7. März 2011
Gleichstellung: Das brave Geschlecht.
Sind Frauen selbst schuld?
Sind Frauen zu lieb, zu schwach? Wohl kaum: Viele Frauen engagieren sich auch im Beruf. Und sie wollen durch Leistung überzeugen und nicht gerne „Quotilden“ sein. Aber ohne Quote ändert sich nichts.

... Metall mit gutem Beispiel voran.

Sie sind oft gebildet und haben mit 20 viele Träume. Und berufliche Pläne. Doch irgendwann bleiben sie unterwegs stecken. Meist ziemlich weit unten in der Hierarchie. Warum werden Frauen schlechter bezahlt? Warum haben sie so oft Jobs, die wenig Perspektiven bieten? Warum gibt es kaum Chefinnen? Etwa weil Frauen von Kopf bis Fuß auf Küche und Kinder oder Klamotten und Kaufen eingestellt sind und ihnen alles andere nicht so wichtig ist?

Wir räumen auf – mit den fünf hartnäckigsten Vorurteilen.

1. Vorurteil: Frauen sind selbst schuld, wenn sie weniger verdienen.

2010 machten die Studierenden-Plattform VZ-Netzwerke, „Der Spiegel“ und Unternehmensberater McKinsey eine Online-Umfrage unter Studientinnen und Studenten und frisch gebackenen Akademikerinnen und Akademikern. Sie wollten wissen, welche Einstiegsgehälter sie erwarten. Das Ergebnis aus rund 164 000 Antworten: Studentinnen gingen im Schnitt von 2877 Euro brutto im Monat aus, Studenten von 3456 Euro.

„Frauen sind zu bescheiden und verlangen zu wenig“, schloss McKinsey daraus. Sind die Frauen also selbst schuld, wenn sie im Durchschnitt 23 Prozent weniger verdienen als Männer? „Das ist Unsinn“, sagt Christiane Benner, Ressortleiterin für Frauen und Gleichstellung beim IG Metall-Vorstand. „Die Lohnlücke hat vielschichtige Ursachen, aber an den Frauen selbst liegt es am allerwenigsten.“

Unterschiede variieren
Die Unterschiede zwischen den Einkommen können zum Teil damit begründet werden, dass Frauen oft in typischen Frauenbetrieben arbeiten, in denen generell niedrige Löhne gezahlt werden. Zum Beispiel in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Die Unterschiede variieren von Branche zu Branche. Bei einer Analyse der Entgelte in der Informationstechnologie hat die IG Metall zum Beispiel herausgefunden, dass es dort bei Beschäftigten im Vertrieb kaum Unterschiede gibt.

Der ganz große Karrierehemmer sind aber fehlende Kinderkrippen und -gärten, Horte und Ganztagsschulen. Es sind immer noch vor allem die Frauen, die die Arbeit zeitweise unterbrechen, verkürzen oder weniger Überstunden machen, um sich um die Kinder kümmern zu können. Sie tauchen weg aus der Arbeitswelt oder treten kürzer in einem Alter, in dem normalerweise wichtige Qualifikationen erworben und Karrieren geschmiedet werden. Frauen, die zeitweise ganz aussteigen, bleibt danach oft nichts anderes übrig, als sich mit schlecht bezahlten Jobs zufriedenzugeben.

Dass sie selbst in Vollzeit weniger verdienen als Männer, liegt zumindest in der Metall- und Elektroindustrie nicht an der Tarifpolitik der IG Metall. Tarifverträge unterscheiden nicht nach Geschlechtern. Die IG Metall hat dafür gekämpft, dass mittelbar diskriminierende Regelungen aus ihnen rausfliegen.Das hat sie mit den neuen Entgeltrahmen-Tarifverträgen (ERA) erreicht. Eine Frage ist nur, wie Tarifverträge umgesetzt werden.

„Unsere Erfahrungen zeigen, dass Frauen zum Teil immer noch – tarifwidrig – zu niedrig eingruppiert werden und bei übertariflichen Zulagen zu kurz kommen“, bemängelt Helga Schwitzer, die im IG Metall-Vorstand für Tarifpolitik zuständig ist.

