19. Juni 2012
Weniger ist mehr: Anonyme Bewerbungen
Tobias oder Fatma? Beide haben eine Chance verdient.
„In unserer Firma entscheidet allein die Qualifikation über berufliche Chancen.“ Welcher Betrieb würde diesen Satz nicht unterschreiben? Und es gibt sie auch: Personaler, die nicht auf so belanglose Merkmale wie Hautfarbe, Name oder Geschlecht achten. Aber eben nicht alle. Nicht selten sind ...

... Bewerberinnen und Bewerber Diskriminierungen ausgesetzt.

Stellen Sie sich vor: Sie heißen Fatma. Sie sind nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ihre Freundin heißt Verena. Sie ist eingeladen. Und das, obwohl Sie gleich alt sind und genau die gleiche Ausbildung mit den gleichen Abschlussnoten gemacht haben.

Diskriminierung bei Bewerbungsgesprächen aufgrund von Migrationshintergrund gibt es immer noch zu Hauf. Die jüngste Studie aus dem Jahr 2010 ermittelte zum Beispiel für Bewerber mit türkischen Namen eine um 14 Prozent geringere Chance, zu einem Jobgespräch eingeladen zu werden. Wenn sie sich in kleinen Firmen bewerben, sind die Chancen sogar noch schlechter.

Fast jeder weiß: Die Diskriminierungshürde sinkt rapide, wenn die erste Stufe – das persönliche Vorstellungsgespräch – erst einmal erklommen ist. Tobias und Tarek sowie Verena und Fatma haben dann bei gleicher Qualifikation die gleichen Chancen, den Job zu bekommen. Zudem gibt es bei Namen zusätzlich den Zungenbrechereffekt: Menschen mit komplizierten Nachnamen haben es generell etwas schwerer. Ein Experiment konnte zeigen, dass man einem Kandidaten mit dem gut auszusprechenden Namen „Lazaridis“ mehr zutraut als einem Herrn „Vougiouklakis“. Was wäre also, wenn man die Bewerbungen ohne Namen, Foto und Geburtsort sowie Nationalität abgeben würde?

Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“

In vielen Ländern sind sie schon Standard: Anonymisierte Bewerbungen. Zum Beispiel in den USA, in Großbritannien und in Kanada. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat in einem Pilotprojekt erste Erfahrungen gesammelt: Acht Firmen und Organisationen haben über zwölf Monate auf anonyme Bewerbungen umgestellt. Insgesamt haben die Personaler dabei 8550 Bewerbungen gesichtet und 1293 Personen zum Gespräch eingeladen. Hinterher wurden die Personaler und auch die Bewerber befragt.

Die Personalverantwortlichen konnten dem Verfahren viel Positives abgewinnen. Man fokussiere sich doch mehr auf die Qualifikationen, der Zeitaufwand sei kein Problem. Einige gaben an, dass sie aufgrund der anonymen Daten tatsächlich Bewerber einluden, die sie bei herkömmlichen Verfahren womöglich nicht eingeladen hätten.
Auch von Seiten der Bewerber äußerten sich die meisten positiv. 41 Prozent fanden, dass sie eine höhere Einladungschance hatten. 33 Prozent glaubten, dass es keinen Unterschied für sie mache, welches Bewerbungsverfahren sie benutzen. Allerdings empfanden auch 26 Prozent, dass sie sich bei einem herkömmlichen Verfahren besser darstellen können.

Zusammenfassend bewertet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: „Nach der Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren herrscht überwiegend eine gleiche Einladungswahrscheinlichkeit für potenziell von Diskriminierung betroffene Personengruppen im Vergleich mit nicht von Diskriminierung betroffenen Gruppen.“ Gemeint sind zum Beispiel Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.

Die IG Metall will Vielfalt in den Betrieben fördern

Die IG Metall begrüßt alle Maßnahmen auf dem Weg zur Chancengleichheit. Das Projekt als solches ist gut, hat aber einige Mängel. Zum Beispiel haben fast nur Unternehmen mitgemacht, die sowie schon viel für die Vielfalt in ihrer Belegschaft tun. „Trotzdem zeigen das Projekt und unsere Erfahrung, dass die betriebliche Wirklichkeit vielerorts von einer kulturellen Öffnung, wie sie in vielen anderen Ländern längst zum Alltag gehört, noch weit entfernt ist“, betont Christiane Benner, die als geschäftsführendes Vorstandsmitglied unter anderem zuständig ist für Migration und Integration sowie Frauen- und Gleichstellungspolitik. „Wichtig ist, dass wir hinkommen zu einer interkulturellen Gleichstellungs- und Personalpolitik. Anonyme Bewerbungen sind dafür ein erstes gutes Hilfsmittel.“

Antidiskriminierungsstelle des Bundes: positives Fazit des Pilotprojekts „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“

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