Metall-Tarifrunde 2018
Mehr Geld und mehr Zeit

Unsere Forderung: 6 Prozent mehr Geld und einen individuellen Anspruch, die Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden pro Woche zu verkürzen. Was viele Beschäftigte wollen und was ihnen das Leben erleichtern würde, stößt bei den Arbeitgebern auf heftigen Widerstand.

30. November 201730. 11. 2017


In der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie fordern wir unter dem Motto „Miteinander für morgen“ 6 Prozent mehr Geld ― und eine Wahloption für Beschäftigte, ihre Arbeitszeit für zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden zu reduzieren. Wer verkürzt, um Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen, soll einen Zuschuss zum Entgelt erhalten, ebenso Beschäftigte mit belastenden Arbeitszeiten wie Schichtarbeit. Die Arbeitgeberinnen lehnen alles ab.


Die Uhr immer im Nacken

Immer diese Hetze, immer dieser Druck. Wenn Stefan Holweg seine Kinder morgens aus dem Bett holt, sitzt ihm die Uhr im Nacken. Aufstehen, waschen, Zähne putzen, anziehen, frühstücken, Pausenbrote einpacken und los. Um acht Uhr gibt er seinen jüngeren Sohn in der Kita ab, um halb neun den älteren in der Schule und um neun sitzt der Ingenieur an seinem Schreibtisch.

Holweg und seine Frau leben getrennt. An den Tagen, an denen er sich um seine Kinder kümmert, schafft er seine Stunden im Büro nie, egal wie sehr er sich hetzt. An den anderen Tagen, wenn seine Kinder bei ihrer Mutter sind, arbeitet er länger, um sein Zeitkonto wieder auszugleichen. Zeit sparen kann er nur bei sich selbst, bei der eigenen Erholung. Holweg hat immer wieder überlegt, kürzer zu arbeiten. „Ich finde es nicht schön, dass ich die Kinder immer so durch den Morgen jagen muss“, sagt der 43-Jährige. Aber als getrennt lebender Vater kann er es sich nicht leisten. „Ich hätte etwa 400 Euro netto weniger. Das ist im Moment nicht drin.“


Beschäftigte wollen Arbeitszeiten, die zum Leben passen.

Viele Beschäftigte wollen Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Das war ein Ergebnis unserer Beschäftigtenbefragung im Frühjahr. 89 Prozent der 680 000 befragten Beschäftigten sagten, dass sie ihre Arbeitszeit gerne auch kurzfristig an ihre Befürfnisse anpassen möchten. 82 Prozent würden gerne vorübergehend kürzer arbeiten. Aber bei den Arbeitgebern stoßen sie auf wenig Verständnis. Oft sprechen sie es gar nicht erst an. So auch Holweg, weshalb er lieber nicht mit seinem richtigen Namen erscheinen möchte.


Zuschuss zum Entgelt vom Arbeitgeber

Es gibt viele Gründe,warum Menschen eine Weile kürzer arbeiten wollen. Die einen, weil sie sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern, die anderen, weil sie auf ihre Gesundheit achten müssen, und noch andere, weil sie etwas mehr Zeit für Hobbies oder Ehrenämter wollen. Jeder sollte ein Recht darauf haben. Deshalb fordern wir in der laufenden Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie einen individuellen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung. Wer will, soll seine Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden in der Woche verkürzen können, begrenzt auf bis zu zwei Jahre, und danach wieder in Vollzeit zurückkehren können. Wer verkürzt, um Kinder zu erziehen, Angehörige zu pflegen oder in belastenden Arbeitszeitmodellen wie Schicht arbeitet, soll einen Zuschuss zum Entgelt vom Arbeitgeber bekommen.

