Jörg Hofmann: Betriebliche Mitbestimmung ist wertvoll und not...
Der Markt richtet es nicht

Regierung, Tarifparteien und Betriebsräte müssen den Sozialstaat zukunftsfest machen, sagt IG Metall-Vorsitzender Jörg Hofmann in seinem Gastkommentar im „Handelsblatt“. Die Zukunftsfähigkeit des „Sozialstaats 4.0“ werde davon abhängen, „dass er täglich von den Beschäftigten gemeinsam erfahren ...


26. Oktober 201626. 10. 2016


... und gelebt wird“.

Der Sozialstaat steht vor vielfältigen Herausforderungen: Globalisierung der Wertschöpfungsketten und die Digitalisierung verändern wesentliche Rahmenparameter. Sie verändern vor allem die Geschwindigkeit und Ausdifferenzierung technologisch-organisatorischer Umbrüche in der Arbeitswelt und damit auch die Herausforderungen an ein Sozialstaatsmodell, das auf Erwerbsarbeit als zentralen Bezugspunkt baut.

Hinzu kommt: Lebensentwürfe und Arbeitsverhältnisse der Menschen werden vielfältiger. Dies verlangt mehr Selbstbestimmung in der Arbeitszeit.

Auf diese Herausforderungen muss der Sozialstaat eine Antwort finden. Seine neoliberalen Verächter sehen dabei den modernen Sozialstaat am Ende. Sie fordern ein Zurückstutzen auf seine Funktion als Fürsorgestaat. Über eine Mindestabsicherung hinaus soll der Markt über Ansprüche und Perspektiven der Menschen entscheiden. Die zwischenzeitlich auch bei den Arbeitgebern wohlwollend geführte Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine Variante. Sozialer Ausgleich, gleiche Teilhabe-Chancen für alle und gesellschaftlicher Zusammenhalt formieren hier nicht mehr als Zielbild von Sozialstaatlichkeit. Dieses Zielbild ist aber gerade in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts mehr als gefordert.

Die Zukunftsfähigkeit des „Sozialstaats 4.0“ wird davon abhängen, dass er in unserer Arbeits- und Zivilgesellschaft verankert ist, er also täglich von den Beschäftigten gemeinsam erfahren und gelebt wird. Sozialstaat funktioniert am besten, wenn er von den Akteuren selbst gemacht wird. Und soll gesellschaftliche Spaltung verhindert und überwunden werden, bedarf es auch künftig kollektiver, solidarischer Aushandlungsprozesse. Markt und individueller Wettbewerb werden dies nicht richten.

Die Verankerung des Sozialstaats in Zivilgesellschaft und Arbeitswelt verlangt die Verschränkung von drei Handlungsebenen: Gesetz, Tarif und betrieblichen Regelungen. Der Gesetzgeber hat auch in Zukunft die Aufgabe, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken, gleiche Teilhabe und soziale Sicherheit für alle zu garantieren. Tarifverträge geben Antworten auf die Dynamik und Differenziertheit unserer Gesellschaft und Arbeitswelt. Sie sind passgenau und immer neu gestaltbar – und dennoch beruhen sie auf kollektiver Aushandlung, nicht auf individueller Marktstärke. Und getragen von beiden Seiten kommen sie auch tatsächlich im Büro, auf der Baustelle und auf dem Hallenboden an: Dort werden sie umgesetzt – auch mit Aushandlungen und Rangeleien verbunden, aber am Ende des Tages im Kompromiss. Das macht die betriebliche Mitbestimmung und Beratung so wertvoll und notwendig.

Dieses Zusammenspiel von betrieblichen, tariflichen und gesetzlichen Vereinbarungen ist für mich der überzeugendste Weg zur zeitgemäßen Fortentwicklung des Sozialstaats.


Der Gastkommentar von Jörg Hofmann ist am 26. Oktober 2016 im „Handelsblatt“ erschienen.