29. November 2016
Interview mit Martin Schwarz-Kocher vom IMU-Institut Stuttgart
Autobauer haben gute Chancen
Die Autoindustrie hat gute Chancen möglichst viele Arbeitsplätze auch bei der Umstellung auf Elektromobilität zu halten.

Martin Schwarz-Kocher, IMU-Institut, erklärt im Interview, warum es wichtig ist, die Beschäftigten auf die neuen Tätigkeiten zu qualifizieren und möglichst viel Wertschöpfung in Deutschland zu halten.

Gehen Arbeitsplätze verloren, wenn das Elektroauto kommt?
Martin Schwarz-Kocher:
Wenn im Antriebsstrang künftig nicht mehr 1400 Teile produziert und montiert werden wie jetzt beim konventionellen Verbrennungsmotor, sondern nur noch 200 für den Elektroantrieb, hat das natürlich Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Die Hersteller der Komponenten, also zum Beispiel von Motorteilen und Getrieben, sind besonders betroffen. Es sind vor allem Zulieferer, denn sie fertigen momentan 80 Prozent der Wertschöpfung in der Branche.

Die Folgen machen sich aber nicht von heute auf morgen bemerkbar.
Nein, es gibt eine Übergangsphase. Nach Prognosen steigt die Beschäftigung sogar bis etwa 2020, weil die arbeitsintensiven Hybridautos stark zunehmenwerden.Wenn der Anteil der Elektroautos aber viel schneller als erwartetwächst und sie Hybridfahrzeuge verdrängen, könnte das die positive Entwicklung gefährden. Außerdem hängt die Beschäftigung auch davon ab, wie viel Batterieelektrik in Deutschland produziert wird.

Es ist also richtig, wenn Betriebsräte darauf drängen, möglichst viel Wertschöpfung hier zu halten?
Absolut. Das ist eine ganz elementare Frage. Die deutschen Anbieter sollten eine gemeinsame Strategie entwickeln, um auf dem Weltmarkt mit innovativer Batterietechnologie eine starke Wettbewerbsposition zu gewinnen. Dabei wird die nächste, dritte Zellengeneration eine wichtige Rolle spielen. Sie ist die Stellschraube für die Reichweite künftiger batteriebetriebener Pkws. Eine höhere Reichweite ― von 400 Kilometern und mehr – ist für den Durchbruch des Elektroautos ganz entscheidend.

Welche Alternativen gibt es denn für die Beschäftigten, wenn immer mehr Autos mit Verbrennungsmotor durch batteriegetriebene ersetzt werden?
Die betroffenen Zuliefererbrauchen eine doppelte Diversifizierungsstrategie. Diversifizierung heißt: Sie müssen neue Felder innerhalb ihrer Branche erschließen, zum Beispiel die Technologien rund um die Digitalisierung und um autonomes Fahren. Sie können ihre Kompetenzen in neuen Geschäftsfeldern außerhalb ihrer bisherigen einsetzen. Sie können zum Beispiel Getriebe für Windenergieanlagen, Kraftwerke oder Standmotoren bauen oder die Versorgungssysteme für Batterieladepunkte und Wasserstoffstationen entwickeln und erstellen.

Das heißt, viele Beschäftigte werden sich auch weiterqualifizieren oder umschulen müssen.
Auf jeden Fall, und damit sollten sie schon anfangen. Aber das geschieht auch bereits. Etliche Unternehmen sind dabei zu diversifizieren und investieren in die Entwicklung neuer Technologien. So befassen sich Ingenieure mit der Lenkung von Lastwagen, die autonom fahren, oder mit Batterietechnik. Der Umstieg wird nicht billig zu haben sein. Aber Unternehmen stellen schon Ressourcen zur Verfügung.

Müssen sich nicht auch die Inhalte in der Berufsausbildung ändern?
Natürlich müssen neue Anforderungen in die Ausbildung integriert werden, die bisher in Metallberufen fremd sind, zum Beispiel der Umgang mit Starkstromtechnologien, die Steuerung von Leistungselektronik.

Sehen Sie die Perspektiven für die Beschäftigten eher optimistisch oder pessimistisch?
Die deutsche Autobranche hat gute Chancen, den technologischen Wandel zum digitalen elektrischen Auto besser zumeistern als ihre ausländischen Wettbewerber ― weil sie sich auf ein starkes und anpassungsfähiges Innovationsnetzwerk aus Herstellern, Zulieferern, Forschungseinrichtungen und Maschinenbauunternehmen stützen kann. Wenn daraus in diesem Umbauprozess Wettbewerbsstärke entsteht und die deutsche Autoindustrie einen großen Teil des neuen Markts bedienen, also mehr produzieren kann, hat sie die Chance, einen Teil der negativen Beschäftigungseffekte wieder auszugleichen.


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