12. September 2016
Entschädigung für Textilarbeiter in Pakistan
Ein wenig Trost für unvorstellbares Leid
Vor vier Jahren verbrannten 260 Menschen qualvoll in einer pakistanischen Fabrik. Jetzt hat der Textildiscounter kik auf Drängen der Gewerkschaften den Betroffenen eine weitere Entschädigung zugesagt. Die Sicherheit vor Ort bleibt jedoch Anlass zur Sorge. Unglücke können sich jederzeit wiederholen.

Vier Jahre ist es her, dass es bei Ali Enterprises in Karachi brannte. In der Textilfabrik arbeiteten 600 Leute, als das Feuer ausbrach. Weil die Fenster vergittert und Notausgänge verschlossen waren, wurde die brennende Fabrik für 260 Arbeiter zur tödlichen Falle. „Überall war Rauch, aber ich wusste nicht, woher er kam“, erzählt Muhammad Hanif, 26, der die Brandkatastrophe überlebte.
„Die Leute schrien, lauf, lauf, es brennt“, erinnert er sich. „Alle versuchten, aus dem brennenden Gebäude zu fliehen. Wir konnten einen Teil der Lüftungsanlage aus der Wand brechen und sprangen aus dem Gebäude. So haben sich mindestens sechs Kollegen gerettet. Ich kam mit einer Rauchvergiftung ins Krankenhaus. Heute leide ich unter schwerer Atemnot und habe Lähmungserscheinungen an Händen und Füßen.“ Hanif hatte dabei noch Glück, er ist am Leben. Abdul Aziz Khan erinnert sich: „Die verbrannten Leichen hingen noch an den vergitterten Fenstern, durch die die Menschen nicht hinaus konnten.“ Bei dem Unglück verlor Khan seinen damals 18jährigen Sohn. Seitdem ist für ihn sein ganzes Leben zusammen gebrochen.

Seit dem Unglück kämpften die traumatisierten Opfer und Hinterbliebenen mit öffentlichem Protest und zähen Verhandlungen um eine Entschädigung. Sie wurden lange hingehalten. In einem Zivilverfahren verlangen vier Pakistanis, ein Überlebender und drei Angehörige, jeweils 30 000 Euro Schadenersatz. Verhandelt wird die Klage vor dem Dortmunder Landgericht, weil der Hauptauftraggeber kik seinen Sitz im Kreis Unna im Ruhrgebiet hat. Die Kläger werfen kik vor, für die katastrophalen Brandschutzvorkehrungen im Fabrikgebäude mitverantwortlich zu sein.

kik hatte nach dem Brand im September 2012 zwar eine Soforthilfe von einer Million Dollar gewährt. Eine Haftung sowohl nach deutschem als auch pakistanischem Recht wies das Unternehmen jedoch zurück. Auf Drängen der Internationalen Arbeitsorganisation, dem deutschen Entwicklungshilfeministerium, der Kampagne Saubere Kleidung und dem Gewerkschaftsdachverband IndustriAll Global gelang es nun, kik zu einer weiteren Entschädigungszahlung zu bewegen. Das zur Tengelmann-Gruppe gehörende Unternehmen verpflichtet sich, weitere 5,15 Millionen Dollar zu zahlen. kik betonte zugleich, dass die Zahlung keine Schuldanerkenntnis sei. kik lehnt auch weiterhin die Zahlung von Schmerzensgeld an die drei Hinterbliebenen und einen früheren Mitarbeiter von Ali Enterprises ab.

Jyrki Raina, Generalsekretär von IndustriALL, sagte: „Letztendlich konnten wir uns auf die langfristige Entschädigung der Opfer einigen und somit ein wenig Gerechtigkeit für die sie und die Angehörigen der Verstorbenen erreichen. Nun ist es höchste Zeit für nachhaltige Sicherheit und Gesundheitsschutz in der Textilindustrie in Pakistan zu sorgen, so wie wir es mit dem Accord in Bangladesch tun.“ Denn trotz zahlreicher Unglücke in den Ländern, sind die Arbeitsbedingungen weiterhin sehr gefährlich und werden Sicherheitsvorkehrungen ignoriert.