Mit einem individuellen Anspruch und einem Entgeltzuschuss könnte sich Stefan Holweg kürzere Arbeitszeiten leisten und müsste seine Kinder nicht mehr durch den Morgen hetzen. „Die Forderung ist wie maßgeschneidert für mich“, sagt der Vater. „Eine Stunde mehr Zeit am Morgen wäre die reinste Wohltat.“


Möglichkeit, Beruf und Familienleben besser zu vereinbaren

Die Wahloption auf Reduzierung der Arbeitszeit mit Entgeltzuschuss könnte vielen Menschen das Leben leichter machen und Eltern den Spagat zwischen Beruf und Familie ersparen. Der Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall Rainer Dulger nennt das „Freizeitzuschuss“ und „Geld fürs Nichtstun“. Über solche Sätze kann Marie-Celine Dzsida, Mutter eines achtjährigen Jungen und Metallerin, nur den Kopf schütteln. „Wer so etwas sagt, hat keine Kinder oder kümmert sich nicht selbst um sie“, vermutet die Maschinenbautechnikerin.

 

Marie-Celine Dzsida: „Es kann nicht sein, dass wir es uns nicht leisten können, Kinder zu kriegen“


Als ihr Sohn geboren wurde, reduzierte die 34-Jährige ihre Arbeitszeit. Wenn sie sich im Büro verabschiedete und ihre Kollegen ihr einen schönen Feierabend wünschten, sagte sie: „Ich gehe nach Hause, ich habe nicht Feierabend.“ Als berufstätige Mutter fühlt sie sich ständig unter Strom, immer auf dem Sprung, immer unter Druck, ihre Arbeit pünktlich zu erledigen, pünktlich am Kindergarten oder in der Schule zu sein.

Dabei hatte sie Glück. Sie konnte ihre Arbeitszeit reduzieren und sie konnte in Vollzeit zurück. Das können viele nicht. Die Forderung der IG Metall findet Marie-Celine Dzsida daher passend. „Es kann nicht sein, dass wir es uns nicht leisten können, Kinder zu kriegen“, sagt die Metallerin. „Es darf weder zeitlich noch finanziell ein Problem sein. Kinder sind unsere Zukunft.“


Arbeitszeiten immer flexibler ― im Interesse der Arbeitgeber

Beschäftigte strecken sich nach der Decke, jonglieren mit Öffnungszeiten, Verkehrschaos und Terminen am Arbeitsplatz. Sie sind flexibel und müssen es auch sein. Denn Arbeitszeiten werden immer flexibler ― bisher allerdings vor allem im Interesse der Arbeitgeber. 57,3 Prozent der Beschäftigten machen Überstunden, 1,8 Millionen allein im vergangenen Jahr, davon die Hälfte unbezahlt. Fast jede Zweite arbeitet auch samstags, ein Viertel sogar sonntags. Gut ein Drittel arbeitet Schicht. Ganz nach der Logik der Arbeitgeber: Zuerst kommt der Kunde, der Markt, dann die Beschäftigten.


Schon viel zu lange auf der Überholspur

Für Jürgen Köhler, der bei Daimler in Kassel in der Montage arbeitet, wird es höchste Zeit, dass die Gewerkschaft das Thema anpackt. „Wir leben schon viel zu lange auf der Überholspur.“ Arbeit am Wochenende ist für ihn inzwischen die Regel. Das war einmal anders. Als er vor 26 Jahren im Werk anfing, wurde er höflich gefragt, wenn er ausnahmsweise auch samstags arbeiten sollte. Und der Vorgesetzte brachte für alle etwas zu essen mit. „Heute müssen wir arbeiten, wenn die Aufträge kommen, und Zeitkonten abbauen, wenn sie ausbleiben.“ Im Moment ist die Auftragslage gut und Jürgen Köhler arbeitet in einem 21-Schichten-Modell. Das heißt: Ein ganzes Wochenende hat er nur selten frei. Früher leitete er einen Lauftreff. Das schafft er heute nicht mehr. Irgendwann fragte ihn sein neunjähriger Sohn, ob er auf der Arbeit wenigstens ein Bett habe.

 

Jürgen Köhler: Wünscht sich ein Recht auf selbstbestimmte Arbeitszeiten.


