4. Dezember 2014
Interview mit Jürgen Dispan und Martin Schwarz-Kocher vom Stu...
Innovation entsteht in den Köpfen
Der deutsche Maschinenbau ist mit rund einer Million Beschäftigten die größte Industriebranche Deutschlands. Sie muss für den technologischen Wandel neue Strategien entwickeln und dabei die Fachkräftesicherung in den Vordergrund stellen. Das ist das Ergebnis der Studie des IMU-Instituts ...

Sie muss für den technologischen Wandel neue Strategien entwickeln und dabei die Fachkräftesicherung in den Vordergrund stellen. Das ist das Ergebnis der Studie des IMU-Instituts in Stuttgart. Wir sprachen mit den beiden Autoren.

Was sind die aktuellen Entwicklungstrends im Maschinenbau? Sozialwissenschaftler Jürgen Dispan und Arbeitssoziologe Martin Schwarz-Kocher vom Stuttgarter IMU Institut haben das im Auftrag von IG Metall und Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Eine bedeutende Stärke der Branche liegt im „Erfolgsfaktor“ Mensch, also den gut qualifizierten Beschäftigten. Das ist eines der Ergebnisse der Studie.

Warum sollten Betriebsräte sich mit eurer Studie befassen?

Jürgen Dispan: Sie können daraus erkennen, was sich im Maschinenbau technologisch und auf den Märkten entwickelt und was das für Arbeitsbedingungen und Beschäftigung bedeutet. Sie sollten die Chance nutzen, sich aktiv in diese Entwicklungen einzumischen, für ihre Belegschaften und die Zukunft ihres Unternehmens.

 

Was sind die aktuell wichtigen Entwicklungstrends?

Dispan: Da sind einmal die Marktentwicklungen. Der weltweite Konkurrenzdruck durch die Globalisierung nimmt weiter zu. Mit der Nachfrageverlagerung in Wachstumsmärkte außerhalb Europas verlagert sich auch Produktion dahin, aber nicht nur: auch Entwicklungs- und Konstruktionseinheiten werden dort aufgebaut. Gleichzeitig etablieren sich kostengünstige neue Spieler aus den Schwellenländern am Markt, vor allem aus China. Die Chinesen imitieren nicht mehr nur, sondern werden zu Innovatoren, das ist eine neue Qualität. Vor allem im mittleren Marktsegment haben sie bereits große Marktanteile und drängen perspektivisch auch in den Premiumbereich. Der deutsche Maschinenbau muss dieses am stärksten wachsende mittlere Segment im Blick behalten und darf sich nicht in den relativ kleinen Premiumbereich abdrängen lassen. Eine duale Strategie ist gefragt.


Martin Schwarz-Kocher: Es gibt weiter Bedarf an günstigen Maschinen, vor allem auch in den Schwellenländern. Immer wichtiger wird deshalb der Trend zu Standardisierung und Modularisierung – die Baukastenkompetenz. Hier gibt es großen Nachholbedarf und wer hier etwas vorweisen kann, hat große Chancen. Kundenspezifische Lösungen müssen dennoch gewahrt bleiben. Der Service gewinnt weiter an Bedeutung, die gute Betreuung der Kunden nach dem Aufstellen der Maschine.


Dispan: Aus technologischer Sicht gibt es zwei große Entwicklungen: zum Einen Umwelt- und Effizienztechnologien, also alles was unter Greentech fällt. Gerade die Energieeffizienz wird zu einem immer wichtigeren Thema. Hohe Anforderungen an Energieeffizienz kommen übrigens immer stärker auch aus China, wo nicht zuletzt dadurch der nationale Energieverbrauch gesenkt werden soll.


Schwarz-Kocher: Das zweite Thema ist der digitale Wandel – sowohl in der Fabrik (Industrie 4.0) als auch in der Produktion (Stichwort zum Beispiel 3D-Druck als innovatives Werkzeug). Das fordert vom deutschen Maschinenbau eine ganz neue Strategie. Zur Kernkompetenz Mechatronik muss sehr schnell die IT-Kompetenz kommen, sonst besteht die Gefahr, dass die Maschinenbauer zu reinen Hardwarelieferanten werden und Apple oder Google das Betriebssystem liefern. Warum sollten auch klassische Maschinenbauer nicht in Erwägung ziehen, zum Beispiel mal einen App-Entwickler einzustellen?


Übernehmen Apple und Google künftig den Maschinenbau?

Schwarz-Kocher: Von Apple und Google wird die Kombination von Technologien wie Industrierobotern, Clouds, Tablets und Apps vorangetrieben. So gab es in jüngster Zeit mindestens acht Unternehmensaufkäufe von Google in der Robotik und Automationsindustrie. Unter dem Begriff „Industrial Internet“ wird diese Entwicklung von staatlicher Stelle in den USA massiv gefördert. So entstehen ganz neue Geschäftsmodelle mit Chancen und Risiken, denen sich die Maschinenbauer hierzulande schleunigst stellen müssen.


Welche Herausforderungen ergeben sich für die Beschäftigung?

Dispan: Der deutsche Maschinenbau ist hervorragend aufgestellt, abgesehen von strukturellen Schwierigkeiten wie zum Beispiel dem Rückgang in Sparten wie dem Papier- und Druckmaschinenbau. Wir sehen deshalb bisher keine großflächigen Auswirkungen auf die Beschäftigung. Der hochqualifizierte Fachkräftestamm steht gewiss nicht in Frage.

Schwarz-Kocher: Die Unternehmen müssen aber ihre Standortvorteile weiter stärken, um auf der Höhe zu bleiben. Eine bedeutende Stärke liegt im „Erfolgsfaktor“ Menschen – die gut qualifizierten Beschäftigten. Da gibt es eine ganze Reihe von Herausforderungen, etwa den demografischen und den bereits genannten digitalen Wandel. Hier gilt es, die Fachkräftekompetenz zu sichern. Innovation entsteht in den Köpfen, das ist eine altbekannte Tatsache.


Was müssen Betriebe für die Fachkräftesicherung tun?

Dispan: Das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter ist der entscheidende Innovations- und Wachstumstreiber. Fachkräftesicherung durch berufliche Ausbildung und Qualifizierung sollte noch viel stärker in den Vordergrund gerückt werden. Für das Ergreifen von Zukunftschancen und die Innovationsfähigkeit brauchen wir die Facharbeiter und Ingenieure ganz dringend. Auch die betriebliche Teilhabe und die Einbindung von Beschäftigtenwissen sind ganz wichtig. Eine positive Unternehmenskultur mit motivierten Beschäftigten birgt große Potenziale für die betriebliche Innovationsfähigkeit. Mitbestimmung und Tarifpolitik sind ebenfalls Erfolgsfaktoren.

Schwarz-Kocher: Der demografische Wandel mit sinkenden Zahlen von Schulabgängern und einem steigenden Durchschnittsalter der Belegschaften verlangt neue Formen der Weiterbildung, alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen und „gute Arbeit“ als Schlu?ssel zur Sicherung des Fachkräftebedarfs. Um es überspitzt zu sagen: Das bisherige Modell des klassischen Monteurs – heute in China, morgen in Brasilien und inzwischen dreimal geschieden – ist nicht mehr attraktiv. Es braucht neue, an Lebensphasen orientierte Arbeitsmodelle, die Beruf, Familie und Leben miteinander in Einklang bringen.

Das Interview führte für uns Uli Eberhardt

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