Dr. Hans-Jürgen Urban: Das vom Generalsekretär der FDP und anderen FDP-Bundestagsabgeordneten verfasste Thesenpapier unterscheidet sich insoweit wohltuend von den Ausführungen des FDP-Parteivorsitzenden, als dass es darauf verzichtet, Arbeitslose zu diffamieren und offen eine Spaltung von Erwerbstätigen und Erwerbslosen zu propagieren. Offensichtlich versuchen Teile der FDP sich vom marktschreierischen Duktus ihres Vorsitzenden abzusetzen.
Dennoch: Zum einen stimmt die Richtung nicht. Die FDP geht nach wie vor davon aus, dass die Arbeitslosen- und nicht die Arbeitslosigkeit das Problem ist. Wer, wie Lindner, der Agenda 2010 einen Erneuerungsimpuls zuspricht , und nun einen zweiten Anlauf fordert, beschleunigt den Weg in die Sackgasse.
Zum anderen: Wer eine Neuordnung der Grundsicherung fordert, aber nicht deutlich macht, wie hoch die Regelsätze und wie hoch die zu pauschalierenden Kosten der Unterkunft sein sollen, drückt sich um die Kernfragen zur Grundsicherung herum. Wenn alle Veränderungen letztlich kostenneutral sein sollen, stellt sich zudem die Frage, in welchen Bereichen die FDP kürzen will. Auch hierzu fehlen klare Äußerungen.
Die geltenden Hinzuverdienst-Regelungen führen dazu, dass Hartz IV-Empfänger oftmals nur einen kleinen Teil ihres Hinzuverdienten behalten können. Eine Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen scheint daher auf den ersten Blick für betroffene Alg II-Bezieherinnen und -Bezieher in der Tat attraktiv. Die FDP-Vorschläge beinhalten aber nicht die Perspektive, die Menschen in existenzsichernde Beschäftigung zu vermitteln. Arbeitgeber werden zudem davon entbunden, existenzsichernde Löhne zu zahlen. Niedriglöhne – gerade auch im Vollzeitbereich – werden so dauerhaft auf Kosten der Öffentlichen Hand subventioniert und Arbeitgeber werden entlastet.
Dieses Ziel wird von der IG Metall unterstützt. Die FDP unterschlägt aber, dass ihre Politik der Lohnspreizung und des Niedriglohns dazu geführt hat, dass immer mehr Menschen Schwarzarbeit verrichten, weil sie keinen existenzsichernden Lohn mehr erhalten. Überdies müsste eine wirksame Politik gegen Schwarzarbeit die Arbeitgeber ins Visier nehmen, die systematisch und in krimineller Weise Schwarzarbeit gefördert und betrieben haben.
Das Problem der bisherigen Sozialleistungen besteht nicht in erster Linie in ihrer Unübersichtlichkeit, sondern darin, dass sie zum Teil willkürlich bemessen wurden und insgesamt zu niedrig sind. Dadurch wurde der Druck auf dem Arbeitsmarkt erhöht, weil immer mehr Menschen gezwungen wurden, ihre Arbeit zu Billigpreisen zu verrichten. An diesem Problem ändert eine Zusammenführung von Leistungen nichts. Hinzu kommt: Die bisherigen Pauschalierungen und Zusammenfassungen von Leistungen gingen zumeist mit Sozialabbau einher.
Die IG Metall wendet sich keineswegs gegen die Verbesserung der Vermittlung. Aber uns das Motto „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ als Maßnahme zur besseren Vermitttlung zu verkaufen, ist zynisch. Es geht gerade darum, Menschen im Falle der Bedürftigkeit Unterstützung zu gewähren, ohne sie als Lohndrücker zu mißbrauchen. Das Lindner-Papier verkennt überdies, dass das wesentliche Problem des Arbeitsmarktes in Deutschland nicht ein Vermittlungsproblem ist, sondern das gesamte Produktions- und Konsummodell in der Krise ist. Es fehlt eine Debatte, wie und was in gesellschaftlich verantwortlicher Weise unter sozialen und ökologischen Kriterien produziert und verteilt werden sollte.
Die FDP lässt unerwähnt, dass die Politik des Staates, die sie immer unterstützt hat, dazu geführt hat, dass der Niedriglohnsektor ausgeweitet wurde. Diesen Sektor durch einen gesetzlichen Mindestlohn einzudämmen, ist sinnvoll. Auf dieser Basis lassen sich auch bessere Tarifverträge abschließen. Insoweit ist ein gesetzlicher Mindestlohn ein Beitrag dazu, die Tarifautonomie zu stärken.