Mitdenken – mitbestimmen – mitmachen: gemeinsam stark
„Unsere größte Stärke ist die, dass wir viele sind“

So steht es auf einem Zettel im Betriebsratsbüro beim Bergbauzulieferer Kolk in Recklinghausen. Dort steht zwar nicht, wer es gesagt hat – das spielt auch keine Rolle. Denn eigentlich sagen es Metaller täglich. Bei betrieblichen Auseinandersetzungen, beim Kampf um einen Anerkennungstarifvertrag ...

30. Oktober 201430. 10. 2014


... oder in Tarifrunden wie gerade in der Textil- und Bekleidungsindustrie.

Da blieb dem Kollegen die Spucke weg. Gerade hatte er seinem Ärger Luft gemacht und lautstark gefragt: „Warum können die das mit uns machen? Warum können die uns einfach die Lohnerhöhung streichen?“ Doch die Antwort seines Betriebsratsvorsitzenden Marcus Teelen ließ ihn verstummen: „Weil es Menschen wie Dich gibt. Menschen, die nicht in der Gewerkschaft sind und meinen, sie kommen allein klar.“

Teelen ist Betriebsratsvorsitzender beim Bergbauzulieferer Kolk in Recklinghausen. Jahrzehntelang ging es dem Unternehmen gut. Selbst in der Krise 2009 lief das Geschäft. Doch seit Kurzem kriselt es. In diesem Jahr machte die Belegschaft einige Monate Kurzarbeit. Die Tariferhöhung im Mai setzte die Firma aus.

Teelen ist seit 27 Jahren bei Kolk. „Wir hatten immer einen Tarifvertrag. Den wollen wir behalten und wir wollen bei der nächsten Tarifrunde dabei sein.“ Nur: Allein kann er das nicht erreichen. Der Betriebsratsvorsitzende des 90-Mann-Betriebs nutzt jede Gelegenheit, um das allen klar zu machen: „Die Tariferhöhung gibt uns der Arbeitgeber nicht, weil ich Betriebsrat bin. Die bekommen wir, wenn der Arbeitgeber weiß, dass wir alle dahinterstehen.“

Unterm Strich mehr

Beschäftigte überzeugen, dass ohne Gewerkschaft nichts läuft, das machen Betriebsräte wie Marcus Teelen täglich. In und um Tarifrunden herum bekommen die Gespräche oft noch mehr Schwung. Schließlich geht es ums Geld. In der Metall- und Elektroindustrie legten die tariflichen Entgelte in den vergangenen Jahren mit jeder Tarifrunde deutlich zu: Unterm Strich bekommt ein Beschäftigter, der 2011 nach Tarif monatlich 2800 Euro brutto hatte, heute 369,45 Euro mehr im Monat.

Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Industriebetrieben verdienen im Schnitt sechs Euro weniger pro Stunde als in tarifgebundenen. Sie arbeiten länger, haben weniger Urlaub und weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Wie gut die Arbeitsbedingungen einer Belegschaft sind, hängt oft eng mit der Zahl ihrer Gewerkschaftsmitglieder zusammen.

Das weiß auch Vertrauenskörperleiter Andreas Gaa. Für ihn ist klar: „Die zählen immer mit.“ Mit „die“ meint er die Geschäftsleitung der PFW Aerospace im pfälzischen Speyer mit rund 1300 Beschäftigten. „Wenn wir mit unseren Leuten und den Fahnen rausgehen zum Warnstreik, stehen sie am Fenster und beobachten uns.“ Und wenn die Geschäftsleitung feststellt, dass weniger Metallerinnen und Metaller als sonst auf der Straße sind, dann läuft es nicht mehr so rund bei Betriebsvereinbarungen, mit der Übernahme von Leiharbeitern oder mit der tariflichen Lohnerhöhung.

Andreas Gaa muss sich keine Sorgen machen: Bei den Flugzeugwerken sind über 90 Prozent Mitglied in der IG Metall. Die Beschäftigten wissen, dass man jede und jeden braucht, wenn es eng wird. Seit den 1970er-Jahren sollte das Werk, das Komponenten für Flugzeuge baut, mehrfach platt gemacht werden. Immer wieder konnten Belegschaft und IG Metall den Betrieb retten. „Ob Kampf um die Arbeitsplätze oder Tarifrunde, wir erreichen nur deshalb etwas, weil wir stark sind, weil die Geschäftsleitung beim Warnstreik jedes Mal genug Fahnen zählt“, betont Werner Rieder, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.

