metall 5/6 2022 Branchen & Betriebe 17 E in Kollege? Quatsch, nein, ein Kollege, das könne man nun wirklich nicht sagen: »Ein Kollege, der gibt Wider- worte«, sagt Dietmar Brauner. »Und so was macht der ja nicht.« Natürlich, das stimmt. Widerworte gibt es keine. Genau genommen gibt es überhaupt keine Worte. Nie- mals. Still und starr steht er neben Dietmar Brauner. Aber man darf sich nicht täuschen. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Das zeigt sich so: Dietmar greift zwei Magnetspulen aus ei- ner Kiste, legt sie in eine Vorrichtung. Sobald er einen Knopf drückt, kommt der Roboter, presst die beiden Module fest in die Bohrungen des Stirndeckels am Motor. Anschließend schraubt Dietmar die beiden Magnetspulen fest. Wenn die letzte Schraube sitzt, läuft das Band mit dem Motorblock weiter zur nächsten Station. Und Dietmar greift erneut zwei Spulen aus der Kiste. Es ist eine stille Choreografie, ein enges Zusammenarbeiten zwischen Mensch und Maschine, bei dem aber, das ist entschei- dend, zu keiner Sekunde unklar ist, wer hier Tempo und Takt vorgibt. »Das bin ich«, sagt Dietmar Brauner. »Der Roboter, der Cobot, ist dazu da, mir schwere Arbeit abzunehmen. Meine Schulter will nicht so wie ich. Ich kann sie nicht belasten. Das ist alles.« Das ist nicht wenig. Es ist eine große Hilfe. 57 Jahre ist Dietmar Brauner alt. Seit 26 Jahren arbeitet er bei Ford in Köln. Erst lange Jahre im Presswerk, jetzt, seit drei Jahren, in der Moto- renfertigung. »Meine Bandscheibe hat nicht mitgespielt, und dass Barrierefreiheit hergestellt wird.« Was das bedeutet? Nun, es bedeutet, dass sich Kutzinsky und sein Team zuerst nach geeigneten Arbeitsplätzen an der Montagelinie umgese- hen haben: »Wir haben detaillierte Arbeitsplatzprofile erstellt. Wir haben die räumliche Situation am jeweiligen Arbeitsplatz angesehen und darauf geachtet, welche Tätigkeiten dort von den Kolleginnen und Kollegen auszuführen sind. Vor allem ha- ben wir die Belastungen dokumentiert, die auf die Beschäftig- ten einwirken.« Die Ergebnisse haben Kutzinsky und sein Team dann mit der SBV und der Werksärztin besprochen: Zusammen haben sie beraten, an welchem Arbeitsplatz durch den Einsatz eines kollaborierenden Roboters die Belastung um wie viel Prozent sinken kann – und welcher Kollege, welche Kollegin von dem Einsatz am meisten profitiert. »Wir haben uns dafür entschie- den, mit dem Arbeitsplatz von Dietmar und seinem Kollegen zu starten. Das haben wir natürlich nicht allein entschieden.« Frühzeitige Beteiligung ist elementar Bereits beim Start des Projekts, im Juni 2020, war allen Betei- ligten klar, dass es nur dann gelingen kann, wenn es erstens nicht dazu führt, dass mit ihm Stellen verlagert oder aber ab- gebaut werden. Und zweitens eine frühestmögliche Beteili- gung organisiert und umfassende Freiwilligkeit garantiert wer- »Es geht nicht darum, einfach einen Roboter an die Montagelinie zu stellen. Die Herausforderung war, Barrierefreiheit herzustellen.« Ralf Kutzinsky, Ford Köln den. »Das haben wir getan«, sagt Kutzinsky. Dietmar Brauner und sein Kollege, mit dem er im Wechsel an diesem Arbeitsplatz arbei- tet, waren deshalb bei den Teambesprechun- gen dabei: Sie haben mitgeholfen, die von ih- nen ausgeführten Handgriffe und Bewegungen zu dokumentieren. Sie haben gemeinsam überlegt, an welchen Stellen meine Schulter schmerzte, ich konnte nicht mehr im Press- werk arbeiten«, sagt Brauner. Die Arbeit an der Motorenlinie, an diesem neu eingerichteten robotergestützten Arbeitsplatz, ist eine Wohltat für den 57-Jährigen. »Jetzt habe ich keine Schmerzen mehr. Darüber bin ich glücklich.« Bis dahin war es ein weiter, manchmal mühseliger Weg. Rund ein Jahr haben Forschung, Entwicklung, Schulungen und Testläufe gedauert, bis Beschäftigter und Roboter, bis Mensch und Maschine reibungslos zusammenarbeiten konnten. »Robo- ter werden seit vielen Jahrzehnten in der Automobilindustrie eingesetzt«, sagt Ralf Kutzinsky. »Allerdings meist hinter Schutzvorrichtungen oder als Fahrroboter, die Materialien transportieren.« An diesem Arbeitsplatz ist das anders. Hier ar- beitet der Roboter mit dem Menschen quasi Hand in Hand. »Er ist nicht durch eine Schutzeinrichtung abgetrennt.« Anforderungen der Arbeitssicherheit Kutzinsky arbeitet bei Ford im betrieblichen Gesundheitsma- nagement im Motorenwerk. Er stimmt sich eng mit der Schwer- behindertenvertretung (SBV) ab und hat in den vergangenen Jahren maßgeblich das Projekt vorangetrieben. Und voranzu- treiben war einiges. »Es geht nicht darum, einfach einen Leichtbauroboter an die Montagelinie zu stellen. Die Heraus- forderung war, den Arbeitsplatz so umzugestalten, dass die Anforderungen der Arbeitssicherheit berücksichtigt werden der Roboter am besten eingreifen, unterstützen, Arbeitsschritte übernehmen kann. Erst durch diese detaillierte Analyse des Ar- beitsplatzes und der an ihm ausgeübten Tätigkeiten ist es schließlich gelungen, übermäßige Belastungen für Dietmar und seinen Kollegen zu senken. »Wir haben darüber hinaus auch sichergestellt, dass hier weiter effizient gearbeitet werden kann«, sagt Kutzinsky. Das sieht man, wenn man Dietmar an seinem Arbeitsplatz zusammen mit dem Leichtbauroboter in Aktion beobachtet: Abwechselndes Greifen und Fassen, Heben und Legen, lauter präzise aufeinander abgestimmte Bewegungen. »Ich fühl mich wohl, mir geht es körperlich besser«, sagt Dietmar Brauner. Ralf Kutzinsky betont, dass das subjektive Empfinden der Kolleginnen und Kollegen elementar sei. »Wir haben das ganze Projekt von Anfang an wissenschaftlich begleitet, wir evaluieren es jetzt weiter.« Es sei wichtig, nun Erfahrungen zu sammeln, offen zu bleiben und auch bereit zu sein, die Ar- beitsabläufe anzupassen, falls es Probleme gibt. »Unser Ziel ist, die Arbeit des einzelnen Kollegen, der ein- zelnen Kollegin zu erleichtern.« Gleichzeitig aber ginge es im- mer auch darum, Inklusion voranzutreiben, darauf hinzuarbei- ten, dass Arbeitsplätze, auf denen körperlich eingeschränkte Beschäftigte arbeiten, nicht abgebaut, sondern in normalen Li- nien integriert werden. »Bei uns gibt es noch viele Einsatzmög- lichkeiten für kollaborierende Roboter«, sagt Ralf Kutzinsky.