11. Dezember 2015
Jörg Hofmann zu Vertrauensleuten und Beteiligung
Vertrauen ist die Grundlage von Solidarität
Vertrauensleute sind mehr als das „Ohr an der Belegschaft“. Sie sind wichtige Impulsgeber, bringen Themen nach vorne, entwickeln sie weiter und gestalten Arbeitsbedingungen. Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, erklärt im Interview, warum den Vertrauensleuten eine Schlüsselrolle zukommt.

Jörg, was sind Vertrauensleute?

Jörg Hofmann (lacht): Auf die kurze Frage gibt es viele Antworten. Vertrauensfrauen und Vertrauensmänner sind Gewerkschafter, Betriebspolitiker, Berater, Mitentscheider und Integrationsfiguren. Um es auf einen Nenner zu bringen: Vertrauensleute sind die IG Metall im Betrieb – unsere Basis. Und sie tragen die Arbeit vor Ort mit: in Delegiertenversammlungen, Ortsvorständen und in den Tarifkommissionen der Bezirke.



Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.


Das sind hohe Anforderungen an jeden Einzelnen...

Vertrauensleute-Arbeit ist ja Teamarbeit. Ein Vertrauenskörper besteht aus vielen Persönlichkeiten und ist dadurch stark. Es braucht für gute Vertrauensleute-Arbeit Mut, Kompetenz, ein gutes Standing in der Belegschaft und die Bereitschaft, sich für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen einzusetzen. Das ist nur im Team zu schaffen. Außerdem unterstützen wir die Vertrauensleute mit unserer Bildungsarbeit, stärken ihre Kompetenzen und stehen ihnen z.B. mit Beratung, Angeboten zum Erfahrungsaustausch und rechtlicher Unterstützung zur Seite. Es braucht allerdings auch eine Betriebskultur, die den Leuten die Freiheit gibt, sich einzubringen und sich zu beteiligen.


Und wo gibt es solch eine Kultur?

Gerade in Großbetrieben haben Vertrauensleute oft eine starke Position. Da gibt es dann gute Bedingungen, die Beteiligung ermöglichen. In kleinen und mittelständischen Betrieben müssen wir jedoch mehr tun, um die Position der Vertrauenskörper zu stärken. Hier sind nicht zuletzt auch unsere für den Betrieb zuständigen Gewerkschaftssekretäre und Gewerkschaftssekretärinnen gefragt. Sie können den Vertrauenskörper konkret unterstützen: zum Beispiel bei der Entwicklung von Beteiligungsangeboten, wie die Befragung der Mitglieder zur Aufstellung einer Tarifforderung, oder bei der Bewertung, um welche Themen sich die Vertrauensleute und der Betriebsrat kümmern sollten.


Das klingt nach einer neuen Aufgabenbeschreibung von Vertrauensleute-Arbeit...

Ja, Vertrauensleute sind heutzutage mehr als das klassische „Ohr an der Belegschaft“, sie sind wichtige Impulsgeber. Sie bringen Themen nach vorne, entwickeln sie weiter und gestalten Arbeitsbedingungen aktiv. Die Berichte in unserer Handreichung zeigen ja, wie breit das Aufgaben- und Themenspektrum von Vertrauensleute-Arbeit inzwischen ist. In Reutlingen zum Beispiel haben Vertrauenskörper und Betriebsrat gemeinsam Arbeitszeiten an komplexe Produktionsabläufe angepasst, so dass nun ein Familienleben mit Schichtarbeit vereinbar ist. Und solche Beispiele gibt es viele in dieser Handreichung. Sie stehen beispielhaft für viele Tausende aktive Vertrauensleute in ganz Deutschland, die Arbeitsbedingungen gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen verbessern. Vertrauensleute haben über die Zeit hinweg konstant immer mehr Verantwortung und neue Aufgaben übernommen – und dadurch letztlich auch den Beteiligungsansatz in der IG Metall gestärkt.


Wer hat diese Veränderung vorangetrieben?

Ich glaube, diese Geschichte kann man nicht erzählen, ohne zwei Namen zu nennen: Otto Brenner, unseren ehemaligen Vorsitzenden, und Hans Matthöfer, den damaligen Chef unserer Bildungsabteilung und späteren Bundesminister. Deren „Ford-Aktion“ Anfang der 1960er war das entscheidende Pilotprojekt für die Entwicklung der Vertrauensleute- Arbeit in Deutschland. Sie haben gezielt die gewerkschaftliche Bildungsarbeit und damit auch die Vertrauensleute im Betrieb gestärkt. Und damit den Weg bereitet, dass aus Vertrauensleuten aktive Betriebspolitiker wurden. Mit Wilfried Kuckelkorn kommt in dieser Handreichung ja auch ein Protagonist von damals zu Wort, der die Position der Vertrauensleute gestärkt und Beteiligungsmöglichkeiten für sie eröffnet hat. Aber letztendlich muss Beteiligung von den Vertrauensleuten gelebt werden – und das tun sie auch.