Die Schichtarbeit schlaucht. Oft läuft Jürgen Köhler wie ein Geist durch die Gegend und weiß nicht, welcher Tag gerade ist. Er leidet unter Schlafstörungen und ist leicht reizbar- „Wenn ich nach Tarifvertrag das Recht hätte, kürzer zu arbeiten, würde ich mich freuen wie ein kleines Kind.“


Eine Forderung für alle

Unsere Forderungist eine Forderung für alle ― auch für Schichtarbeiter, auch sie sollen Anrecht auf kürzere Arbeitszeiten mit Entgeltzuschuss vom Arbeitgeber bekommen. Es geht um Gesundheit und die darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Die Beschäftigten wollen mehr Planbarkeit und mehr Selbstbestimmung über ihre Arbeitszeit und damit mehr Freiheit bei der Gestaltung des eigenen Lebens. Kurz gesagt: Sie wollen Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Einfach haben sie es dabei oft nicht.

Als Maschinenführer Ronald Gräbitz vor vier Jahren seine Arbeitszeit verkürzen wollte, wusste seine Arbeitgeberin erst nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. „Bei uns in der Produktion arbeitete damals niemand in Teilzeit“, sagt der 47-Jährige. Er arbeitet bei Hydro Aluminium in Hamburg in Schicht. „Ich wollte mehr Zeit mit meiner Tochter verbringen und ein paar Schichten weniger arbeiten“, sagt der Metaller. Vor allem in den Ferien hatten Ronald Gräbitz und seine Frau Betreuungsprobleme. Er musste darum kämpfen. Letztendlich kam ihm sein Arbeitgeber entgegen und es ließ sich immer irgendwie regeln. „Aber ich verzichte natürlich auf ein Monatsgehalt und das kann sich nicht jeder leisten“, sagt Gräbitz.


Beschäftigte brauchen Zeit, um sich zu erholen

Nicht nur für die Tochter, auch für seine Eltern braucht Ronald Gräbitz inzwischen Zeit. Sie werden älter, es geht ihnen schlechter. Pflege, auch das kommt auf immer mehr Beschäftigte zu. Kinder, Eltern, Kundenwünsche ― angesichts der unzähligen Anforderungen brauchen Beschäftigte auch Zeit, um sich zu erholen. Kürzere Arbeitszeiten, das spürt Ronald Gräbitz, tun seiner Gesundheit gut. Zehn Prozent weniger arbeiten bedeutet für ihn mehr freie Tage zwischen den Schichten ― mehr Zeit, sich zu erholen.


Gesicherte Ansprüche sind nötig

Ohne einen tarifvertraglichen Anspruch sind Beschäftigte mit ihren Anliegen meist auf den guten Willen ihres Arbeitgebers angewiesen. Eine Betriebsrätebefragung Ende 2016 ergab, dass nur 12 Prozent der Betriebe Vereinbarungen zu reduzierten Arbeitszeiten für Kindererziehung und nur 10 Prozent für Pflege haben. Bei Entlastungen für Schichtarbeiter sieht es noch magerer aus. Selbst in großen Betrieben gibt es nur in 8 Prozent einen verbindlichen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit für Schichtarbeiter, wie eine aktuelle Erhebung der IG Metall zeigt. Doch auch wenn es Vereinbarungen gibt, können Beschäftigte nicht immer über ihre Arbeitszeit selbst bestimmen.

Yunus Dinc arbeitet bei Bosch in Stuttgart-Feuerbach. In den Medien wird Bosch als Paradebeispiel zitiert: Über 100 Arbeitszeitregelungen gibt es dort. Dem Vater dreier Kinder nützt das allerdings nichts. Die Vereinbarungen gelten vor allem im indirekten Bereich. Doch Yunus Dinc arbeitet Schicht in der Produktion, früh, spät, nachts, sechs Tage in der Woche. Nur jeden vierten Samstag hat er frei. „Mein elfjähriger Sohn fragt mich ständig, warum ich samstags nicht zu seinen Fußballspielen kommen kann wie die anderen Eltern. Und ständig muss ich Feiern mit Familie und Freunden absagen. Die glauben mir schon nicht mehr, dass ich immer samstags arbeiten muss.“

 

Yunus Dinc: Würde gern öfter zu den Fußballspielen seines Sohns gehen.