Leichtlöhne weg
Schon in der Vergangenheit hat die IG Metall einiges getan, damit Frauen gerechtere Löhne erhalten. In den 1970er- und 80er-Jahren kämpften Metallerinnen und Metaller zum Beispiel gegen die Leichtlohngruppen, in denen vor allem Frauen eingruppiert waren. Es waren erfolgreiche Aktionen: Die Leichtlohngruppen existieren nicht mehr.

Doch es gibt noch viel zu tun, bis Frauen Männern gleichgestellt sind. Einmal in den Betrieben. „Die Betriebsräte müssen darauf achten, dass Frauen gerecht eingruppiert werden, dass Teilzeit nicht schlechter bewertet und bezahlt wird als Vollzeitarbeit und dass Frauen auch bei Aufstiegsmöglichkeiten zum Zuge kommen“, fordert Christiane Benner.

Aber auch in der Tarifpolitik „kann und muss Gleichstellung weiterhin ein Thema sein“, sagt Helga Schwitzer. Tarifverträge können zum Beispiel festschreiben, dass Frauen bei Qualifizierungsmaßnahmen stärker beteiligt werden. Sie können Arbeitszeitmodelle forcieren, mit denen die Beschäftigten Arbeit und Privatleben besser unter einen Hut bringen können. Oder Angebote, die den beruflichen Ein-und Aufstieg nach einer Familienpause erleichtern. Die Themen werden der IG Metall so schnell nicht ausgehen.

„Es ist ein Armutszeugnis für die deutsche Wirtschaft, dass Frauen in den Aufsichtsräten meist von der Arbeitnehmerseite Kommen.“ Hans-Olaf Henkel, 70, Ex-Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI)

2. Vorurteil: Gute Frauen brauchen keine Quote.

„Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“, hieß der Untertitel eines Buches, das vor ein paar Jahren ein Bestseller war. Sind sie zu lieb, oder warum tauchen in den Führungsetagen der Wirtschaft Frauen meist nur als Reinigungskräfte auf? In den Vorständen bleiben die Männer meist unter sich. Und dass es in den Aufsichtsräten etwas besser aussieht, liegt fast nur an den Gewerkschaften, die ihre Interessen in diesem Gremium auch öfter von Frauen vertreten lassen. Wenn auch noch zu wenig.

Ohne Quote geht nichts
Ob es an Männerklüngel liegt oder andere Gründe hat – fest steht: Ohne Quote ändert sich nichts. Das hat inzwischen sogar die Bundesregierung erkannt. Nur dass sie vor der Wirtschaftslobby eingeknickt ist, die eine gesetzliche Quote unbedingt verhindern will.

Während die Regierungsparteien und Konzernchefs zurzeit unentwegt über Frauenförderung reden und nichts dabei herumkommt, hat die IG Metall gehandelt. „Wo wir es beeinflussen können, in den mitbestimmten Aufsichtsräten, wollen wir Zeichen setzen“, sagt Detlef Wetzel, Zweiter Vorsitzender der IG Metall.

Mindestens 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten
Am 8. Februar hat der Vorstand einen Beschluss gefasst: Bei den nächsten Aufsichtsratswahlen will die IG Metall anpeilen, dass von den gewerkschaftlichen Vertretern im Aufsichtsrat 30 Prozent Frauen sind. Bei den betrieblichen Arbeitnehmervertretern soll das Geschlecht, dass im Unternehmen in der Minderheit ist – das sind meist die Frauen – mindestens so stark vertreten sein wie unter den wahlberechtigten Beschäftigten.Von den übernächsten Wahlen an sind diese Regelungen verpflichtend.

Frauen in Unternehmen.Darüberhinaus fordert die IG Metall eine gesetzliche Quote für Aufsichtsräte und Vorstände.

