfallen sogar neun Zehntel auf das verarbeitende Gewerbe. Wesentlich für den Erfolg auf den Märkten ist das Zusammenspiel von kleinsten bis hin zu großen Unternehmen entlang der wichtigen Wertschöpfungsketten.



In der augenblicklichen Weltwirtschaftskrise kann sich das „höfliche Desinteresse“ der Politik an der Industrie zu einer ernsten Gefahr entwickeln. Mit zunehmender Dauer der Krise steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es beispielsweise zu schwerwiegenden Substanzverlusten im Maschinenbau kommen könnte. Gerät dieser Tage ein Zulieferer ins Schlingern, so kann eine Kettenreaktion in Gang gesetzt werden, bei der wiederum viele Unternehmen in anderen Sparten gefährdet wären. Ein Verlust von wichtigen industriellen Kompetenzen muss verhindert werden. Schlechtreden hilft nie, aber dem jüngst wieder versprühten Konjunkturoptimismus fehlt es an einem sicheren Fundament. Die Lagebewertung fällt immer noch düster aus: Die IG Metall geht davon aus, dass allein in der Metallindustrie bis zu 700 000 Arbeitsplätze gefährdet sind. So weit darf es nicht kommen. Drei Aufgaben stehen jetzt an:

1. Arbeitsplätze und Industrie über die Krise bringen:
Zunehmend leere Auftragsbücher und auch die Unternehmensfinanzierung bereiten uns in fast allen Branchen Sorgen. Über diese Lagebeschreibung herrscht allerorten Einigkeit. Es kommt jetzt auf die Entschlossenheit an, die industriellen Strukturen und die Beschäftigten nicht in das Konjunkturloch fallen zu lassen. Die Politik hat die Aufgabe, industrielle Strukturen zu sichern und die Konjunktur anzukurbeln. Es gibt keinen Grund, in Sachen aktive Industriepolitik innerhalb des europäischen Konzerts zurückhaltend aufzutreten. Ganz praktisch geht es jetzt um die Sicherung der Basis des Wohlstands und nicht um ordnungspolitische Lehrformeln der Elfenbeintürme. Auch der Finanzsektor muss ein klares Signal geben: Banken müssen Unternehmen durch die Finanzierung von Projekten sowie des laufenden Geschäftsbetriebs helfen. Die Eigentümer und das Management müssen in jedem einzelnen Unternehmen deutlich machen, dass sie zusammen mit den Belegschaften und ihren Interessenvertretern Arbeitsplätze und Wertschöpfung erhalten wollen. Substanzerhalt lohnt, weil die mittelfristigen Zukunftsaussichten in fast allen Branchen eindeutig positiv sind.

2. Mit betrieblichen Zukunftsplänen zu einer nachhaltigen Personalpolitik:
Jetzt entscheidet die Form der Krisenbewältigung über die Aufstellung im nächsten Aufschwung. Es ist keine Angebotskrise, sondern die Nachfrage ist radikal eingebrochen. Eine falsche Therapie kann keine Heilung versprechen. Es wäre nicht erfolgversprechend, würden jetzt einzelbetrieblich arbeits- und tarifpolitische Standards in Frage gestellt werden. Der Erfolg der Industrie basiert auf technologisch hervorragenden Produkten, die von qualifizierten Beschäftigten entwickelt und produziert werden. Mit Hilfe von einzelbetrieblichen Zukunftsplänen muss jetzt das vorhandene Know-how gesichert werden. Facharbeit, Ingenieurwissenschaft und Entwicklergeist machten seit jeher die Stärke der Industrie aus. Das ist kein romantisierender Blick zurück, sondern bietet auch künftig die Chance auf Innovation und Beschäftigung. Auch demokratische Beteiligungsrechte in den Unternehmen und der Wirtschaft sind keine Relikte vergangener Zeiten, sondern Bedingung des wirtschaftlichen Erfolgs. Es geht um Zukunftssicherung durch Innovation und Qualifizierung statt um plumpe Billiger-Ansätze!

3. Ressourceneffiziente Produktion und ökologische Zukunftsmärkte fördern:
Die Wirtschaftskrise wird hoffentlich in wenigen Jahren vergessen sein, bleiben werden hingegen die Megathemen rund um den Klimawandel und die Energie- und Ressourceneffizienz. Wer in Klimaschutzvorgaben und in Windrädern vor allem Wettbewerbsnachteile und Nischen märkte sieht, verkennt die vorhandenen Potenziale einer emissionsärmeren Wachstumsstrategie.

Beim notwendigen ökologischen Umbau der Industrie ergeben sich zwei ergänzende Wege: Neben der Stärkung der noch jungen Branchen der erneuerbaren Energien und anderer Umwelttechnologien geht es vor allem auch um die Kerne der Industrie, das heißt um „grünere“ Produkte und Verfahren in der Metallverarbeitung, im Maschinenbau und in der Automobilindustrie. Am Beispiel des Verkehrssektors kommen neben der Umwelt auch gesellschaftliche Veränderungen zum Tragen. Veränderte Mobilitätsbedürfnisse, gewandelte Kundenwünsche und Urbanisierung verlangen künftig stärker vernetzte Mobilitätskonzepte und verbrauchsärmere Motoren – eine gewaltige Aufgabe.



Industrieunternehmen waren in der Vergangenheit sehr erfolgreich damit, die Arbeitsproduktivität immer weiter in ungeahnte Höhen zu treiben. Weit abgeschlagen ist hingegen die Material und Ressourcenproduktivität geblieben. Die heutige Kostenstruktur und die mittelfristig steigenden Rohstoffpreise verlangen ein Umdenken. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wird künftig entscheidend davon abhängen, wie schnell sie sich die Technologien zur Energie- und Ressourceneffizienz zu eigen machen können und in ihr Produktportfolio integrieren können. Der ökologische Wandel der Industrie sollte aktiv beschritten werden. Es gilt der Leitgedanke: Mit Hilfe der Industrie lassen sich Emissionen vermindern und die Auswirkungen des Klimawandels bewältigen. Dafür braucht es langfristig tragfähige Entscheidungen über Investitionen statt Casino und kurzfristige Renditeorientierung.
Der Bund und die EU müssen diesen Wandel über eine aktive ökologische Industriepolitik fordern und fördern.

Für Millionen von Arbeitnehmern und für den Wohlstand spielt die industrielle Produktion eine zentrale Rolle. Mittelfristig braucht es die industrielle Strategie der „Guten Arbeit und Innovation“, damit die sicher vorhandenen Chancen auf den Absatzmärkten realisiert werden können. Akut geht es jetzt um die Krisenbekämpfung und die Sicherung der industriellen Basis, dazu gehört vor allem auch die Sicherung von Beschäftigung und Verhinderung von Entlassungen.

Der Beitrag ist im RKW-Magazin erschienen.

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