5. Dezember 2014
Europäische Industriepolitik
Investieren, wo die Not am größten ist
Marode Brücken und Straßen, Löcher im digitalen Netz, Versäumnisse bei der Bildung – in Europa gibt es großen Nachholbedarf bei der Modernisierung der Infrastruktur. Europa muss zielgerichtet investieren, um Industrie und Beschäftigung zu halten, erklärt IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang ...

... Lemb in Brüssel.

Deutschland ist ohne Europa nicht zu denken. Da gilt auch für deutsche und europäische Industriepolitik. Um die industrielle Basis zu erhalten und auszubauen, muss immer wieder die industrielle Infrastruktur modernisiert werden. Denn Güter und Dienstleistungen finden nur dann den Weg zum Abnehmer, wenn Straßen, Schienen und Datenwege auf modernstem Stand sind.
 

Wirtschaftspolitik neu ausrichten

Dass da noch einiges im Argen liegt, nicht nur bei der Infrastruktur sondern zum Beispiel auch bei Bildungsinvestitionen wurde beim industriepolitischen Frühstück der IG Metall am 3. Dezember in Brüssel deutlich. Das zuständige geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall, Wolfgang Lemb, diskutierte mit Betriebsräten deutscher Unternehmen und Europaabgeordneten über die Investitionsbedarfe in Europa. Auch der aktuell vorgelegte „Junker-Plan“ spielte eine wichtige Rolle in der Diskussion. Mindestens 315 Mrd. Euro sollen nach Vorstellungen von Kommissionspräsident Juncker aus privater und öffentlicher Hand mobilisiert werden. Das Geld soll vor allem in langfristige Investitionen fließen, zum Beispiel den Breitbandausbau und den Ausbau von Energie- und Transportnetzen.

 

Die Teilnehmer des Industriepolitischen Frühstücks waren sich einig, dass die Vorschläge in die richtige Richtung gingen. Doch sie hielten das Investitionspaket für nicht für weitgehend genug. Es sei weder nachhaltig, noch ökologisch, noch sozial ausgewogen.
 

Krisenländer finanziell ausgelaugt

„Es reicht nicht, private Gelder zu mobilisieren. Die europäische Wirtschaftspolitik muss grundlegend anders ausgerichtet werden“, sagte IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb. Es müsse Schluss sein mit dem restriktiven Sparkurs, der die Eurozone in eine langanhaltende Stagnation und einzelne Krisenländer in die Depression geführt habe.

Skeptisch äußerte sich Lemb zu dem Vorschlag, in erheblichem Umfang privates Kapital für Investitionen zu mobilisieren. „Private können nicht alles besser als der Staat“, sagte Lemb. „Denn private Investoren sind gewinnorientiert, sie wollen hohe Renditen erzielen. Der Staat kann hingegen vieles günstiger finanzieren.“ Außerdem konzentrieren sich private Investoren auf lukrative Infrastrukturprojekte, was einer flächendeckenden Versorgung widerspricht. Lemb bekräftigte die Forderung der Gewerkschaften, über eine Abgabe auf Vermögen und eine Finanztransaktionssteuer Mittel für notwendige Investitionen locker zu machen.
 

Zu wenig Bahninvestitionen

Wie mangelnde öffentliche Investitionen inzwischen Standorte und Beschäftigung bedrohen, beklagte etwa die Betriebsrätin Kathrin Hammerschmidt vom Schienenfahrzeughersteller Bombardier. „Die staatlichen Mittel reichen nicht einmal für den laufenden Erhalt der Infrastruktur. Hierdurch entstehen wachsende Investitionsrückstände.“ Besonders dramatisch bezeichnete Hammerschmidt die Situation bei den Ersatzinvestitionen im Bestandsnetz, vor allem bei den Stellwerken. Hier liegt die Investitionstätigkeit gut 50 Prozent unter Plan.

Investitionsbedarf sieht sie auch bei der Signaltechnik. Mehr Mittel zur Instandhaltung der Fahrwege und Modernisierung der Stellwerke und Streckensignaltechnik ist aus ihrer Sicht dringend geboten. Das wäre ein wichtiger Impuls für die Betriebe der Bahnindustrie und ihre Beschäftigten. Im internationalen Vergleich investiert Deutschland zu wenig in den Schienenverkehr insgesamt (Infrastruktur, Verkehrsprojekte, Fahrzeugbeschaffung). Es ist zu befürchten, dass sich Bombardier und andere Fahrzeughersteller aus dem Deutschlandgeschäft zurückziehen. „Wir als Betriebsräte sehen die Arbeitsplätze in der deutschen Schienenfahrzeugindustrie als sehr gefährdet an“, sagte die Betriebsrätin.
 

Hohe Transportkosten durch Umwege

Auch ihre Betriebsratskollegin Sabine Leisten von der Firma SMS Siemag (Region Siegen) beklagte zunehmende Transportprobleme. SMS Siemag stellt unter anderem große Walzenständer und Maschinen her. Seit diesem Jahr können sie weite Umwege nehmen, weil mehrere altersschwache Brücken, die dringend saniert werden müssten, inzwischen für Schwertransporte gesperrt sind. Das macht Transporte für SMS Siemag erheblich teurer und verzögert Liefertermine. Transporte sind, wenn überhaupt, nur mit hohem Zusatzaufwand und daraus entstehenden hohen Kosten möglich. „Das ist ein großer Standortnachteil im internationalen Wettbewerb“, sagt Leisten. „Wenn sich das nicht bessert, ist irgendwann unser Standort gefährdet.“ Dies ist auch nicht nur ein SMS Siemag bezogenes Thema, sondern trifft ganz viele Unternehmen in Deutschland und hier bei uns im südwestfälischen Raum.


Nach Einschätzung von Wolfgang Lemb ist es daher dringend geboten, zielgerichtet in europäische Infrastruktur zu investieren. „Da, wo die Not am größten ist, muss Geld in die Hand genommen werden“, sagte Lemb. Oberste Maxime müsse sein, Investitionen danach auszurichten, wo sie die größten beschäftigungspolitischen Wirkungen entfalten können. „Aber es geht nicht ‚nur‘ um Geld. Es braucht auch einen Plan von einer nachhaltigen industriellen Entwicklung. Da sind die einzelnen Mitgliedsstaaten genauso gefordert wie die EU-Kommission.“


Sieben Thesen aus Sicht der Gewerkschaften für die Expertenkommission „Investitionsstrategie“ (PDF, 42 KB)

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