Vorbildfunktion
Auch im „Unternehmen“ IG Metall ist Frauenförderung kein Fremdwort. 1986 erstritten Frauen einen Förderplan für die eigenen Beschäftigten. Jedes Jahr muss die Personalabteilung berichten, was sie erreicht hat. Der Frauenanteil bei den „politischen Sekretären“ hat sich seitdem verdoppelt. 1999 hat der IG Metall-Gewerkschaftstag eine Frauenquote für ihre eigenen Gremien beschlossen: Frauen müssen mindestens entsprechend ihrem Mitgliederanteil vertreten sein. „Gewerkschaften“, sagt Detlef Wetzel, „haben eine Vorbildfunktion. Wir müssen Motor gesellschaftlicher Veränderungen sein – gerade in der Arbeitswelt.“

„Wie gering ist doch die Zahl der Frauen, die sich vom bitteren Joch männlicher Herrschaft befreit haben.“ Mary Wollstonecraft, britische Frauenrechtlerin (1759 – 1797)

3. Vorurteil: Frauen lenken Männer von der Arbeit ab.

Solche Probleme möchte Frau auch mal haben. Etwa die des Michael Rogowski. Der frühere Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie musste neulich bei Maybrit Illner als einziger Vertreter seines Geschlechts eine Lanze für all jene Männer brechen, die sich von der Quote bedroht fühlen. Rogowski, der selbst nie unter einer Frau gearbeitet haben soll, sinnierte darüber, wie das wohl sei. Schlecht, denkt der Industriemann. Sein Gehirn verbringe dann viel Zeit damit, ob die Frau hübsch oder nett sei. „Und schon ist wieder eine Stunde vergangen, in der ich eigentlich hätte arbeiten sollen.“

Besser gemischt
Frauen sind schlecht fürs Unternehmen, weil sie Männer gedanklich von der Arbeit abhalten? Was Männer wie Rogowski aus dem Bauch heraus behaupten, lässt sich mit wissenschaftlichen Fakten nicht belegen. Im Gegenteil: Studien kommen immer wieder zu dem Schluss: Gemischte Teams sind produktiver als homogene Gruppen. Das lässt sich sogar in Dollar und Euro ausrechnen. Eine Unternehmensberatung untersuchte beispielsweise in den USA den Zusammenhang zwischen den Geschlechterverhältnissen in Teams und Rendite. Das Ergebnis: Unternehmen mit mehr Frauen in Managementteams hatten eine um gut ein Drittel höhere Rendite.

Gutes Zusammenspiel
Aus Sicht der Wissenschaft ein logisches Ergebnis. Denn Frauen und Männer gehen Probleme unterschiedlich an. Aus dem Zusammenspiel ergeben sich dann oft bessere Lösungen. Allerdings: Ein gemischtes Team allein macht noch keinen Höhenflug. Es kommt auch auf die Vorgesetzten an. Denn schlechter als homogene Gruppen schnitten in den Untersuchungen nur schlecht geführte gemischte Teams ab.



„Eine Frau, gleichgestellt, wird überlegen (sein).“ Sokrates, griechischer Philosoph (469 – 399 v. Chr.)

4. Vorurteil: Frauen in Männerberufen – geht gar nicht.

Eine Frau auf der Baustelle? Nein, das konnten die Männer nicht gebrauchen. Wie sie denn die schweren Säcke schleppen wolle, fragten Handwerksmeister die junge Dachdeckerin und schickten sie weg. Ob auf dem Bau oder im Stahlwerk – in vielen Männerbranchen hält sich das Vorurteil hartnäckig: Schwere körperliche Arbeit ist nur was für echte Männer.

Bloß nicht Ingenieurin.Klar, Männer- und Frauenkörper sind unterschiedlich gebaut. Von ihrer Anlage können Männer mehr Muskelmasse aufbauen als Frauen. Doch von der Anlage allein kommt nichts. Nicht jeder Mann ist ein Schwarzenegger, und viele werden es auch niemals werden. Arbeitsmediziner Detlef Glomm verweist auf die Kurven für Fitness und Muskelkraft für Männer und Frauen. „Sie überschneiden sich etwa um ein Drittel. Das heißt: Ein Drittel der Frauen ist stärker als ein Drittel der Männer.“ Im Zweifelsfall packt die starke Frau harte Arbeit besser als der schwächliche Mann.

