Integration von Migranten im Betrieb
Die Vorurteile sitzen noch sehr tief

Die IG Metall steht für Respekt und Zivilcourage. Menschen dürfen weder in den Betrieben noch in der Gesellschaft diskriminiert und ausgegrenzt werden. Hamid und Cemal Ince kämpfen als Metaller gegen Diskriminierung von Migranten in Betrieb und Gesellschaft.


18. März 201418. 3. 2014


Hamid Ince, 75, hat sein ganzes Leben gegen Diskriminierung gekämpft. Er war einer der ersten sogenannten Gastarbeiter, die vor 50 Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen und bei der Salzgitter AG anfingen. Er wollte seine Familie ernähren, die in Anatolien in bitterer Armut lebte. Aber er wollte auch Anerkennung und Teilhabe in der deutschen Gesellschaft. Deshalb wurde er Metaller und Vertrauensmann. Diese Überzeugung hat er an seinen Sohn Cemal, 49, weitergegeben. Cemal wurde jetzt bei den aktuellen Wahlen in den Betriebsrat bei Volkswagen gewählt: „Von meinem Vater habe ich gelernt, mich nicht wegzuducken, wenn Unrecht passiert.“

Hamid Ince (rechts) und sein Sohn Cemal setzen sich im Betrieb dafür ein, die Integration von Migranten voranzubringen. Foto: Hofmann


Vater Hamid Ince stammt aus einer armen Gegend in Anatolien. Mit der Landarbeit konnte er seine Familie nicht ernähren. 1963 hörte er zum ersten Mal, dass Deutschland Arbeitskräfte suchte. Hamid Ince kam nach drei Tagen Zugfahrt 1968 in Salzgitter an. Wie seine Landsleute wurde er in einer Baracke untergebracht. Sechs Menschen auf dem Zimmer teilten sich drei Betten. Auf der Hütte arbeitete er am Hochofen. „Das war sehr harte Arbeit“, erinnert sich Hamid.


Krasse Ungleichbehandlung

Wie viele seiner Landsleute dachte auch Hamid zunächst, er würde bald wieder in die Türkei gehen, wenn er etwas Geld verdient hätte. Doch nach vier Jahren Leben in der Baracke holte er seine Familie nach und bezog eine Wohnung. Da er sich mit der deutschen Sprache leicht tat, wurde er im Betrieb von seinen Landsleuten oft vorgeschickt, wenn etwas mit den Vorarbeitern zu klären war.

Die türkischstämmigen Beschäftigten mussten damals die besonders anstrengenden Arbeiten machen, wie zum Beispiel das Reinigen und den Neubau der Roheisenrinne von Hand. Sie hatten weniger Aufstiegschancen als ihre deutschen Kollegen, oft begründet mit fadenscheinigen Argumenten, dass sie wegen mangelnder Deutschkenntnisse etwa die Unfallvorschriften nicht beherrschten. Wenn ein Deutscher seinen Sicherheitshelm vergessen hatte, musste ein Türke seinen Helm hergeben. Die krasse Diskriminierung von Arbeitern mit Migrationshintergrund brachte Hamid Ince dazu, sich in der Gewerkschaft zu engagieren.


Berufliche Chancen für die Kinder

Er brachte in der Hütte unerschrocken die Anliegen seiner Kollegen zur Sprache und wurde bald IG Metall-Vertrauensmann in seiner Abteilung. Dieser gewerkschaftlichen Aufgabe widmete er sich über 20 Jahre lang und erweiterte dadurch seine Kompetenzen: „Ich bin Deutschland dankbar, dass ich hier eine Chance bekam und arbeiten konnte. Meine Kinder hatten hier bessere Möglichkeiten für Schulbildung und beruflichen Aufstieg.“


Auch sein Sohn Cemal, 49, fing auf der Hütte in Salzgitter an. 1984 begann Cemal seine Ausbildung zum Elektriker. Anfeindungen und Demütigungen waren weiterhin an der Tagesordnung. Wegen seiner türkischen Herkunft bekam er im Betrieb oft die unbeliebten Arbeiten. Zwischen Deutschen und Türken wurden vielfach Unterschiede gemacht. Das fing schon in der Mittagspause an. Die deutschen Kollegen hatten eine komfortable Pausenbude, den Türken wurde eine schlichte Holzbaracke zugewiesen.

Echte Chancengleichheit im Betrieb

Die Ungleichbehandlung stieß Cemal immer wieder auf. Mit seiner kritischen Haltung machte er sich bei seinen Vorgesetzten nicht gerade beliebt. Doch Cemal ließ sich nicht beirren. Er wurde wie sein Vater Vertrauensmann der IG Metall und setzte sich in dieser Position dafür ein, dass sich die Verhältnisse auf der Hütte veränderten. Cemal Ince wechselte von der Salzgitter AG zu Volkswagen. Auch dort engagierte er sich als Vertrauensmann, wurde in den Vertrauenskörper gewählt und kandidierte jetzt erfolgreich bei der Betriebsratswahl bei Volkswagen.

Als ehrenamtlicher Referent der IG Metall schult er Kollegen im Betrieb, wie sie mit Diskriminierung, die sie selbst erleben oder beobachten, umgehen können. „Die Vorurteile sitzen immer noch tief“, ist Cemals Erfahrung. „Ich habe von Anfang an meinen Mund aufgemacht, wenn ich Ungerechtigkeiten gesehen habe.“ Diese Haltung versucht er auch seinen Kindern mitzugeben. Sein ältester Sohn Cem, der eine Ausbildung bei VW macht, engagiert sich ebenfalls als Vertrauensmann für seinen Ausbildungsjahrgang. Damit geht das Engagement für die Kollegen im Betrieb bei Familie Ince nun schon in die dritte Generation. Es belegt auch die große Rolle, die das Betriebsverfassungsgesetz bei der Integration spielt. Denn das Gesetz gibt Menschen mit Migrationshintergrund echte Chancen, weil sie mit den gleichen Rechten wie ihre deutschen Kollegen ausgestattet sind.

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