27. Oktober 2016
Atos in Berlin
Arbeitszeit nach Wahl
Der französische IT-Konzern Atos wollte den Übergang von einem alten Tarifvertrag nutzen, um die Regelarbeitszeit zu verlängern. Belegschaft und Betriebsrat machten klar: Das kommt für uns so nicht in Frage. Sie setzten, gemeinsam mit der IG Metall, auf mehr Flexibilität für die Beschäftigten.

Ausgangspunkt für den neuen Tarifvertrag war der Kauf der Siemens-Sparte „Siemens IT Solutions and Services“ (SIS) im Dezember 2010 durch Atos-Origin, wie Atos bis 2011 hieß. Nach dem Kauf gab es für die SIS einen Tarifvertrag, für Atos Origin nicht. Mit Hilfe der IG Metall kam aus der Firmenzentrale in Frankreich die Zusage, für das gesamte Unternehmen Atos, das bundesweit rund 8000 Menschen an 50 Standorten beschäftigt, in Deutschland einen neuen Tarifvertrag zu verhandeln. Die SIS-Belegschaft war durch jahrelange Umstrukturierung bei Siemens Kämpfen gewöhnt und hatte sich mit wochenlang andauernden Aktionen Respekt verschafft.

 

 

Christian von Polentz

 

(Foto: Christian von Polentz)

 

Im Zuge der Tarifverhandlungen wurde gegenüber dem vorherigen SIS-Tarifvertrag die Regel-Wochenarbeitszeit von 35,8 auf 37,5 Stunden erhöht. Dafür gab es die Anbindung an die Tariferhöhungen der Metall- und Elektroindustrie. „In Workshops der Gewerkschaft mit Betriebsräten kam die Idee, dass auch die 35-Stunden-Woche weiterleben sollte“, erzählt Uwe Große, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Atos-AIS in Berlin. In den darauf folgenden Diskussionen wurde dann das abgestufte Wochenarbeitszeit-Modell entwickelt.

 

Einvernehmlich Arbeitszeit vereinbart

Bei einer Referenzarbeitszeit von 37,5 Stunden kann man nun 35 bis 40 Wochen-stunden arbeiten – und das funktioniert so: Zu Beginn der Beschäftigung wird einvernehmlich die Vertragsarbeitszeit vereinbart. Diese kann nach der Probezeit mit drei Monaten Ankündigungsfrist einseitig durch den Arbeitnehmer verringert werden. Abweichend von der Vertragsarbeitszeit kann für eine Zeitdauer von sechs bis 24 Monaten eine Wahlarbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden vereinbart werden.

„100 Prozent flexibel ist das zwar nicht, und aus der Teilzeitfalle kommt man auch nicht so leicht heraus“, erläutert Uwe Große. Wer länger arbeiten will, kann das nur mit Zustimmung des Arbeitgebers. Das Gute daran: Ist die vereinbarte Frist zu Ende, gilt wieder die alte, längere Arbeitszeit. Und eine Wochenarbeitszeit bis 35 Stunden zählt als Vollzeit, alles darunter ist Teilzeit. Wird die Grenze von 35 Wochenstunden erreicht, gibt es für die weiteren Stunden Mehrarbeitszuschläge.

Nachdem im Jahr 2015 aufgrund wirtschaftlicher Probleme die Tariferhöhungen auf 2016 verschoben worden waren, wollte Atos 2016 weder die Tariferhöhung für 2015 noch für 2016 zahlen, sagt Uwe Große. Die Metaller gingen auf die Barrikaden und hatten Erfolg: Nach dem Prinzip „Zeit ist Geld wert“ fließen in diesem Jahr die Tariferhöhungen, die die IG Metall 2015 erzielte – zum Teil als Geldwert, zum Teil als Arbeitszeitverkürzung. „Das macht 2016 ein Plus von viereinhalb Tagen Freizeit für alle“, freut sich Große. 2017 gibt es zwei Prozent mehr Entgelt. Atos hat sich bis 2021 zur Tarifbindung verpflichtet, die feste Anbindung an den Metalltarif ist jedoch weg. „Aber sie werden sich gut überlegen, ob sie einen neuen Konflikt anzetteln. Wenn sie die Erhöhungen aus der Fläche nicht zahlen, sind wir nämlich arbeitskampffrei“, sagt Uwe Große. Wer das zurückliegende Jahr bei Atos erlebt hat, weiß: Sie meinen es ernst.


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