Berufsausbildung: Experten aus den Betrieben mischen mit
Wir machen Ausbildung

Die deutsche Berufsausbildung steht weltweit hoch im Kurs. Die Bundesregierung will sie zum Exportschlager machen. Was viele dabei übersehen: Zehntausende ehrenamtliche Experten aus den Betrieben, die Berufe praxisnah gestalten, die Ausbildung überwachen und Azubis prüfen.

27. Mai 201527. 5. 2015


Die deutsche Wirtschaft brummt. Und die Jugendarbeitslosigkeit ist niedrig. Als wesentlichen Grund hierfür sehen Experten weltweit die deutsche duale Berufsausbildung in Betrieb und Berufsschule. Viele wollen nun das deutsche System kopieren. Und die Bundesregierung leistet fleißig „Entwicklungshilfe“ mit diversen Projekten.

Was Experten und Politiker übersehen: Unsere Berufe und Ausbildungsgänge entstehen nicht auf den Schreibtischen von Behörden. Die Macher der deutschen Berufsbildung sind Zehntausende ehrenamtliche Experten aus den Betrieben, die Berufe praxisnah gestalten, die Ausbildung überwachen und für sinnvolle Prüfungen sorgen.

Berufe machen: Experten aus Betrieben mischen mit. Illustrationen: Julia Buschmann
Berufe machen: Experten aus Betrieben mischen mit. Illustrationen: Julia Buschmann

 

Berufe gestalten

Als Sachverständige der Gewerkschaften gestalten betrieblichen Experten gemeinsam mit Arbeitgebervertretern Berufe. In so genannten Neuordnungsverfahren betrachten sie Realität in den Betrieben: Wie muss die aussehen? Was müssen Azubis lernen? In Ausbildungsrahmenplänen legen sie Standards für jeden Beruf fest. So können sich Beschäftigte mit einer umfassenden Ausbildung auch bei anderen Betrieben bewerben.

„Wir sehen den Beruf aus Sicht der Beschäftigten und wissen, was sie für die Arbeit brauchen“, erklärt Billi Lin Ilg, Ausbilderin beim Wäschehersteller Triumph. Als Sachverständige der IG Metall hat sie den Beruf Modeschneider mitgestaltet. „Dabei haben wir im Blick, dass sich Arbeit verändert. Nähen in Serienfertigung wird in Deutschland weniger werden. Daher müssen wir die Ausbildung mehr auf die Prototypenfertigung ausrichten.“ Am Ende werden die neuen Ausbildungsordnungen dann vom Bundeswirtschafts- und Bildungsministerium erlassen.


Ausbildung überwachen

Für eine gute Ausbildung genügen Rahmenpläne allein nicht. Die Betriebe müssen sie auch umsetzen. Darüber wachen die Kammern (IHK und HWK) mit ihren regionalen Berufsbildungsausschüssen. Auch hier sind Arbeitnehmer und Arbeitgebervertreter beteiligt.

Im Betrieb übernehmen Betriebsrat sowie Jugend- und Auszubildendenvertretung die Kontrolle. „Wir achten darauf, dass die Inhalte des Ausbildungsrahmenplans vermittelt werden und die Azubis keine ausbildungsfremden Tätigkeiten machen müssen“, erklärt Petra Nolte, Sachverständige der IG Metall für Büroberufe und Betriebsrätin bei VW in Osnabrück. „Zudem reden wir bei der Auswahl von fachlich, aber auch persönlich geeigneten Ausbildern mit.“


Prüfungen machen

Auch bei den Prüfungen der Azubis wirken Experten der Gewerkschaft mit. Sie erstellen Aufgaben und prüfen. „Prüfungen müssen praxisnah und machbar sein“, fordert Reinhold Sauer. Er ist Ausbilder bei Bosch in Bamberg und Prüfer für Industriemechaniker und Mechatroniker bei der regionalen IHK. „Und die Prüfung muss fair und ehrlich sein. Das heißt, nicht auf dem wunden Punkt des Azubis herumzutrampeln, sondern ihn so zu fördern, dass er zeigen kann, was er wirklich drauf hat.“

Sauer erstellt zudem als Prüfer bundesweit standardisierte Prüfungsaufgaben bei der Prüfungsaufgaben- und Lehrmittelentwicklungsstelle (PAL). Bei ihm im Betrieb gibt es jedoch keine PAL-Prüfungen. Die Prüflinge bearbeiten stattdessen einen „betrieblichen Auftrag“ – ein reales Projekt im Betrieb und keine Trockenübung für die Tonne. Auch das haben Gewerkschafter in den letzten Jahren in immer mehr Berufen durchgesetzt. Den Kammern ist der betriebliche Auftrag meist zu aufwendig.


Qualität sichern

Alle reden davon, wie wichtig gute Bildung und Qualifizierung ist. Doch Arbeitgeber, Kammern und Ministerien schauen vor allem auf die Kosten.

„Die Praktiker auf Arbeitgeberseite denken zwar meistens so wie wir. Aber wenn es sich zuspitzt, dann dominieren die Interessen ihrer Chefs, Kammern und Verbände. Offen streiten für unsere Facharbeiter können nur wir Gewerkschafter“, sagt die Ingenieurin Ute Schmoldt-Ritter, die seit über 30 Jahren als Prüferin arbeitet und Berufe mitgestaltet. „Druckmittel haben wir nicht. Wir können nur durch Argumente überzeugen. Schließlich geht es um die Fachkräfte von morgen und die Zukunft des Standorts.“


Vorbild sein und bleiben

Durch Argumente überzeugen. Das gelingt immerhin. Viele Pläne zu verkürzten, zerstückelten Schmalspurausbildungen sind zum Glück wieder vom Tisch. „Nur qualifiziert ausgebildete Fachkräfte können gute Arbeit und Innovationen mitgestalten. Mit Kurzausbildungen und Modulen geht das nicht“, sagt Hans-Jürgen Urban, der im Vorstand der IG Metall für Berufsbildung zuständig ist. „Und nur vollwertige Berufe ermöglichen gute Arbeitsbedingungen sowie berufliche und persönliche Entwicklung.“

Praxisnahe Berufe, gute Ausbildung, faire Prüfungen – ohne gewerkschaftliche Experten aus den Betrieben ist das deutsche Berufsbildungssystem nicht denkbar. Auch der „Export“ des Systems funktioniert nur, wenn Praktiker von der Arbeitnehmerseite an Bord sind. Wir schieben gerade Kooperationen an. Auch in den Betrieben tut sich etwas: Bei VW hat die Jugend- und Auszubildendenvertretung eine „Charta für Ausbildung“ auf den Weg gebracht, die eine duale Ausbildung nach deutschem Vorbild in allen VW-Standorten weltweit aufbauen soll. Mit Praktikern aus den Betrieben an Bord. Umgesetzt wurde das bereits im Seat-Werk in Barcelona.

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