Was sind die aktuellen Herausforderungen in der Betriebspolitik?

Wir stehen vor einer Zeitenwende: Belegschaften werden immer heterogener und entwickeln dementsprechend unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse. Die Produktion wird zunehmend informatisiert – die Industrie 4.0 stellt die Beschäftigten vor ganz neue Herausforderungen. Die Arbeitszeiten werden immer flexibler, was für die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sowohl eine Chance als auch ein Risiko bedeutet. Diese Trends zeigen: Der Wandel der Arbeitswelt ist in vollem Gange – und diesen Wandel müssen wir betriebspolitisch begleiten. Wir stehen vor ganz neuen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam mit der Beteiligung aller meistern können.


Warum ist Beteiligung der Schlüssel zum Erfolg?

Das ist ganz einfach: Du kannst heutzutage keine Politik fahren, die mit einer Antwort allein alle Interessenslagen richtig berücksichtigt. Deswegen sind wir darauf angewiesen, die unmittelbar Betroffenen zu beteiligen: Beschäftigte, Mitglieder, Vertrauensleute. Wir müssen mehr Beteiligung wagen.


„Wagen“ ist ein gutes Stichwort – ist Beteiligung mehr Chance oder mehr Risiko?

Ich leg mal drei Euro ins Phrasenschwein und sage: Beteiligung ist eine Chance, die wir allerdings auch nutzen müssen. Denn im Grunde bedeutet Beteiligung für alle eine Win-Win-Situation. Betriebsrat, Vertrauensleute, Mitglieder und Beschäftigte – sie alle profitieren von einer beteiligungsorientierten Betriebspolitik. Den Vertrauensleuten kommt dabei eine Schlüsselposition zu. Sie sind die zentrale Schnittstelle in der Kommunikation zwischen Beschäftigten, Mitgliedern und Betriebsrat. Sie können sich und andere beteiligen – Integrationsfiguren sein, die zugleich Betriebspolitik aktiv mitgestalten.


Du hast den Betriebsrat angesprochen – warum sollte er mehr auf Beteiligung und auf seinen Vertrauenskörper setzen?

Betriebsräte sind nicht gut beraten, wenn sie denken, sie können alles alleine. Wir erleben einen starken Veränderungs- und Rationalisierungsdruck – und zwar tagtäglich. Damit musst du als Betriebsrat erstmal umgehen. Er kann oftmals gar nicht mehr alles im Auge haben, was im Betrieb passiert. So entsteht ein Vakuum zwischen Belegschaft und Betriebsrat – und dieses Vakuum können und sollen die Vertrauensleute füllen. Der Vertrauenskörper ist der Resonanzkörper, der die Kernprobleme und Hauptthemen in der Belegschaft diskutiert. Nur wenn der Betriebsrat die Vertrauensleute dann aktiv an der Entwicklung von Themen und Lösungen beteiligt, kann er bei seiner großen Arbeitsbelastung seine Betriebspolitik aktiv gestalten. Solidarisch zusammenarbeiten – das ist auch hier das Motto der Stunde.


Ist Solidarität ein Erfolgsmodell?

Absolut. Solidarität ist die Basis. Wir Gewerkschaften sind der lebendige Beweis dafür: Wir sind dadurch stark geworden. Wir widerlegen das vom Kapitalismus seit 200 Jahren propagierte Menschenbild: Der Mensch ist nicht erfolgreich, wenn er egoistisch und profitorientiert handelt. Für mich ist deshalb klar, dass wir nur gemeinsam etwas bewegen können. Das, was bleibt, ist die Solidarität untereinander.


Jörg, der Titel dieser Handreichung ist „Vertrauen“ – was bedeutet für Dich Vertrauen?

Für mich ist Vertrauen die Grundlage von Solidarität. Die IG Metall verdankt ihre Stärke dem gegenseitigen Vertrauen untereinander – denn daraus erwächst Solidarität. Metallerinnen und Metaller können einander vertrauen – und sich so gemeinschaftlich und erfolgreich für ihre Interessen stark machen. Wir haben uns in der Vergangenheit jede Menge Vertrauen von Seiten der Beschäftigten erarbeitet. Dieses Vertrauen wollen und müssen wir jetzt jeden Tag mit unserer Arbeit bestätigen.


Zum Abschluss: Was ist Deine Botschaft an die Vertrauensleute in ganz Deutschland?

Vertrauensleute sollen und dürfen sich voller Selbstvertrauen einbringen – und Beteiligung auch einfordern. Sie dürfen sich nicht verstecken. Auch wenn manchmal sehr viel Mut dazu gehört, sich einzumischen – das weiß ich auch. Wir sind den Vertrauensleuten zu Dank verpflichtet – sie sind die Basis unseres gemeinsamen Erfolgs und machen die IG Metall als Organisation stark. Diese Handreichung ist die perfekte Gelegenheit, danke zu sagen. 


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