Mittlerweile erinnern sich nur noch die Älteren an die Kämpfe in den 1970er und 90er Jahren. Heute zählen andere Leistungen, die der Betriebsrat für die Belegschaft erbringt. Damit meint Werner Rieder nicht nur gute Betriebsvereinbarungen, Arbeitsbedingungen oder Besservereinbarungen für Leihbeschäftigte: „Du musst zeigen, dass Metaller immer einen Vorsprung haben, egal ob es sich um Wissen oder um Geld dreht.“

Gemeinschaft bilden

Neuigkeiten etwa über Arbeitszeiten bekommt die Belegschaft zuerst von den Vertrauensleuten der IG Metall und erst dann vom Meister oder aus der Personalabteilung. Ausgelernte erhalten Infos zur Eingruppierung und Facharbeiter Impulse über Industrie 4.0. „Wir müssen die Guten sein“, sagt er. Das bringt neue Mitglieder und hält die alten. Für die rund 90 Vertrauensleute und 15 Betriebsratsmitglieder heißt das viel Extraarbeit. „Aber es lohnt sich“, betont der Betriebsrat: „Ohne unsere Mitglieder wären wir gar nichts.“ Nur mit vielen Mitgliedern und einer starken Gemeinschaft läuft auch die Tarifrunde erfolgreich.

Etwa beim Handtuch- und Bademantelhersteller C&A Wölte in Emsdetten. In der Textil- und Bekleidungsindustrie verhandelt die IG Metall gerade über mehr Geld. Die Tarifverträge laufen zum 31. Oktober aus. Fünf Prozent mehr Lohn, Gehalt und Ausbildungsvergütungen ab November fordert die IG Metall. Ein Warnstreik bereitet Anja Dieninghoff, Betriebsratsvorsitzende bei C&A Wölte, kaum Kopfzerbrechen. „Unsere Geschäftsleitung weiß, dass wir gut organisiert sind und die Beschäftigten hinter den Forderungen der IG Metall stehen.“

Im gewerblichen Bereich kann die Betriebsrätin Nichtmitglieder an einer Hand abzählen. Letzte Woche hat eine Kollegin neu angefangen. Dieninghoff ist überzeugt, auch sie bald als Mitglied zu gewinnen. „Die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass wir nur dann mehr bekommen, wenn alle an einem Strang ziehen.“ Leider ist das Verständnis bei Angestellten nicht immer so groß und Dieninghoff bekommt immer wieder die beliebte Antwort: „Die Tariferhöhung bekomme ich sowieso.“

Betriebsrat mit Ingenieuren bei Hekuma. Foto: Fotos: Gerhard Blank, Gustavo Alàbiso
Ingenieure bei Hekuma und Betriebsrat Hubert Hillenbrand: Sie kämpfen für Tarifverträge. Früher waren drei Prozent der Belegschaft in der IG Metall, jetzt sind es 80 Prozent. Foto: Fotos: Gerhard Blank, Gustavo Alàbiso

Wohin das führen kann, weiß Hubert Hillenbrand, Betriebsratsvorsitzender bei Hekuma Sondermaschinenbau in Eching bei München. Hier arbeiten knapp 200 hochqualifizierte Menschen, 60 Prozent Akademiker, die meisten davon Ingenieure. Sie stellen Automaten her, die Kunststoffteile blitzschnell aus Spritzgießmaschinen entnehmen können. Die Automaten sind gefragt, dem Betrieb geht es wirtschaftlich gut. Bis vor ein paar Jahren fanden die Beschäftigten, dass sie keinen Betriebsrat brauchen und keineTarifverträge, also auch keine Gewerkschaft. Nur drei Prozent von ihnen waren Gewerkschaftsmitglied. Jetzt gibt es einen Betriebsrat, 80 Prozent der Belegschaft sind in der IG Metall. Konstrukteure, Projektmanager und andere Ingenieure – sie alle kämpfen gemeinsam für einen Tarifvertrag.