„Es läuft immer so, wie die Firma will.“

Der 43-jährige Industriemechaniker würde die Abteilung wechseln und auch auf Geld verzichten, wenn er nur samstags frei haben könnte. Aber sein Arbeitgeber Bosch lehnt das ab ― „aus betrieblichen Gründen“. Andersherum geht es immer: Dinc und viele seiner Kollegen haben bis September ein Jahr lang kürzer gearbeitet, für weniger Geld ― der Firma zuliebe: Da die Stückzahlen in seinem Bereich heruntergegangen waren, haben die Vorgesetzten sogar bei den Beschäftigten dafür geworben, dass sie befristet in Teilzeit gehen. Eine Verlängerung der Teilzeit sei dann kein Problem, hieß es. Von wegen. Die Stückzahlen gingen wieder hoch. Seitdem ist Schluss mit der Teilzeit und dem freien Samstag. Eigentlich hat die Firma kein Problem, samstags Leute zu finden. Aber sie machen sich nicht die Mühe, kritisiert Dinc. „Es läuft immer so, wie die Firma will.“

Yunus Dinc hofft daher, dass sich seine IG Metall mit der Wahloption durchsetzt, am besten mit Zuschuss. Dann könnte er endlich auch mal selbst bestimmen.


Eine Frage der Arbeitszeitkultur

Die Arbeitgeber lehnen das alles ab: Alles nichtmachbar, alles zu teuer, lautet ihre Antwort. Die IG Metall wolle vielmehr Flexibilität einseitig zu Lasten der Unternehmen. Sie beklagen den Fachkräftemangel, der durch die Wahloption noch schlimmerwerde. Der Entgeltzuschuss sei eine „Stilllegeprämie für Fachkräfte“.

Einen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt es bislang gar nicht, und wenn Betriebe sich auch in Zukunft Fachkräfte sichern wollen, rät ihnen selbst das von den Arbeitgebern finanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die Arbeitszeit zu verbessern. In einer Studie kommt es zu dem Schluss, dass Unternehmen sich etwas einfallen lassen müssen, um in Zukunft Fachkräfte zu bekommen. Erfolgreich sind laut IW dabei die Unternehmen, die auf die Bedürfnisse der Beschäftigten, etwa hinsichtlich flexibler Arbeitszeiten, Rücksicht nehmen. Das haben laut IW-Studie allerdings die wenigsten bislang erkannt. Eine Personalpolitik, die sich nach den unterschiedlichen Lebenssituationen der Mitarbeiter richtet, gibt es gerade mal in 8 Prozent der Unternehmen.


Arbeitgeber bringen sich um Fachkräfte

Bereits heute bringen sich die Arbeitgeber selbst um Fachkräfte. Wenn allein Frauen, die ungewollt in Teilzeit arbeiten, aufstocken könnten, ergäbe das laut Statistischem Bundesamt 1,2 Millionen zusätzliche Vollzeitkräfte. Doch dazu braucht es Arbeitszeitmodelle, die den Frauen das auch ermöglichen. Die Arbeitgeber fordern jedoch immer mehr Flexibilität und grenzen damit Mütter, aber auch Väter, aus. Zu diesem Schluss kommt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. In einer Studie, wie sich der Fachkräftebedarf in Engpassberufen decken lassen kann, schreibt das IAB: Frauen könnten auch deswegen von einer entsprechenden Berufswahl absehen, weil die Arbeitsbedingungen in technischen Bereichen hinsichtlich Vereinbarkeit von Familien- oder Pflegeverpflichtungen und Beruf nur unzureichend sind.


Nicht die Technik schreckt Frauen von der Wahl dieser Berufe ab, sondern eine männlich geprägte Arbeitszeitkultur. Das sieht auch der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, so: „Unsere Industrie leistet sich immer noch einen Frauenanteil von lediglich 20 Prozent“, sagt Hofmann. „Um für Fachkräfte attraktiv zu sein, ist es entscheidend, welche Arbeitszeitmodelle Unternehmen anbieten.“

Tarifrunden - Metall und Elektro
Mitglied werden
Werde Teil einer starken Gemeinschaft

Von Rechtsschutz in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten bis zu gerechten Löhnen und Gehältern – wir kümmern uns persönlich und zuverlässig um unsere Mitglieder.

Online beitreten
Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen