Arbeitsmarkt
Junge Beschäftigte müssen sich warm anziehen

Jungen Menschen weht in der Krise ein eiskalter Wind entgegen. Da sie oft als Leiharbeiter oder in befristeten Jobs arbeiten, sind sie auch oft unter den ersten, die entlassen werden. Zurzeit ist bei hunderttausenden Azubis, die in diesen Wochen auslernen, die Übernahme in Gefahr. Und auch für ...

4. Januar 20104. 1. 2010


... Studierende sind die Aussichten düster. Die Betroffenen reden nicht offen darüber – aus Angst, ihre letzten Chancen zu verspielen. Aber Chancen gibt es. Vor allem da, wo Metaller sich reinhängen.

„Ich will für meine Zukunft... einen sicheren Arbeitsplatz“, schreibt Daniel, 19 Jahre. „Eine Perspektive und genug Geld, um meine Familie zu ernähren“, will Meike, 25. „Ausbildungsstelle“, „Übernahme nach der Ausbildung“, „Raus aus der Leiharbeit“ – und immer wieder „sicherer Arbeitsplatz“. Diese Wünsche haben junge Beschäftigte auf der Webseite der IG Metall- Jugend zur „ Operation Übernahme“ verewigt. „Ein sicherer Arbeitsplatz“ ist auch laut Studien des DGB und der IG Metall Zukunftswunsch Nummer eins bei jungen Menschen. Doch der ist für viele in weite Ferne gerückt.

Krise trifft junge Arbeitnehmer besonders hart
Die Arbeitslosigkeit unter den 20- bis 35-Jährigen ist fast dreimal so stark gestiegen wie bei den Älteren. Kommt der nächste Schlag in den kommenden Wochen? Hunderttausende Azubis in den Betrieben machen ihre Abschlussprüfung. Und Umfragen zeigen, dass die Übernahme danach bei zwei Dritteln auf der Kippe steht. Auch die Tarifverträge der IG Metall, die zumindest eine befristete Weiterbeschäftigung vorschreiben, greifen oft nicht mehr: In Notlagen können Betriebe davon abweichen. Zehntausenden Azubis droht nun der Absturz auf Hartz IV – wenn nichts passiert.

Sandy Vana, 20, Kfz-Lackiererin. Foto: Gerhard Blank.Auch bei Sandy Vana (Bild rechts) stand die Zukunft auf der Kippe. Nach ihrer Abschlussprüfung als Kfz-Lackiererin bei MAN Nutzfahrzeuge in München vor einem Jahr, war sie zunächst für zwölf Monate übernommen worden. Ein Jahr der Unsicherheit. Denn ihr Betrieb ist wie die gesamte LKW-Branche von der Krise besonders betroffen. „Wir wussten nicht mal, ob wir überhaupt übernommen werden. Wir hatten schon überall Kurzarbeit“, erinnert sich die 20-Jährige. „Und nach der Übernahme war ich dann selbst dauernd in Kurzarbeit. Ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass ich hier weiter bleiben kann. Ich konnte an nichts anderes denken.“

Übernahme bei MAN gesichert
Sandy hat sich in anderen Betrieben umgeschaut. Doch auch dawar nichts zumachen. Alle Pläne schienen geplatzt: Die eigene Wohnung, ein Auto, das nicht auseinanderfällt – die Weiterbildung zur Technikerin. Ende November kam endlich die Erlösung: Alle 79 Auslerner des Jahres 2009 werden unbefristet übernommen. Das haben Betriebsrat und Jugendvertretung in harten Verhandlungen mit der Geschäftsführung erreicht. Und: In Zukunft werden grundsätzlich alle Azubis übernommen. Unbefristet.

