13. Juni 2017
Bundestagswahl 2017: Was Beschäftigten wichtig ist
Gerechtigkeit durch mehr Tarifverträge
92 Prozent der Beschäftigten fordern ein Verbot von Tarifflucht durch Auslagerungen. Gleiche Chancen und gleiches Geld für Frauen und Männer wollen 91 Prozent. Und drei von vier Beschäftigten fordern eine Steuerpolitik, die für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgt.

Auch wenn es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist, die Tarifbindung im Organisationsbereich der IG Metall zu stabilisieren: Gesamtwirtschaftlich fallen immer weniger Beschäftigte unter einen Tarifvertrag. 1998 arbeiteten noch 76 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben, 2015 dagegen nur noch 59 Prozent. In den neuen Ländern sank der Anteil im gleichen Zeitraum von 63 auf 49 Prozent. Die Branchentarifbindung betrug 2015 sogar nur noch 51 Prozent (West) beziehungsweise 37 Prozent (Ost).

 

Bessere Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag

Nur die kollektive Verhandlungsmacht der Beschäftigten sorgt für gute Arbeitsbedingungen. Das zeigt ein Blick auf die Zahlen: Tarifgebundene Beschäftigte bekommen deutlich mehr Geld als ihre Kolleginnen und Kollegen in nicht-tarifgebundenen Unternehmen. Für Maschinenbautechnikerinnen und -techniker zum Beispiel beträgt der Lohnunterschied 19 Prozent, für Industriekaufleute sogar 26 Prozent. 71 Prozent der Beschäftigten mit Tarifvertrag erhalten Weihnachtsgeld – aber nur 44 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Tarifvertrag. Und der gesetzliche Urlaubsanspruch beträgt gerade mal vier Wochen, während tariflich inzwischen meist sechs Wochen üblich sind.

 

Arbeitgeber auf Tarifflucht

Arbeitgeber indes versuchen immer häufiger, sich aus der Verantwortung zu stehlen – durch Verbandsaustritte, sogenannte OT-Mitgliedschaften (Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung) oder durch Betriebsabspaltungen und Ausgliederungen. Die Beschäftigten fordern ein Gegensteuern der Politik: 92 Prozent der Befragten fordern beim Gesetzgeber einen Anspruch auf Tarifverträge ein – zum Beispiel indem er Tarifflucht bei Ausgliederungen verhindert. Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz hat die Politik 2014 bereits gehandelt und Allgemeinverbindlicherklärungen erleichtert. Das war richtig. Die Erfahrung nach drei Jahren allerdings zeigt: Das reicht nicht aus.

 

Sozialstaat 4.0: Gesetz, Tarif und Mitbestimmung

Die IG Metall setzt mit ihrem Sozialstaatsverständnis auf ein Zusammenspiel von Gesetz, Tarif und Mitbestimmung. Oft können die Tarifpartner in einer Branche am besten passgenaue Regelungen für ihre Beschäftigten vereinbaren. Der Gesetzgeber muss dafür den Rahmen schaffen. Tarifbindung und Mitbestimmung gehören zusammen. Viele Beschäftigte klagen aber darüber, dass Arbeitgeber Betriebsratswahlen torpedieren – etwa indem sie mögliche Kandidatinnen und Kandidaten einschüchtern oder arbeitgebernahe Kandidatinnen und Kandidaten unterstützen. Jede sechste Neugründung von Betriebsräten wird behindert. Deswegen muss der Gesetzgeber diejenigen besser schützen, die Betriebsratsgründungen initiieren.

 

Ungerechte Einkommen- und Vermögensverteilung

Hohe Tarifbindung und gute Tarifabschlüsse legen die Grundlage für eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen. Sie müssen aber durch eine Steuerpolitik ergänzt werden, die für einen solidarischen Ausgleich sorgt und den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkt. Die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung ist in Deutschland außerordentlich hoch. Die ärmere Hälfte der Haushalte verfügt insgesamt nur über rund ein Prozent des Nettovermögens, während die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens besitzen. Doch die Vermögensteuer ist ausgesetzt – und für Kapitalerträge gilt eine Pauschalbesteuerung von 25 Prozent, während der individuelle Lohnsteuersatz bis zu 42 Prozent beträgt. Damit finden sich die Beschäftigten nicht ab: Mehr Verteilungsgerechtigkeit durch eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen, hoher Vermögen und großer Erbschaften ist für mehr als drei von vier Befragten ein wichtiges oder sogar sehr wichtiges Anliegen.

 

Frauen wie Männer für gleiches Einkommen

92 Prozent der Befragten halten einen gleichen Zugang zur beruflichen Entwicklung sowie gleiches Einkommen für Frauen und Männer für wichtig oder sehr wichtig. Das Statistische Bundesamt beziffert den „Gender Pay Gap“ auf 21 Prozent, für die Privatwirtschaft sogar auf 24 Prozent. Das gerade beschlossene Entgelttransparenzgesetz ist ein Anfang zur Lösung des Problems – mehr nicht. Denn Transparenz allein schafft noch keine Gerechtigkeit. Übrigens trägt auch hier Tarifbindung zur Lösung des Problems bei: In den tarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie verdienen die vollzeitbeschäftigten Facharbeiterinnen pro Stunde 3,7 Prozent weniger als die Facharbeiter. Für die Beschäftigten in nicht-tarifgebundenen Betrieben beträgt das Lohngefälle bei Fachkräften Leistungsgruppe 3 dagegen 14,2 Prozent.

 

Was Beschäftigte konkret brauchen

 

Über die Befragung: Die IG Metall hat Beschäftigte in mehr als 7000 Handwerks-, Dienstleistungs-, und Industriebetrieben befragt. Insgesamt haben sich 681.241 Beschäftigte an der Befragung beteiligt. Mitmachen konnten alle Beschäftigten – Gewerkschaftsmitglieder und Nichtmitglieder. Der Fragebogen konnte schriftlich oder online ausgefüllt werden. Befragungszeitraum war vom 16. Januar bis 26. Februar 2017. Die Zahlen sind gerundet.


Neu auf igmetall.de

    Link zum Artikel