Bezahlung nach Tarif – das gab es schon einmal. Der Gründer Richard Herbst hatte sich als Alleininhaber freiwillig an den Tarifverträgen orientiert. 2000 verkaufte er die Firma. Fortan zählte nur noch der Gewinn. Da der Betrieb nicht tarifgebunden war und 97 Prozent der Beschäftigten nicht Mitglied der IG Metall, fiel es der neuen Geschäftsleitung nicht schwer, die Gehälter zu beschneiden. „Manche Kollegen verloren im Laufe der Jahre über 20 Prozent Einkommen, weil sie Tariferhöhungen nicht bekamen“, rechnet Hillenbrand vor. Bei 5000 Euro im Monat ein Verlust von 1000 Euro.

„Tarifverträge der IG Metall und Tariferhöhungen bekommen wir nur, wenn wir eine starke Gemeinschaft werden“, sagt Hillenbrand. „Gemeinschaft“ ist ein Wort, das dem Betriebsrat sehr oft über die Lippen kommt. In 160 Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen hat er dafür geworben, dass „alle eine Gemeinschaft bilden“. Als 80 Prozent der IG Metall beigetreten waren, machte er der Geschäftsführung klar, dass sie es in Zukunft mit einer starken Interessengruppe zu tun hat.

Einen Erfolg gibt es schon. Das Weihnachtsgeld wird für alle, die mindestens drei Jahre im Betrieb sind, von 50 auf 55 Prozent angehoben – so wie es im Tarifvertrag der IG Metall steht. „Wir freuen uns schon auf die Tariferhöhung 2015 für die Metallindustrie“, sagt einer der Ingenieure. „Wenn wir einen Anerkennungstarifvertrag schaffen, profitieren auch wir bei uns im Betrieb davon.“

Lange vorbei

Geld ist wichtig, aber nicht immer geht es nur um den Euro. In der kommenden Metall-Tarifrunde will die IG Metall auch über Altersteilzeit sowie Geld und Zeit für Bildung verhandeln. Beim Stichwort Bildung horchen viele Frauen beim Sensorikhersteller Hella in Recklinghausen auf. Die meisten sind zwischen 45 und 50 Jahre und arbeiten schon lange in der Montage. Als sie anfingen, oft in Teilzeit neben der Familie, brauchten sie keine Ausbildung. Sabine Düsterhoff, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, erinnert sich, dass viele darüber witzelten. „Damals hieß es, mein Hirn kann ich beim Pförtner abgeben.“

Wer seine Arbeit behalten will, muss sich qualifizieren. Aber Teilzeitkräfte mit 900 Euro netto im Monat können sich das nicht leisten. Während einer Fortbildung zur Mechatronikerin bekommen sie fast 400 Euro weniger. Betriebsrätin Martina Fox hat sich die Füße wund gelaufen, Ämter abgeklappert, um Geldquellen anzuzapfen. Am Ende hat der Betriebsrat den Arbeitgeber dazu gebracht, die Fortbildung finanziell zu unterstützen. Und auch bei den Beschäftigten etwas bewegt. „Sie wissen, sie brauchen eine Qualifizierung“, sagt Martina Fox. „Und sie wissen, wir kriegen das nur gemeinsam hin.“

Besser mit

Wer glaubt,Tariferhöhungen kommen von selbst, der irrt und spürt es spätestens, wenn die Zeiten rauer werden. Zum Beispiel beim Bergbauzulieferer Kolk in Recklinghausen. Mitgliederversammlung bei der IG Metall: Seit Monaten warten die Beschäftigten von Kolk auf ihre Tariferhöhung. Mit Gewerkschaftssekretär Sascha Pletenecky diskutieren sie, wie es weitergeht. „Was, wenn nichts dabei herauskommt, wenn noch mehr Zeit ins Land geht?“,wollen die Teilnehmenden wissen.

Noch ist nichts entschieden. Aber Pletenecky kann sie beruhigen. Wenn es hart auf hart kommt, kann die IG Metall für ihre Mitglieder den Anspruch einklagen. Nichtmitglieder gehen leer aus. Raunen in der Runde und einer sagt: „Das muss man denen doch mal sagen, dann treten die doch sofort ein.“ Das macht Betriebsratsvorsitzender Marcus Teelen immer wieder. Etwa bei dem Kollegen, der sich lautstark bei ihm beklagte. Teelen ist sicher: „Er ist bald dabei.“
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