Blau-rosa-Denken
Natürlich sollten Frauen und Männer beim Arbeitsschutz nicht über einen Kamm geschoren werden. Bei Gewichtsgrenzen für schweres Heben machen Unterschiede durchaus Sinn. Denn der Beckenboden von Frauen sollte weniger belastet werden. Doch oft helfen die Kategorien „blau“ oder „rosa“ nicht weiter. „Letztendlich“, sagt Glomm, „müssen wir Arbeitsplätze so gestalten, dass die Arbeitl eistbar ist und nicht krank macht, egal ob für Männer oder Frauen.“ Schließlich ist eine jahrelange krumme Haltung am Schreibtisch genauso ungesund wie täglich 80-Kilo-Säcke schleppen.

Kampf um die Fleischtöpfe
Doch warum geistert die Gleichung harte Arbeit gleich Männerarbeit noch immer durch viele Köpfe? Expertinnen und Gewerkschafterinnen haben den Verdacht, dass hinter der männlichen Fürsorge etwas anderes steckt. Nämlich der Kampf um die Fleischtöpfe. So wurden Frauen mit der Begründung, sie könnten nicht schwer körperlich arbeiten, in der Industrie lange in niedrige „Leichtlohngruppen“ abgeschoben. Bei der Bezahlung von Krankenschwestern erhöhte die körperliche Anstrengung das Gehalt dagegen nicht. Nachtarbeit und damit auch die Zuschläge blieben Arbeiterinnen in Westdeutschland bis 1992 verwehrt. Einer der Gründe: Frauen könnten nachts auf dem Heimweg überfallen werden.


„Frauen akzeptieren die untergeordnete Rolle, um Anstrengungen aus dem Weg zu gehen, die mit der Gestaltung eines authentischen Lebens verbunden sind.“ Simone de Beauvoir, französische Schriftstellerin und Feministin (1908 – 1986)

5. Vorurteil: Kinder brauchen ihre Mutter.

Kinder! Immer wieder die Geschichte mit den Kindern. Die junge Grafikerin konnte ihre Wut kaum bremsen. Bei Vorstellungsgesprächen ging es nur um eine Frage: Wie sie denn mit drei Kindern berufstätig sein wolle?

„In den Köpfen vieler Vorgesetzter herrscht das reinste Mittelalter. Die Frau hat die Kinder, der Mann hat das Auto“, schnaubte sie. Die Rolle der Frau als Mutter hält sich auch im 21. Jahrhundert hartnäckig in den Köpfen. Dabei ist sie nicht naturgegeben, sondern von Teilen der Gesellschaft gewollt. Kein Politiker oder Vorgesetzter würde das laut aussprechen. Doch die Botschaft kommt auch so an. Mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten und steuerliche Vorteile für das Ernährermodell sprechen eine deutliche Sprache: Kinder gehören zu ihren Müttern. Daran haben Elterngeld und Vätermonate nicht viel geändert.

Karriere abgeschnitten
Frauen, die sich mit dieser Rolle nicht abfinden wollen, müssen täglich kämpfen. Mütter werden in Teilzeit abgeschoben, wo sie für das halbe Geld oft 70 Prozent der Arbeitsleistung bringen und von sämtlichen Karrierewegen abgeschnitten sind. Viele wünschen sich länger zu arbeiten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Frauen arbeiten immer kürzer. Vollzeit heißt dagegen für Mütter oft: Zähne zusammenbeißen und durch.

Das spüren auch Väter, die weder auf den Job noch auf Zeit mit ihren Kindern verzichten wollen. In vielen Unternehmen entscheidet die Anwesenheit am Arbeitsplatz über Ansehen und Erfolg. Vereinbarkeit können sich auch Väter nur mit einem Karriereknick erkaufen.

Kaum Bewegung in den Köpfen, kaum Bewegung in den Unternehmen
Vor zehn Jahren hatte sich die Wirtschaft selbst verpflichtet, mehr Frauen Familie und Karriere zu ermöglichen. Passiert ist fast nichts. So langsam reißt Kanzlerin Merkel der Geduldsfaden. Laut Zeitungsberichten forderte sie die Firmen auf, bei familienfreundlichen Arbeitsbedingungen kreativer zu werden. Sonst werde die Regierung kreativ. Doch die Unternehmen wollen sich bei der Vereinbarkeit nicht reinreden lassen. Arbeitgeberpräsident Hundt warb für betriebliche Lösungen. 99 von 100 Betrieben machten bereits familienfreundliche Angebote, behauptet Gesamtmetall. Vielleicht auf dem Papier.

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