13. November 2012
Interview mit Horst Mund zum Europäischen Aktionstag
Kurswechsel für ein solidarisches Europa
Das „Projekt Europa“ braucht mehr Rückhalt unter den Bürgern. Um das zu erreichen, ist eine EU notwendig, die nicht nur auf wirtschaftliche Freiheiten setzt, sondern auch eine soziale Union wird.

Das fordert Horst Mund, Leiter des Bereichs Internationales bei der IG Metall im Interview mit igmetall.de. Die IG Metall beteiligt sich am europaweiten Aktionstag für „Arbeit und Solidarität“.

Der Europäische Gewerkschaftsbund hat für den 14. November zu einem europaweiten Aktionstag für „Arbeit und Solidarität“ und gegen die soziale Spaltung von Europa aufgerufen. Wie beteiligt sich die IG Metall daran?

Horst Mund: Die IG Metall beteiligt sich mit verschiedenen Aktionen an diesem Tag. Zum Beispiel unterstützen wir den Aufruf des EGB und DGB zu den verschieden Aktionen. Im ganzen Bundesgebiet gibt es Veranstaltungen in unterschiedlichen Formen. In Stuttgart hat die IG Metall zu einer eigenen Kundgebung aufgerufen. Außerdem hat der Vorstand zum Aktionstag eine Resolution verabschiedet, die ein klares Signal der Solidarität an die südeuropäischen Länder aussendet, die sich am Aktionstag mit landesweiten Protesten und Streikmaßnahmen beteiligen. Wir haben auch unsere Mitglieder in den Europäischen Betriebsräten auf den Tag aufmerksam gemacht und ihnen vorgeschlagen, an ihre südeuropäischen Kolleginnen und Kollegen Solidaritätsbotschaften in den jeweiligen Landessprachen zu schicken.


Zur Lösung der Krise in Europa setzt die Politik auf rigoroses Sparen kombiniert mit der Einschränkung von Arbeitnehmerrechten. Kann das der Weg aus der Krise sein?


Die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Südeuropa sind verheerend, die Arbeitslosigkeit, zum Beispiel in Spanien, betrifft mittlerweile jeden vierten Erwachsenen und jeden zweiten Jugendlichen. Wir sind sehr besorgt über die Situation in Europa, nicht nur was Spanien anbelangt, auch Portugal, Italien, Griechenland, aber auch Irland und viele mittelosteuropäische Länder sind in sehr schwierigen Situationen. Sparmaßnahmen gibt es im Gesundheitswesen, bei Pflegediensten, bei der Arbeitslosenunterstützung und im Bildungssystem. Dazu kommen Gehaltssenkungen im öffentlichen Dienst, Eingriffe in die Tarifautonomie und eine gesetzliche Einschränkung von Arbeitnehmerrechten. Das alles verschärft die wirtschaftliche und soziale Situation noch zusätzlich. Wenn weder der Staat noch seine Bürgerinnen und Bürger Geld ausgeben und investieren, wie soll sich die Wirtschaft dann erholen? Dadurch, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weniger Rechte haben und schneller gekündigt werden können? Das wagen wir zu bezweifeln.


Was schlägt die IG Metall zur Bewältigung der Krise vor?


Aus den oben genannten Gründen fordern wir die europäischen Regierungschefs, die EU-Institutionen und insbesondere die deutsche Bundesregierung dazu auf, einen Politikwechsel einzuleiten. Wir fordern Maßnahmen zur Aktivierung der Wirtschaft und Schaffung von Beschäftigung. Wir brauchen ein Wirtschaftsmodell, das auf die ökologisch-soziale Entwicklung eines dynamischen und leistungsfähigen Industriesektors in Europa setzt, auf Investitionen in Forschung und Entwicklung, auf ein qualitativ gutes und gerechtes Bildungssystem sowie auf die unbestreitbaren Vorteile des sozialen Dialogs auf Augenhöhe setzt: nur mit starken Arbeitnehmervertretern und starken Gewerkschaften können Antworten auf die gesellschaftlichen Megatrends gelingen, die aufgrund der Krise gerade zu wenig Beachtung finden: wir brauchen eine europäische Industriepolitik, die auf Ressourceneffizienz setzt, den demografischen Wandel einbezieht und gute Rahmenbedingungen für die Energiewende sowie die Mobilitätsentwicklung schafft. Darüber hinaus müssen die EU-Institutionen grundlegend in Richtung politische Union reformiert werden. Zu diesen Themen hat der IG Metall Vorstand einen Beschluss gefasst, der einen „Kurswechsel für ein solidarisches Europa“ fordert.


Steht das „Projekt Europa“ vor dem Aus?


Das hoffen wir nicht und davon gehen wir auch nicht aus. Wir müssen allerdings die Sorgen der Menschen ernst nehmen, wenn wir wollen, dass die EU und das „Projekt Europa“ wieder den Rückhalt der europäischen Bürger und Bürgerinnen erfährt. Dazu brauchen wir eine EU, die nicht nur auf wirtschaftliche Freiheiten setzt, sondern auch eine soziale Union wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass Europa mehr und mehr Ablehnung erfährt und der Nationalismus wieder zunimmt. Die negative Haltung der Menschen wird durch die neoliberale Politik der Europäischen Kommission und vieler Mitgliedsstaaten gefördert: mittlerweile glaubt die Mehrheit der Deutschen, dass es ihnen persönlich besser gehen würde, wenn es die EU nicht gäbe. Dabei profitieren gerade die Deutschen von Europa und einer gemeinsamen Währung.


Für den Aktionstag sind unter anderem in Spanien, Griechenland und Portugal Generalstreiks geplant. In Deutschland rufen Gewerkschaften zu Solidaritätsaktionen auf, warum wird nicht auch hierzulande flächendeckend gestreikt?


In Deutschland kann man bekannter Weise nur im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung streiken. Das ist gesetzlich streng geregelt. Es geht im Übrigen aber nicht nur um Solidaritätsaktionen im Zusammenhang mit dem Europäischen Aktionstag. In unserer gewerkschaftlichen Arbeit üben wir das ganze Jahr über Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen in Europa. Mit den Europäischen Betriebsräten und den europäischen Schwestergewerkschaften sind wir im ständigen Austausch, wenn es um gemeinsames Handeln und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen geht. Das passiert nicht nur an einem Tag. Das ist unser tägliches Geschäft!


Change of course for European solidarity (PDF, 112 KB)

Kurswechsel für ein solidarisches Europa (PDF, 70 KB)

Resolution zum Europäischen Aktionstag (PDF, 26 KB)

Für ein krisenfestes Deutschland und ein solidarisches Europa Interview mit dem Generalsekretär der MCA-UGT: So kann die Krise in Spanien nicht beendet werden Videobotschaft von Berthold Huber an die spanischen Gewerkschafter

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