Interview mit Thomas Fricke zur Europawahl
Aus der Finanzkrise lernen

Im Rahmen der IG Metall-Konferenz „Wir haben die Wahl. Ökonomie neu denken. Für ein solidarisches und demokratisches Europa“ haben wir mit Thomas Fricke, dem Chief Economist der European Climate Foundation, gesprochen. Fricke erläutert, warum eine Finanztransaktionsteuer sinnvoll ist und wie ...

13. Mai 201413. 5. 2014


... der Staat unterstützen kann, damit Unternehmen mehr investieren.

Herr Fricke, wie könnte ihrer Meinung nach ein solidarischeres und demokratischeres Europa aussehen?
Thomas Fricke: Ich glaube nach der Erfahrung der letzten Jahre ist es vor allem wichtig, die Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise zu ziehen. Zu analysieren, was da falsch gelaufen ist, auch in der Bearbeitung der Krise. Entgegen allen Warnungen wurde den Krisenländern der Euo-Zone ein heilloses Kürzen von staatlichen Ausgaben und Anheben von Steuern auferlegt. Diese Programme haben sehr viel mehr Schaden angerichtet als nötig, auch wenn das in der deutschen Öffentlichkeit anders wahrgenommen wird. Man kann es ja schlecht als notwendige ökonomische Umstrukturierung bezeichnen, wenn jetzt in manchen Ländern mehr als die Hälfte der jungen Menschen ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz sind.
Hieraus die richtigen Lehren zu ziehen und solche Fehler zu korrigieren oder wenigstens für die Zukunft auszuschließen, wäre wohl der größte Beitrag zu einem solidarischen und demokratischen Europa. Die Regierungen, die diese Programme in ihren Ländern durchzusetzen mussten, waren schließlich nicht dieselben, die diese entworfen hatten! Dennoch mussten sie diese vor ihrem Land und den Menschen jeweils verantworten. Umgekehrt kann unsere Kanzlerin nicht von den Wählern in den Krisenländern zur Verantwortung gezogen werden, die unter jener Politik leiden müssen, die Frau Merkel maßgeblich mitbestimmt hat. So etwas ist auf Dauer nicht tragbar.

Wenn man das jetzt alles einmal konkreter auf die Finanzmärkte bezieht: Wo könnten die „Stellschrauben“ oder Kerninstrumente liegen, um solche Krisen besser in den Griff zu bekommen bzw. deren Auswirkungen einzudämmen?
In etlichen Krisen der vergangenen drei Jahrzehnte hat sich immer wieder gezeigt, dass die Finanzmärkte nicht die Funktion erfüllen, die sie erfüllen sollten oder die man ihnen zugeschrieben hat. Nämlich in einer globalisierten Wirtschaft für Stabilität zu sorgen. Das Gegenteil ist der Fall: die Märkte wirken immer wieder extrem destabilisierend. Und durch die enorm gewachsene Menge der Finanzmittel, die hin und her geschoben werden, potenziert sich diese Instabilität!

Daraus kann man einige Forderungen ableiten, beispielsweise nach einer Finanztransaktionssteuer. Es ist nicht nachvollziehbar, warum auf Finanzgeschäfte keine Steuern erhoben werden, anders als auf jedes Brötchen oder Auto, das wir kaufen. Eine Finanztransaktionssteuer würde sehr viel Luft aus dem System nehmen, schon bei einer geringen Steuer. Rein spekulative Bewegungen im Sekundentakt würden sich kaum noch lohnen. Das Volumen spekulativer Geschäfte würde sofort drastisch reduziert.

Ein zweites ganz wichtiges Mittel wäre, den Banken höhere Rücklagen aufzuerlegen. Also immer einen bestimmten Betrag an Eigenkapital zu besitzen, um in Krisenfällen gewappnet zu sein. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Banken, wie es über Jahrzehnte der Fall war, lediglich 2-3 Prozent Eigenkapital hinterlegen müssen. Damit konnten sie automatisch enorm viel Schulden machen und mussten für neue Kredite nur einen sehr geringen eigenen Beitrag leisten. Jeder der schon einmal ein Haus gekauft hat weiß, dass man da einen bestimmten Eigenkapitalbetrag leisten muss und der liegt sicherlich nicht bei 2-3 Prozent. In der Industrie liegt die durchschnittliche Eigenkapitalquote bei 25 Prozent. In dieser Größenordnung sollte sie auf Dauer auch bei den Banken liegen. Dadurch würde man die Möglichkeiten begrenzen, in einer Phase überschäumender Euphorie, wie sie beim Entstehen von Finanzblasen typisch ist, immer neue virtuelle Werte zu erzeugen, die dann wiederum weitere Instabilität schaffen.
Das wären unter anderem Bausteine eines stabileren Finanzsystem.

Um auf Deutschland und seine Wirtschaft zu sprechen zu kommen: Sie beschreiben immer wieder einen „Investitionsstau“. Können Sie uns diesen näher beschreiben?
Es gibt da zwei unterschiedliche Phänomene: einen öffentlichen und einen privaten Investitionsstau. Die deutschen Unternehmen haben in der Tat trotz einigermaßen guter wirtschaftlicher Lage ihre Investitionen deutlich zurückgefahren. Das ist erstaunlich und zugleich beängstigend, weil damit natürlich auch wichtige Investitionen in die Zukunft unterblieben sind.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat und hatte dieser private Investitionsstau allerdings mit der akuten Eurokrise zu tun, in der die Unternehmen einfach alle Investitionen zurückgefahren haben. Es gab schließlich Phasen während der Eurokrise, in denen ganz akut die Angst kursierte, dass der Euro gänzlich scheitern würde. Und das hätte in der Tat enorme Turbulenzen ausgelöst. Da nun mal die deutsche Industrie maßgeblich von den umliegenden Ländern abhängig ist, haben viele Unternehmen ihre Investitionsprojekte erstmal gestoppt.