Und nicht nur das: Die Ausbildung bei MAN insgesamt ist gesichert. In München werden mehr Azubis eingestellt als im Vorjahr. „Von allein hätte der Vorstand sich nicht so klar zu den Azubis bekannt“, meint Ufuk Yildirim, Vorsitzender der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung. „Aber wir haben den Vorstand überzeugt: Wenn es nach der Krise wieder aufwärts geht, brauchen wir Fachkräfte.“
Sandy Vana ist ein Stein vom Herzen gefallen. „Jetzt fühle ich mich viel freier und kann viel positiver an die Arbeit gehen.“

Einkäufer Jan-Philipp Kahlert. Foto: Tanja PickartzEine unbefristete Stelle – ein doppelter Glücksfall. Denn selbst die, die übernommen werden, bekommen meist nur einen Job auf Zeit. Aber immerhin noch eine Chance. Jan-Philipp Kahlert (Bild links) ist nach seiner kaufmännischen Ausbildung bei Atlas Copco, einem Hersteller baggergeführter Abbruchmaschinen in Essen, für ein halbes Jahr übernommen worden.

In dieser Zeit hat der 22-Jährige einen neuen Arbeitsplatz gefunden und steht auf eigenen Beinen. „Ich bin endlich von zu Hause ausgezogen. Auch wenn man liebe Eltern hat, will man irgendwann mal unabhängig sein und mit der Freundin zusammen wohnen.“


Befristete Übernahme
Im letzten Frühjahr, kurz vor seiner Abschlussprüfung, sah das noch ganz anders aus: massive Auftragseinbrüche. Überall Kurzarbeit. „Der Personalchef kam in die Jugendversammlung: Wir werden nicht übernommen – wegen der wirtschaftlichen Lage. Ein Riesenschock, obwohl wir das schon befürchtet hatten.“ Doch die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) und der Betriebsrat haben sich reingehängt – und die Azubis und viele „Ältere“ zusammengetrommelt. Mit der IG Metall-Jugend Essen ging es zu einer Demo in Berlin. Dort drehten sie ein Protestvideo für das Internet, das bis zur Geschäftsführung ausstrahlte. Mit Erfolg: Bald saßen JAV und Betriebsrat am Verhandlungstisch.

„Ihr könnt die Azubis in Kurzarbeit übernehmen“, schlug der JAV-Vorsitzende Sascha Hartmann vor. „Das kostet nicht viel. Aber für die Azubis ist das viel wert: Sie haben Zeit, sich zu bewerben, auch auf ein Studium. Zumindest gibt es danach Arbeitslosengeld statt Hartz IV.“ Der Kompromiss: ein halbes Jahr. Für Jan-Philipp brachte das die nötige Ruhe und Berufspraxis, um eine neue Stelle zu finden. Geschafft. Doch Tausende andere stehen vor dem Nichts. Offen reden will kaum einer – aus Angst, sich die letzte Chance zu versauen.

Die „Operation Übernahme“
Die IG Metall will sich damit nicht abfinden. Im Frühjahr 2009 hat die IG Metall-Jugend die „Operation Übernahme“ gestartet, mit Aktionen auf den Straßen und in den Betrieben. Auch in Tarifverhandlungen soll die Übernahme eine wichtige Rolle spielen. „In der Übernahme steckt die Zukunft eines jeden Auszubildenden“, betont Eric Leiderer, Bundesjugendsekretär der IG Metall. „Wir werden für die Übernahme weiter energisch kämpfen – für so viele wiemöglich.“

Und überall kämpfen Metaller um Lösungen, die Arbeitsplätze sichern: verkürzte Arbeitszeit nach Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrag oder Kurzarbeit, wenn nötig runter bis auf null, gerade auch um junge Beschäftigte zu halten. Qualifizierungsmaßnahmen, die jetzt Entlastung bringen – und Arbeitsplätze für die Zukunft sicherermachen. Das alles hilft natürlich auch den Jungen in den Betrieben.

