1979, nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und dem folgenden Krieg, flüchteten fünf Millionen Menschen in die Nachbarstaaten. Unter ihnen Sultan Amini. Er floh zunächst nach Pakistan. Von dort aus suchte Amini ein Land, wo er Asyl beantragen und seinen Traum erfüllen konnte, zu studieren. „In Deutschland wurde 1984 mein Asylantrag anerkannt. Nach acht Monaten Sprachkurs konnte ich mich an der Uni Karlsruhe einschreiben. Dort habe ich vier Semester Informatik studiert“, berichtet er. Amini musste aber sein Studium unterbrechen, denn sein jüngerer Bruder floh aus Afghanistan und versuchte über Indien nach Deutschland zu ihm zu gelangen.
Nach dem Sturz der Taliban im Jahre 2001 und der anschließenden UN-Afghanistan-Konferenz leisteten 15 Geberländer enorme finanzielle Unterstützung zum Aufbau des zerstörten Landes. „Es bestand die Hoffnung, dass die Regierung mit dem Geld auch etwas für das Volk tun wird, aber es floss allmählich in die Taschen von Politikern“, sagt Sultan Amini. Die Eliten des Landes wurden in den folgenden Jahren mit Geld überschüttet. Davon ist bei den Afghanen wenig angekommen. Nach wie vor ist das Land eines der ärmsten der Welt.
„Im Gegensatz zu den Politikern wollen die Gewerkschafter etwas für die Menschen tun“, sagt er. Sie setzen sich nicht nur für die Rechte der Arbeitnehmer ein, beispielsweise für junge Arbeitnehmer und Frauen, sondern für eine gerechte Verteilung sowie ein Gesundheitssystem, Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Die Gewerkschaft engagiert sich seit 2011 in 25 der insgesamt 32 Provinzen. Die Mitglieder arbeiten hauptsächlich in Behörden oder in Kleinfabriken. Sultan Amini sieht momentan in Afghanistan keine andere Organisation, als NUAWE, die breit aufgestellt, demokratisch organisiert und gegen Korruption ist.
Zusammen mit seinem IG Metall Kollegen Tom Kehrbaum geht Sultan Amini das nächste ehrenamtliche Projekt an: Gemeinsam werden sie innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre sechs Multiplikatoren für die Bildungsarbeit innerhalb von NUAWE ausbilden. Leider ist die derzeitige Sicherheitslage in Kabul so schwierig, dass die nächsten Treffen zwischen beiden Gewerkschaften in anderen Ländern, wie Indien oder Tadschikistan stattfinden müssen. Es ist nicht einfach. Sultan Amini erinnert sich, als er noch in Afghanistan lebte und dort zur Schule ging. „Verglichen mit heute, kann ich sagen, dass die Afghanen nicht so viele Probleme hatten. Das Land, die Kultur und Mentalität haben sich verändert – vieles wurde durch den Krieg zerstört. Wenn ich aus Deutschland nach Kabul komme und sehe, dass die Menschen kämpfen und trotzdem nicht weiter kommen, tut mir das weh. Aber wenn die afghanische Gewerkschaft demokratisch bleibt und es schafft sich durch Transparenz und Demokratie weiter in der Gesellschaft zu positionieren, werden in der nächsten Zukunft die Menschen neue Hoffnung gewinnen.“
Text von Hendrikje Borschke