Wenn diese These zutrifft, könnten wir jetzt wiederum relativ optimistisch sein. Die Angst vor einem Auseinanderbrechen des Euro ist stark geschwunden. Dafür haben die EZB und ihr Präsident Mario Draghi gesorgt. In Unternehmensumfragen und auch in den realen Wirtschaftszahlen zeichnet sich tatsächlich wieder eine leicht positive Entwicklung ab. Die Unternehmen nehmen deshalb langsam wieder mehr Geld in die Hand, um in die Zukunft zu investieren.

Wenn es keinen Rückfall in die Euro-Panik gibt, könnten es sogar eine Investitionswelle geben. Denn viele Investitionen, die während der Eurokrise auf Eis lagen, könnten jetzt nachgeholt werden.

Was könnte denn der Staat tun, um die Unternehmen mehr zu Investitionen zu motivieren?
Es würde sich nicht schaden, noch etwas nachzuhelfen. Was in einer – wenn auch abklingenden – Unsicherheitsphase gut wirkt, sind vergünstigte Abschreibungen. Diese animieren Unternehmen dazu, schnell oder schneller Geld auszugeben. Interessanterweise hat das vor acht Jahren schon einmal ganz gut funktioniert, unter der vergangenen großen Koalition. Im Koalitionsvertrag von Ende 2005 gab es das damals: befristete, günstigere Abschreibungsbedingungen für Unternehmen. Das hat damals maßgeblich zum Aufschwung 2006/07 beigetragen.

Ein solches Programm könnte auch Baustein für eine viel größere Aufgabe sein. Wir müssen uns dringend darüber Gedanken machen, wie wir in Deutschland längerfristig wirtschaftliche Strukturen schaffen, die unseren Wohlstand weniger einseitig vom Export abhängig machen. Das ist in der Metall- und Elektroindustrie natürlich besonders schwierig, und es darf natürlich nicht darum gehen, den bestehenden Export zu gefährden. Aber man muss eine solidere zweite Stütze schaffen und die Binnennachfrage zum zweiten Wachstumstreiber werden lassen. Das ist eine der anspruchsvollsten Zukunftsaufgaben für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft.

Wie stehen denn die Chancen, dass sich der zweite Investitionsstau löst, also der öffentliche?
Hier gibt es nach vielen Jahren heilloser Kürzungen einen enormen Nachholbedarf. Das Gute ist: Es gibt über diesen Investitionsstau mittlerweile einen sehr weitgehenden Konsens in Deutschland. Und der Befund gilt nun ja leider auch für viele Krisenländer in der Euro-Zone.

Deshalb gibt es heute auch genug Gründe, ein neues Investitionsprogramm für Deutschland und Europa aufzulegen. Über die Details lässt sich streiten. Da gibt es den Marshallplan des DGB und den Green New Deal der Grünen. Wir bei der European Climate Foundation arbeiten selbst gerade an einem ähnlichen Programm, einem Euro Climate Deal. In diesem wollen wir zwei Ideen miteinander verbinden: die europäische Konjunktur stärken und gleichzeitig den Klimawandel in den Griff bekommen.

Der Staat muss also auch selbst viel Geld in die Hand nehmen.
Ja, definitiv, so etwas muss nur gut durchdacht sein. Viel zu lang wurde die Finanzpolitik in Deutschland und Europa auf die mechanische Erfüllung jährlicher Staatdefizit-Ziele ausgerichtet. Das führt in kritischen konjunkturellen Phasen immer wieder dazu, dass die Finanzminister hastig dort kürzen, wo es am schnellsten machbar ist: bei den Investitionen – nur um auf die Schnelle noch das Jahresziel zu erreichen. Das ist die Logik, die seit zwei Jahrzehnten auf zweifelhafte Art die europäische Finanzpolitik bestimmt. Und jetzt wundert man sich, dass es eine marode Infrastruktur gibt. Das zeugt schon von einer erschütternden Lernresistenz.

Es bleibt natürlich die Frage, ob es in Deutschland vermittelbar ist, dass der Staat möglicherweise doch gelegentlich neue Schulden aufnehmen muss, um in die Zukunft zu investieren. Das Thema Schulden wird ja sehr emotional diskutiert. Und da heißt es dann schnell, dass wir unseren Kindern doch nicht diese ganzen Schulden hinterlassen dürfen.

Da könnte man aber entgegenhalten, dass – wenn wir nicht jetzt auch finanziell etwas gegen die Klimakatastrophe unternehmen – sich unsere Kinder erst recht bei uns bedanken werden. Wir hinterlassen ihnen dann nämlich eine ziemlich kaputte Welt. Mit dieser Argumentation kann man sogar Stabilitätsfanatiker ins Grübeln bringen. Im Klimabereich gibt es einfach ein großes Potential, den Bedarf an notfalls auch einmal schuldenfinanzierten staatlichen Investitionen in die Zukunft zu erklären – und dafür Akzeptanz bei den Leuten zu schaffen. Dieses Potential sollten wir nutzen.

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