26. Oktober 2010
Im Stahlwerk Eisenhüttenstadt arbeiten viele Frauen in Männer...
Zu Besuch bei einer Stahlarbeiterin
Die Arbeit im Stahlwerk ist nichts für Frauen? In Eisenhüttenstadt jedenfalls ist das nicht der Fall. Hier sind fast ein Viertel der Beschäftigten Frauen. Eine von ihnen ist Stefanie Liedke. Sie findet ihre Arbeit gut und möchte sie nicht gegen ein Büro oder einen Friseursalon tauschen.

So kennt jeder den Stahlarbeiter von Fotos: Er zieht verschwitzt mit einer schweren Kelle an der Rinne Proben aus dem Roheisen, im Hintergrund der Hochofen. Oder schlägt mit zehn Pfund schweren Hämmern Bolzen aus. Sieht dabei aus wie ein Intensivtrainer in der Muckibude. Auf jeden Fall ist er ein Mann. Stefanie Liedke ist eine junge Frau, schlank, weiblich, nicht besonders kräftig – und Stahlarbeiterin.

Friseurin? Das Stahlwerk hatte Interessanteres zu bieten
Sie steht nicht am Hochofen und hantiert auch nicht mit schweren Gerätschaften. Seit vier Jahren arbeitet die 24-Jährige in der Werkstoffprüfung bei AreclorMittal Werkstoffprüferin bei der Arbeitin Eisenhüttenstadt, dem früheren EKO-Unternehmen. Sie schneidet aus großen Blechstücken kleine Plättchen zurecht und prüft sie mit der Lupe, im Labor oder am Computer: Ob die Lackschichten dick genug sind, fest haften, keine Risse haben, ob sie die vom Kunden gewünschte Farbe haben oder extreme Temperaturen aushalten können.

Dabei trägt sie Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen und -sohlen und unter ihrem blauen Kittel langärmelige Pullis. Damit sie sich nicht an den großen, scharfkantigen Blechen verletzt. Sie arbeitet in Wechselschicht, also auch regelmäßig nachts.

„Die Arbeit gefällt mir“, sagt sie. „Sie ist abwechslungsreich, körperlich nicht schwer, nicht dreckig und ich bin immer in Bewegung.“ Stefanie wollte immer schon „etwas Handwerkliches machen“. Büroarbeit ist nicht ihr Ding. Und was wäre die Alternative in einer Stadt, der nach der Wende fast die Hälfte der Einwohner weggelaufen sind, weil tausende Arbeitsplätze weggebrochen sind? Friseurin, für 600 Euro? Nein, da hat das Stahlwerk Interessanteres zu bieten. Auch finanziell. Immerhin verdient sie hier knapp 1800 Euro netto.

Frauen in „Männerberufen“ sind hier nichts Neues
Stefanie ist im brandenburgischen Eisenhüttenstadt geboren. Es war nicht bereits ihr Kindheitstraum, später mal bei EKO zu arbeiten. Aber dann ist sie mit ihrer älteren Schwester zum Tag der offenen Tür gegangen und fand, dort zu arbeiten könnte etwas sein für sie.

Arbeit im Stahlwerk ist nicht immer körperlich schwerWarum nicht? Also bewarb sie sich nach der zehnten Klasse und lernte bei ArcelorMittal Industriemechanikerin, in einer Ausbildungsgruppe mit 13 Jungs und einem weiteren Mädchen. Sie feilte, bohrte und erstellte Elektrosteuerungen und weil sie bei den Abschlussprüfungen zu den Besten gehörte, wurde sie gleich fest eingestellt.

Was Stefanie macht, gilt im Westen als Männerberuf. Sie selbst wundert sich darüber nur. „Warum soll das denn nichts für Frauen sein?“ In Ostdeutschland arbeiten Frauen schon seit DDR Zeiten in „Männerberufen“. Vor der Wende waren 45 Prozent der Beschäftigten im EKO-Kombinat Frauen. Ausflüchte, zu denen Arbeitgeber im Westen greifen, wenn sie mehr Mädchen einstellen sollen – wir haben keine Umkleideräume und sanitäre Einrichtungen, Umbauten sind zu teuer – gibt es bei EKO nicht. Ist alles schon immer dagewesen.

Frauen lockern das Klima auf
Niemand findet etwas Besonderes dabei, wenn Frauen Meisterinnen und Schichtführerinnen sind. Eine von Stefanies Freundinnen macht gerade eine Ausbildung zur Technikerin. Stefanies Eltern finden es gut, dass ihre Tochter Arbeit im Stahlwerk gefunden hat. Und ihr Freund? „Der auch.“ Er arbeitet selbst bei EKO. Als Betriebsschlosser. Als Azubis haben sie sich hier kennengelernt.

Frank Balzer, der Stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, berichtet nicBeruf und Familie im Augeht ohne Stolz, dass seine Tochter Schichtführerin im Kaltwalzwerk ist. Der Betriebsrat will, dass der Frauenanteil, der zurzeit bei 23 Prozent liegt, mindestens gehalten wird. Nicht nur wegen der Chancengleichheit. „In gemischten Teams ist die Zusammenarbeit meist offener und das Arbeitsklima weniger rau“, sagt Balzer. Er und Holger Wachsmann, der Betriebsratsvorsitzende, sind schon in Schulen gewesen, um für eine Ausbildung bei EKO zu werben. Das Bildungszentrum von EKO veranstaltet „Zukunftstage“ und „Training days“, an dem Mädchen einen Tag an der Drehbank hämmern und bohren können.

Es geht alles. Stefanie Liedke möchte mal Kinder haben. „Und das geht auch mit Schichtarbeit“, ist sie überzeugt. Im Ort gibt es sogar einen Kindergarten, der seine Öffnungszeiten an die Arbeitszeiten von EKO angepasst hat. Stefanie kann sich vorstellen, immer bei EKO zu bleiben, sagt sie. In dem Stahlunternehmen und in der Stadt nahe der polnischen Grenze fühlt sich die Stahlarbeiterin pudelwohl.


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