21. Juli 2016
Rentensystem in Deutschland: Von wegen Auslauflaufmodell
Warum die Rente viel besser ist als ihr Ruf
Seit Jahren demontieren Versicherungslobbyisten und Politiker die gesetzliche Rente. Dabei ist das System viel leistungsfähiger, als viele glauben – und könnte auch in Zukunft eine solide Alterssicherung garantieren. Höchste Zeit für eine Ehrenrettung.

Es gibt Geschichten, die werden so oft wiederholt, dass sie irgendwann jeder für wahr hält. Eine dieser Geschichten geht so: Die gesetzliche Rente taugt nichts mehr, die Menschen müssen privat vorsorgen, sonst bleibt im Alter nur die Armut. So predigen es Politiker und Versicherungslobbyisten seit Jahren. Sie haben damit viel erreicht.

Sie haben Norbert Blüm mit seinem legendären Spruch „Die Rente ist sicher“ zur Witzfigur gemacht. Sie haben geschafft, dass der vermeintliche Niedergang der gesetzlichen Rente zum Allgemeinplatz geworden ist. Sie haben in den Köpfen vieler Bürger den Gedanken verankert, dass Rentenleistungen gekürzt werden müssen, weil die Gesellschaft altert.

Das Problem: All diese Aussagen zur Rente sind nicht nur weit verbreitet, sie sind auch irreführend oder schlicht falsch.

Tatsächlich ist das deutsche Rentensystem enorm leistungsfähig. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Rentenversicherung derzeit über eine hohe Rücklage verfügt und die Renten zuletzt deutlich angehoben werden konnten.

Klar ist aber auch: Die Rentenreformen der vergangenen Jahre haben die Versorgung im Alter deutlich verschlechtert. De facto waren es Rentenkürzungen. Um die Alterssicherung insgesamt zu stärken und die Menschen vor sozialem Abstieg oder gar Armut zu schützen, braucht es grundlegende Korrekturen.


Systematische Überforderung

Kritiker der gesetzlichen Rente führen gerne an, dass Renten-Zuschüsse schon heute den größten Posten im Bundeshaushalt ausmachen. Die Zuschüsse sind aber vor allem deshalb nötig, weil das Rentensystem auch Leistungen auszahlt, die über klassische Renten hinausgehen. Auch solche „versicherungsfremde Leistungen“ sollen jetzt vermehrt aus den Beiträgen der Versicherten gezahlt werden. Jüngstes und besonders teures Beispiel: die Mütterrente. Sie kostet im Jahr über sechs Milliarden Euro – rund drei Viertel der Gesamtkosten des Rentenpakets von 2014.

Wer Kinder bekommt – also künftige Beitragszahler – sollte dadurch bei der Rente keinen Nachteil erleiden. Erziehungszeiten anzurechnen ist gerecht. Es ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss deshalb von allen bezahlt werden.

Dasselbe gilt für dringend benötigte Leistungen zur Abwehr von Altersarmut – etwa die Aufwertung von Zeiten mit niedrigen Einkommen oder Beiträge für Langzeitarbeitslosigkeit. Auch dafür werden zusätzliche Steuermittel gebraucht. Das bedeutet aber nicht, dass die Rentenversicherung nicht mehr leistungsfähig wäre oder die Beiträge nicht ausreichen. Dennoch sprechen Rentenkritiker von einer Überlastung des Rentensystems und plädieren für mehr private Vorsorge.


Das Kreuz mit der Privatvorsorge

Doch die private Vorsorge hat viele Hoffnungen enttäuscht. Die Verwaltungskosten vieler Riester-Produkte sind hoch. Das schmälert den Ertrag. Hinzu kommt: Seit einiger Zeit gibt es am Kapitalmarkt kaum noch Zinsen. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen war zuletzt sogar negativ. Wer diese Papiere kauft, schenkt dem Bundesfinanzminister Geld.

Auch die in Deutschland weit verbreitete Lebensversicherung bietet wegen der Niedrigzinsen nur noch mickrige Erträge. Der sogenannte Garantiezins liegt bei 1,25 Prozent. 2017 soll er auf 0,9 Prozent sinken. Höhere Erträge müssen Lebensversicherungen ihren Kunden dann nicht mehr garantieren.

Der Rentenversicherung können die Kapriolen des Kapitalmarkts weitgehend egal sein. Sie ist ein Umlagesystem: Was die Beschäftigten heute einzahlen wird direkt an die Rentner ausgezahlt. Und die Beiträge teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die private Vorsorge sollen die Arbeitnehmer alleine finanzieren – auch wenn viele sich das gar nicht leisten können.

Weiterer Vorteil der Umlagefinanzierung: Hochbezahlte Finanzmanager, die Geld von A nach B umschichten, werden nicht gebraucht. Die Verwaltungskosten der Rentenversicherung sind unschlagbar niedrig: Rund 1,5 Prozent der Beiträge. Bei privaten Vorsorgeprodukten können die Kosten bei bis zu 20 Prozent liegen. Sie zehren dann die gesamte staatliche Förderung auf.


„Alt gegen jung“ ist zu einfach

Bleibt das Thema „Demografie“. Es stimmt: Die Bevölkerung in Deutschland altert. Die Zahl der Rentner steigt. Aber: Auch die Zahl der Erwerbstätigen steigt derzeit – und damit die der Beitragszahler. Der gesellschaftliche Wohlstand wächst.

Das Problem: Der Wohlstand ist zunehmend ungleich verteilt. Es geht also in erster Linie um die gerechte Verteilung innerhalb jeder einzelnen Generation – nicht um die zwischen den Generationen. Was fehlt, ist eine gesellschaftliche Übereinkunft über notwendige Leistungen der Rente einerseits und die dafür akzeptablen Kosten andererseits.

Die überwältigende Mehrheit der unter 35-Jähigen akzeptiert dabei höhere Beiträge, wie eine Studie der IG Metall zeigt. Dafür wollen sie dann aber auch eine Rente, die den Lebensstandard im Alter sichert.

Derzeit setzen die Jungen wenig Vertrauen in die gesetzliche Rente. Nur 22 Prozent glauben, dass sie später einmal „gut“ oder „sehr gut“ davon leben können. Das jahrelange Schlechtreden hat auch bei ihnen Spuren hinterlassen. Höchste Zeit, die Rente neu aufzustellen. Sie hat es verdient.

 

Surftipp: So retten wir die Rente – Rentenkonzept der IG Metall



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