Studierende in Not
Aber wie sieht es an den Hochschulen aus? In den Medien klagt die Industrie über „Ingenieurmangel“. Doch auf den Jobmessen für Studierende, wie dem Absolventenkongress Ende November in Köln, sieht das anders aus: Viel weniger Stände als in früheren Jahren. Und fast nur noch Supermärkte und Finanzdienstleister werben dort Nachwuchs. Die Industrie sucht man vergebens – wegen der Krise, sagt der Veranstalter. Junge Menschen irren in Anzügen umher. Und sie kommen zum Stand der IG Metall, um den sie früher eher einen Bogen gemacht haben. Dort gibt es Tipps, die sie an der Uni nicht bekommen, zu Einstiegsgehältern und Arbeitsvertrag. Und alle berichten: Echte Stellen gibt es kaum. Nur Traineejobs und Praktika.

„Alle Unternehmen suchen angeblich händeringend nach Ingenieuren – stellen aber keinen ein“, beschreibt Bernward Schönteich die groteske Lage. Der 25-Jährige studiert in Braunschweig im zehnten Semester Maschinenbau und steht kurz vor dem Abschluss. Für ihn ist klar: Die Aussichten sind gesunken. Auf der anderen Seite steigt der Druck auf die Studierenden immer mehr: Sie müssen immer schneller studieren, brauchen immer bessere Noten – und am besten Geld von zuhause: Für einen Nebenjob, um die Studiengebühren und den Lebensunterhalt zu zahlen, bleibt keine Zeit mehr.

Anforderungen steigen
Und dennoch: Ohne zig Praktika geht gar nichts. Das ist Pflicht. Und ins Ausland gehen muss auch sein. Bernward selbst hat Glück: Er macht jetzt ein halbes Jahr Auslandspraktikum bei VW in Südafrika, bevor er seine Diplomarbeit schreibt. Doch für die Jüngeren in den neuen, verkürzten Bachelor-Studiengängen ist ein längeres Praktikum mit einem sinnvollen Projekt kaum noch drin. In den Semesterferien bleiben oft nur drei, vier Wochen Zeit, in denen sich alle um Kurzpraktika in den Betrieben drängen. Eine Bezahlung für die Praktikanten gibt es längst nur noch in Ausnahmen.

Doch auch sonst ist es schlechter geworden, findet Bernward. „Früher wurde ich im Praktikum noch betreut und ich habe was gelernt. Heute bist du oft nur noch billige Arbeitskraft. Sogar Sicherheitsschuhe musst du selbst mitbringen.“ Und doch hoffen viele, über ein Praktikum ein Bein in eine Firma zu bekommen. Eine oft trügerische Hoffnung: Viele von Bernwards Bekannten halten sich nach der Abschlussprüfung mit befristeten Verträgen in Instituten über Wasser. Oder sie versuchen es bei Ingenieurdienstleistern – Leihfirmen für „Hochqualifizierte“.

Zukunft nach der Krise?
Bernward selbst glaubt schon, dass er einen Job findet, wenn die Krise bald vorbei ist. Aber Pläne oder konkrete Aussichten? Eher erst mal nicht. Mit der Ungewissheit muss heute jeder leben und so gut studieren, wie es geht. Aber abfinden will sich Bernward damit nicht: Er ist in der IG Metall aktiv und hat den Bildungsstreik der Studierenden mitorganisiert. „Die Anforderungen an uns steigen immer mehr. Die Politik beschließt, was die Wirtschaft angeblich braucht“, kritisiert Bernward. „Auf der anderen Seite bekommen wir nichts zurück. Keine Sicherheit. Keine Perspektiven. Außer für diejenigen, die von zuhause genug Unterstützung haben. Auslese und Einzelkämpfermentalität nehmen immer mehr zu.“

An den IG Metall-Stand auf dem Absolventenkongress kommen viele „Einzelkämpfer“, darunter auch eine diplomierte Maschinenbau- Ingenieurin, Mitte Zwanzig. Der Betrieb, in dem sie ein Einstiegspraktikum begonnen hat, ist pleite. Seit fast einem Jahr ist sie auf Jobsuche und hat über hundert Bewerbungen geschrieben. Ein einziges Bewerbungsgespräch hatte sie in dieser Zeit – und das war in Luxemburg. Vor eine Kamera will sie lieber nicht. Denn vielleicht kommt sie ja doch noch – die Chance.
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