M it dem langstieligen Malerpinsel rührt Admir Jahic durch den Kleister im weißen Plastikeimer. Zweimal klopft er den Pinsel am Rand ab, dann streicht er dicke Schichten auf das Rad, wirft den Pinsel zurück in den Eimer und nimmt den 45-Grad-Prüfkopf des Ultraschallgeräts in die Hand. »Wie beim Arzt, da be-kommst du auch so eine Paste drauf«, kommentiert der Metal-ler den Arbeitsschritt. Admir legt den Prüfkopf an das Metall, mit der anderen Hand, die in einem Handschuh steckt, dreht er ganz, ganz langsam den aufgebockten Radsatz. Auf dem kleinen Bildschirm, den Admir neben sich auf die Werkbank gestellt hat, ist eine Amplitude zu sehen, am Anfang ein star-ker Ausschlag, dann eine relativ gerade Linie. »Der Ausschlag war nur die Kante, bisher keine Risse«, sagt Admir leise und konzentriert und dreht das Rad behutsam weiter. Zwei weitere Prüfköpfe wird Admir noch verwenden. Nach knapp einer Stunde lautet sein Urteil: »Alles gut, können wir aufarbeiten. Wären Risse drin, müssten wir sie verschrotten.« Admir arbeitet in der Radsatzwerkstatt von Thyssen-Krupp Steel in Duisburg. Nicht weit von den Hochöfen entfernt stellt der Metaller sicher, dass die gelb-roten Loks des Stahl-herstellers zuverlässig Material transportieren können. Seit fast 30 Jahren ist Admir in der Materialprüfung, aber erst seit Kurzem hier bei Thyssen-Krupp. Jahre zwischen zweiter und dritter Bewerbung 1996 begann Admir seine Ausbildung zum Industriemechani-ker bei Vallourec in Mülheim an der Ruhr und arbeitete seit-dem in der zerstörungsfreien Prüfung. Doch vor einigen Mona-ten gingen bei Vallourec die Lichter aus, die Betriebe in Mühlheim und Düsseldorf mussten schließen. »Die IG Metall hat gekämpft, aber die Schließung war nicht abzuwenden«, sagt Admir. Der Metaller bekam eine Abfindung. »Die hat die IG Metall ausgehandelt und die war sehr, sehr gut. Es gab auch einen Bonus für Mitglieder. Dennoch hat es viele Kolle-ginnen und Kollegen sehr mitgenommen«, erinnert sich der 45-Jährige. Auch an Admir ist das Ganze nicht ohne Weiteres vorbeigegangen: »Ich hab’ gedacht, ich bin zu alt, mich stellt keiner mehr ein. Das waren schlaflose Nächte.« Doch die IG Metall-Betriebsräte bei Vallourec luden IG Metall-Betriebs-räte von Thyssen-Krupp zu einer Betriebsversammlung ein. »Wir brauchen euch, haben sie gesagt«, erinnert sich Admir. »Es ist schon gut, so ein Netzwerk zu haben, wie eine Fami-lie«, findet der Metaller. Und so kam es, dass er seine insge-samt dritte Bewerbung schrieb. »Die erste war vor 27 Jahren für einen kleinen Metallbetrieb, ich weiß gar nicht mehr, wie der hieß, die zweite eben für Vallourec und jetzt nach 27 Jahren musste ich wieder eine schreiben. Dann zum Gespräch, da war ich ganz schön nervös.« Doch es klappte. Nicht nur für ihn, rund 500 Kolleginnen und Kollegen von Vallourec sind heute bei Thyssen-Krupp. »Ich laufe immer wieder welchen über den Weg, von denen ich gar nicht wusste, dass sie auch hierher sind«, freut sich Admir. Einen Unterschied zu früher gibt es: »Wir haben Foto: Roland Geisheimerbei Vallourec automatisch geprüft, bis zu 1200 Rohre am Tag, da schaust du nur auf Bildschirme. Hier, bei Thyssen-Krupp, bei den Radsätzen, ist die Stückzahl viel kleiner, da wird händisch geprüft, das musste ich erst lernen«, erklärt Admir. Der Metaller bekam eine Schulung und kniete sich rein: »Ich bin länger geblieben und hab immer auf dem Hotelzimmer gelernt.« Das hat sich ausgezahlt, Admir soll bald Vorarbeiter werden. Admir hat gekämpft: für Vallourec, für seinen neuen Job. Und jetzt muss Admir wieder kämpfen: Der Vorstandsvorsitzende von Thyssen-Krupp will angeblich Arbeitsplätze ab-bauen. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen geht Admir deshalb vors Werkstor und vor die Konzernzentrale, um zu zeigen: Kündigungen wird es mit der IG Metall nicht geben. Admir ist ein Kämp-fer. Er kämpft für sich, für seine Kinder sowie für seine Kolleginnen und Kollegen. Admir ist einer von uns, einer von 2,1 Millio-nen Metallerinnen und Metallern. metall 7/8 2024 Branchen & Betriebe 27WIR SIND DIE IG METALL Wir sind über 2,1 Millionen Mitglieder in der IG Metall. Wir arbeiten in den unter-schiedlichsten Branchen und haben die unterschied-lichsten Jobs. Eins aber haben wir alle gemeinsam: Wir wollen gute Arbeit! Fotos: Roland GeisheimerPrüfkopf auf Metall: So sucht Admir nach Rissen in den Rad-sätzen (Bild unten). Risse im Lebenslauf hat er nicht, gehol-fen hat ihm die IG Metall-Familie. 26_27_mz_4-2024_data.qxp_Layout 1 Kopie 14.06.24 17:19 Seite 27