Freiwillige Verpflichtungen bringen nichts
In Deutschland macht sich die IG Metall, die Mitglied bei IndustriAll ist, stark für den Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“. Der Aktionsplan soll nach jetzigem Stand deutsche Firmen auf freiwilliger Basis verpflichten, entlang der gesamten Lieferkette darauf zu achten, dass Menschenrechte geachtet werden. Man scheut allerdings strenge Regeln zum Schutz der Arbeiter, wie sie das Arbeitsministerium vorgeschlagen hatte. Im abgeschwächten Entwurf des Finanzministeriums ist nur noch von Empfehlungen die Rede. Das ist zu wenig, denn erfahrungsgemäß halten die Unternehmen freiwillige Verpflichtungen nicht ein. „Deutsche Unternehmen im Ausland müssen auf Arbeitssicherheit und bessere Arbeitsbedingungen verpflichtet werden“, sagt IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb.

Das Textilunglück ist leider kein Einzelfall. Die Arbeitsbedingungen in Pakistan sind miserabel, die Löhne reichen kaum zum Leben. Arbeiter, die sich gewerkschaftlich organisieren, verlieren meist ihren Job oder sind anderen Repressalien ausgesetzt. Und das, obwohl die EU Pakistan das Allgemeine Präferenzsystem Plus (APSplus) zugestanden hat. APSplus gewährt Entwicklungsländern durch Zollsenkungen einen einfacheren Zugang zum EU-Markt. Bedingung ist die Beachtung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten. Doch die Kontrollmechanismen sind schwach. Staatliche Repression, ein restriktives Arbeitsrecht, instabile politische Rahmenbedingungen, 73 Prozent informelle Beschäftigungsverhältnisse und gewerkschaftliche Fragmentierung haben die Gewerkschaften bisher daran gehindert, zu einer gesellschaftspolitisch einflussreichen Kraft im Land zu werden. Der Organisationsgrad beträgt nur 2,5 Prozent.

Spenden für das Gewerkschaftshaus in Karachi
Trotz schwieriger Bedingungen und persönlicher Bedrohung setzen sich dennoch Gewerkschafter dafür ein, dass sich mehr Beschäftigte in Pakistan zusammen schließen und für sichere Arbeitsbedingungen kämpfen. Um die gewerkschaftlichen Strukturen vor Ort zu stärken, gibt es inzwischen ein neues Gewerkschaftshaus in der pakistanischen Millionenstadt Karachi. Das neue Gewerkschaftshaus wäre ohne internationale Hilfe nicht möglich gewesen.

In Deutschland hatten auf Bitten von medico international die IG Metall zusammen mit dem DGB und Verdi das Projekt unterstützt. Dank des Spendenaufkommens wurde der Ankauf eines Hauses möglich, so dass die Gewerkschaften vor Ort unabhängig von ständigen Mieterhöhungen und Vertreibung aus angemieteten Büros arbeiten können. Mit dem neuen zentral gelegenen Gewerkschaftshaus wird ein fester Ort für gewerkschaftliche Arbeit geschaffen. Es ist für die Arbeiterinnen und Arbeiter gut erreichbar und bietet ausreichend Platz für die Büros des Gewerkschaftsbundes, Rechtsberatung, Schulungen und Versammlungen. Bei mehrtägigen Schulungen schlafen die Teilnehmer auf Matten auf dem Fußboden. Sie setzen sich dafür ein, dass Arbeit in Pakistan unter menschenwürdigen Umständen stattfindet. Und dass sich die Brandkatastrophe von Ali Enterprises nicht wiederholt.


Frauen in Pakistan: Viele schuften bis zum Umfallen Hilfe für Textilarbeiter in Pakistan

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