Interview mit Detlef Wetzel zur Europawahl
„Europa – das ist unser Job“

Bei der Europawahl am 25. Mai steht viel auf dem Spiel. Es geht um den künftigen Kurs der Staatengemeinschaft. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen eine starke Vertretung ihrer Interessen in einem sozialen Europa, sagt der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel im Interview.

23. Mai 201423. 5. 2014


Detlef, was bewegt Dich, wenn Du an die Europawahl am 25. Mai denkst?
Ich werde selbstverständlich wählen gehen, weil ich Europa nicht den Marktradikalen überlassen will. Weder als deutscher Gewerkschafter noch als Bürger Europas will ich ein „Weiter so“. Wir brauchen Investitionen in Arbeit, Umwelt, Gesundheit und Bildung. Wir wollen ein Europa, das die Finanzmärkte reguliert. Wir wollen ein Europa, in dem die Bürger mehr Mitsprache haben als die Unternehmen und Banken.

Wie stehen die Chancen für mehr Demokratie in Europa?
Mich erfüllt mit großer Sorge, dass rechte Ideologien und rechter Populismus in ganz Europa Zulauf haben. Erwerbslosigkeit, wirtschaftliche Unsicherheit und Abstiegsängste sind der Nährboden für diese Europagegner. Deswegen ist die Krise in Europa nicht nur eine wirtschaftliche und finanzielle Krise. Sie ist auch eine politische und soziale Krise, die schließlich zu einer Krise der Demokratie führen kann. Dem müssen wir uns mit aller Macht entgegenstellen.

Wie sieht deine Vision für Europa aus?
Ich erinnere an Willy Brandt, der vor vierzig Jahren gesagt hat: „Die europäische Integration muss unmittelbar den Menschen dienen.“ Er hatte Recht. Die europäische Einigung hat unmittelbar den Menschen zu dienen! Und dafür brauchen wir einen Politikwechsel. Denn die Haushaltskürzungen verschärfen die Rezession, Sozialabbau stürzt die Menschen in Südeuropa in Elend und Not, eine ganze Generation von jungen Leuten hat kaum eine Perspektive auf Ausbildung und Arbeit. Fast 20 Millionen Menschen in Europa sind erwerbslos. Neun Millionen Jugendliche stehen auf der Straße. Wie blind müssen Politiker sein, um das und die daraus entstehenden Folgen nicht zu sehen.

Ist die Idee eines geeinten Europas in Gefahr?
Was einige da betreiben ist nicht anders zu verstehen, als ein Angriff auf eben diesen europäischen Gedanken. Wer den Bürgern Europas bei den Verhandlungen um das amerikanische und kanadische Freihandelsabkommen die Tür vor der Nase zuschlägt, der darf sich nicht wundern, wenn sich niemand mehr für Europapolitik engagieren möchte. Wer durch seine Sparpolitik die Länder ausbluten lässt und dafür sorgt, dass Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte keine Bedeutung mehr haben, der darf sich nicht wundern, dass die Menschen mit Europa nichts zu tun haben wollen.

Aber Europa steht doch auch für Frieden und materielle Sicherheit.
Genau das ist in Gefahr, wenn Politik und Wirtschaft das Auseinanderbrechen sozialer Standards weiterhin zulassen. Sicher, die Europäische Union hat in den letzten 20 Jahren einiges erreicht. Der Binnenmarkt ist neben den USA der größte Wirtschaftsraum weltweit. Wir leben unsere kulturelle Vielfalt in Europa. Aber: Gleichzeitig hat die europäische Politik die wirtschaftlichen Interessen und die der Finanzmärkte über die Interessen der Menschen gestellt -über die Fragen von Arbeitsbedingungen, sozialer Sicherung und Bildung.

2008 stand das System kurz vor dem Kollaps.
Dieser „worst case“ ist gottseidank nicht eingetreten. Doch die Folgen der Krise lasten nun auf den Schultern derer, die sie nicht verursacht haben: Auf den Beschäftigten in ganz Europa, auf den jungen Menschen und Rentnern. Die ungezügelten Finanzmärkte haben 2008 und 2009 die Welt an den Rand einer wirtschaftlichen Katastrophe gebracht. Das politische Konzept zur Krisenbewältigung hat ihre Chance verpasst, die Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen, und ihre „Systemrelevanz“ zu erkennen.

Was sollte konkret gemacht werden?
Die Sparpolitik muss durch Investitionspolitik ersetzt werden. Nur durch Wachstum werden wir die europäische Krise überwinden können. Wir Industriegewerkschaften wissen: Was wir jetzt in der Krise an industrieller Substanz verlieren, das werden wir nicht zurückbekommen. Wenn wir heute Investitionen in Forschung, Entwicklung und Infrastruktur unterlassen, werden wir das in der Zukunft mit Erwerbslosigkeit, mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und weniger Wohlstand bezahlen.

Wie siehst Du die Rolle der Gewerkschaften in Europa?
Immer mehr Unternehmen haben verschiedene europäische Standorte. Immer wieder werden Standorte gegeneinander ausgespielt. Gewerkschaften müssen deshalb gemeinsam handeln. Uns muss klar sein: Das Management der Unternehmen funktioniert zwischen den Ländern gut. Die gewerkschaftliche Zusammenarbeit ist viel schwieriger. Wir müssen aber der Globalisierung des Kapitals eine internationale Gewerkschaftsbewegung entgegensetzen. Der Druck auf die Arbeitgeber und die Politiker funktioniert nur mit starken, gut organsierten Gewerkschaften. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns alle beteiligen. Europa – das ist unser Job.
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