11. April 2013
Gewerkschaftsrechte in Russland
Ein Spielball der Politik
Als Partner der derzeitigen Hannover Messe will Russland vor allem wirtschaftlich punkten und das Wachstum ankurbeln. Mit den Rechten von Beschäftigten sieht es im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat dagegen eher mau aus. Der autoritäre russische Staat hält seine Gewerkschaften an der kurzen Leine.

Auf dem Papier gibt es in Russland fast alles: Das Recht auf Tarifverhandlungen, das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluss und den freien Zutritt von Gewerkschaftsvertretern zu Betrieben. Die tatsächliche Lage in Russland sieht freilich anders aus. 22 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion haben es Gewerkschaften in Russland schwer, die Rechte von Beschäftigten durchzusetzen.

Der Druck vonseiten der Arbeitgeber und der Politik ist groß. Für den Staat sind Gewerkschaften keine eigenständigen Gesprächspartner auf Augenhöhe. Wer sich für Arbeitnehmerinteressen einsetzt und Konflikte nicht scheut, riskiert gegängelt und entlassen zu werden. Die staatlichen Strukturen im Machtzentrum Moskau und in den Regionen sorgen dafür, dass aufkeimende Arbeitskonflikte rasch unter den Teppich gekehrt werden. Wegen ihrer Zersplitterung und aufgrund geringer Unterstützung in der Bevölkerung sind russische Gewerkschaften bis heute schwach und ein Spielball der Politik.

Nähe zur Macht

Zersplittert sind sie zum einen in traditionelle Gewerkschaften in der Rechtsnachfolge sowjetischer Strukturen. Diese Gewerkschaften bilden die Föderation der Unabhängigen Gewerkschaften Russlands (FNPR). Zahlenmäßig ist der Dachverband FNPR mit 24 Millionen Mitgliedern den alternativen Gewerkschaften, die in der neu gegründeten Konföderation der Arbeit (KTR) zusammengeschlossen sind (knapp 3 Millionen Mitglieder), haushoch überlegen. Die Führung von FNPR sucht bewusst die Nähe zur Macht und hat Putin bei seiner umstrittenen Wiederwahl als Präsident unterstützt.

Die alternativen Gewerkschaften unter dem Dachverband KTR sehen sich demgegenüber durch geltende Gesetze benachteiligt und operieren oftmals in einem Graubereich oder gar in der Illegalität. Das Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen trifft auch diese Gewerkschaften und schränkt ihre künftigen Möglichkeiten empfindlich ein. Das Nebeneinander von traditionellen und alternativen Gewerkschaften behindert die Gewerkschaftsbewegung in Russland. Rechtliche Veränderungen und das neue Arbeitsgesetzbuch schwächen zusätzlich die Positionen der Gewerkschaften. Da in manchen Branchen Arbeitgeberverbände fehlen, lassen sich Flächentarifverträge nur schwer abschließen. Tarifverhandlungen kann eine Gewerkschaft nur einfordern, wenn sie mindestens 50 Prozent der Belegschaft eines Betriebes vertritt.

Schikanen und Übergriffe

Hinzu kommt, dass in Russland die Ideen der marktwirtschaftlichen Selbstregulierung die Oberhand haben. Konsequenzen sind oft Sozialabbau und Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Beschäftigten. Ironie der Geschichte: Im früheren Arbeits- und Bauernstaat, wo einstmals das Kollektiv alles und der Einzelne nichts zählte, ist heute vieles auf den Kopf gestellt. Reallöhne bleiben häufig hinter den Inflationsraten zurück. Prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, Outsourcing und Werkverträge sind auf dem Vormarsch. Schwarzarbeit ist weit verbreitet. Diskutiert wird die Heraufsetzung des Rentenalters.

Auch tätliche Übergriffe gegen gewerkschaftliche Aktive sind keine Seltenheit. Ende 2008 kam es insbesondere gegen Vertreter der sehr aktiven Interregionalen Automobilarbeitergewerkschaft (ITUA) zu Überfällen. Der zum Teil erfolgreiche Kampf dieser Gewerkschaft für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen in vielen multinationalen Unternehmen weckte großen Widerstand nicht nur bei den Arbeitgebern, sondern auch bei Behörden und Verwaltungen, die teilweise eigene wirtschaftlichen Interessen verfolgen, teilweise eine Ausstrahlung auf andere Betriebe und Proteste fürchten. Die Überfälle wurden gar nicht oder nicht umfassend untersucht. Die darauffolgenden Protestaktionen des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes und seiner Mitgliedsorganisationen führten zu keinem Ergebnis, die Schreiben an die zuständigen Staatsanwaltschaften blieben unbeantwortet.

Die Liste der Verstösse gegen Gewerkschaftsrechte ist lang:

Kündigungsschutz eingeschränkt

Seit 2009 ist der Kündigungsschutz für gewählte, aber nicht freigestellte Gewerkschaftsaktivisten praktisch aufgehoben. Das Gesetz gegen Demonstrationen, das unter Anti-Terror-Maßnahmen fällt, schränkt die Möglichkeiten der Gewerkschaften weiter ein. Selbst große Gewerkschaften Russlands scheuen sich, von ihrem Streikrecht Gebrauch zu machen. Streiks müssen im voraus angemeldet werden mit genauen Angaben, wieviele Personen streiken werden und wie lange der Streik dauern soll.

Der Handlungsspielraum der russischen Gewerkschaften ist also gegenüber westlichen Industriestaaten stark eingeengt. Dessenungeachtet versuchen die russischen Gewerkschaften neue Mitglieder zu gewinnen und unter Jugendlichen und Frauen verstärkt Organisationsarbeit zu leisten. Mit Unterstützung internationaler Gewerkschaften greifen russische Gewerkschaften zu organizing-Methoden und nutzen die Möglichkeiten des Internets. Wertvolle Betriebsratsarbeit leisten die Arbeitnehmervertreter beispielsweise im VW-Werk Kaluga. Auch bei Ford und dem VW-Zulieferer Benteler wurden dank effektiver Gewerkschaftsstrukturen gute Tarifverträge erreicht. Diese Leutturmprojekte können jedoch an der schwachen Position von Gewerkschaften in Russland bisher wenig verändern.


Aktuelle Meldungen aus Russland auf der Homepage von IndustriAll Global Union Mehr zur Lage der Gewerkschaften in Russland in der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung

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